Diese Zahl ist eine gute Botschaft: Schon im Herbst könnte die Arbeitslosenzahl unter drei Millionen fallen – das wäre die niedrigste Arbeitslosigkeit seit November 2008. Man soll ja nicht vor dem Schlusspfiff Hurra schreien, und die Gefahr eines Konjunktureinbruchs bleibt bis zum kommenden Frühjahr wegen der desolaten Lage der Banken und vieler Staaten bestehen. Aber der schärfste Einbruch der Wirtschaft liegt hinter uns; und dabei ist die Arbeitslosenzahl nicht, wie befürchtet, auf fünf Millionen angestiegen. Fünf Millionen – das wäre eine Katastrophe gewesen: für die betroffenen Arbeitnehmer, aber auch für Wirtschaft und Gesellschaft, weil Angst alle Arbeitnehmer und Konsumenten gelähmt hätte. Aber auch für die Unternehmen, die gerade ihre Produktion hochfahren. Denn in der modernen Wissensgesellschaft sind die Unternehmen auf qualifizierte, motivierte und erfahrene Mitarbeiter angewiesen. Ihr Verlust ist kurzfristig nicht mehr auszugleichen. Vorbei die Zeiten, in der kollektive Arbeiterheere mal angeheuert, mal gefeuert wurden. Die Wissensspezialisten sind nicht mehr durch einen Anschlag am Firmentor zu finden.
Dass Entlassungen vielfach vermieden werden konnten, ist ein Erfolg der Kurzarbeitspolitik. Aber mehr noch haben dazu Arbeitszeitkonten, flexible Arbeitszeitverkürzung und eine Lockerung der Tarifverträge auf Betriebsebene beigetragen – damit haben die Unternehmen ihre Stammbelegschaften gehalten und die Gewerkschaften ihren Teil zum Jobwunder beigetragen.
Wie immer gibt es auch hier zwei Seiten der Medaille. Die konjunkturelle Erholung kommt jetzt auf dem Arbeitsmarkt mit Verspätung an. Erst werden die abgeräumten Arbeitszeitkonten wieder aufgefüllt – die Arbeitszeitschulden, die die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern eingeräumt haben, müssen zurückbezahlt werden. In über 50 Prozent der Fälle sind Neueinstellungen zeitlich befristet. Im Arbeitsmarktdeutsch sind das sogenannte „atypische Beschäftigungsverhältnisse“ – schlechter bezahlt, zeitlich beschränkt und mit niedrigerem Kündigungsschutz ausgestattet. Sie werden zum Normalfall. Darunter ist zudem ein neuer Niedriglohnsektor entstanden.
Das ist dann nicht so schlecht, wenn diese Mitarbeiter die Chance haben, doch noch in ein stabileres und besser bezahltes Arbeitsverhältnis überzuwechseln. Untersuchungen zeigen, dass in der Industrie fast 60 Prozent der atypischen Arbeitsverhältnisse in solidere Formen umgewandelt werden – Zeitarbeit ist das Eingangsportal zur Stammbelegschaft. Nur im öffentlichen Dienst stehen Beamte und Angestellte in weiterhin bombensicheren Positionen unversöhnlich dem Heer der zeitlich befristeten Praktikanten und Projektmitarbeiter gegenüber, die kaum jemals in festere Verträge übernommen werden. So altern die grauen Männer in Behörden, aber auch in Theatern und Hochschulen vor sich hin, während jüngere Bewerber und Bewerberinnen kaum jemals eine echte Berufschance erhalten, und mögen sie noch so begabt, gebildet und leistungsbereit sein.
Aber will man beim Beamtenmikado („wer sich rührt, hat verloren“) wirklich mitspielen? Flexibilität ist nicht nur Bedrohung, sondern auch Herausforderung, ja Freiheit. Einmal da – immer da: Für immer weniger Menschen ist das ein erstrebenswertes Lebensmodell. Das Zeitalter der arbeitnehmerzentrierten Industriegesellschaft geht unweigerlich zu Ende. Mit der Arbeitswelt ändert sich auch unsere Lebenswelt. „Arbeitskraftunternehmer“ oder „Intrapreneure“ prägen das neue, schillernde Bild des Arbeitsmarkts und der daran hängenden Lebensentwürfe.
Das Jobwunder steht damit auch für Reformerfolge und neue Lebensstile.
(Erschienen am 26.06.2010 auf Wiwo.de)
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