Nicht Sparmaßnahmen retten Zeitungen und Zeitschriften, sondern Faszination und guter Journalismus. Der Spiegel kämpft um das wirtschaftliche Überleben, aber das Heft wirkt uninspiriert. So wird das nichts.
Der SPIEGEL kämpft in diesen Tagen um seine Existenz. Da sollte man erwarten, dass das Magazin nach Themen sucht, die die Leser nicht nur zum Kauf locken, sondern auch ein Qualitätsversprechen einlösen. Der aktuelle Titel tut das nicht: Das Thema ist knochentrocken, die Titelzeile signalisiert keine eindeutige Botschaft.
Uninspiriert lesen sich die neun Seiten der Redakteure Marcel Rosenbach, Cornelia Schmergal und Hilmar Schmundt – ohne klare Stoßrichtung. Ist es gut oder schlecht, wenn private und öffentlich-rechtliche Konzerne Gesundheitsdaten sammeln? Wer verdient daran und wie viel? Welcher konkrete Nutzen ist erkennbar? Wer gibt überhaupt Parameter vor, nach denen beurteilt wird, ob jemand ein „gesundes“ Leben führt? Wo verläuft die Trennlinie zwischen Lifestyle und Medizin? Die existenziellen Fragen, die nur allzu kurz gestreift werden, einmal ganz außen vor gelassen. So bleibt die Quintessenz mit der Reduzierung auf die IT-Sicherheit erschreckend eindimensional. Wenn die Redakteure bei diesem Thema keine gesellschaftliche relevante Botschaft extrahieren, ist der Chefredakteur überfordert. Da muss man sich die Doppelbödigkeit des Titels „Totel vermessen“ auf der Zunge zergehen lassen. Welche gesellschaftlichen Auswirkungen eine totale Vermessung mit Gesundheitsdaten haben kann, beschreibt die Schriftstellerin Juli Zeh in ihrem Roman „Corpus Delicti“.
Wie langatmig Berichterstattung sein kann, wenn ein Journalist zu nahe dran ist, illustriert das Gabriel-Portrait „Und der Morgen grüßt schön“. Alexander Osang hat den Vizekanzer über mehrere Wochen begleitet und kämpft in seinem Stück über Sigmar Gabriel sichtlich mit Beißhemmung. Heraus kommt ein ambivalentes Stück, in dem Osang den SPD-Vorsitzenden als Strategen ohne Biss und ohne Willen zum Wahlsieg skizziert. Noch in der „Hausmitteilung“ las man zum Verhältnis des Vizekanzlers zum SPIEGEL: „Anfangs hatte Gabriel dem SPIEGEL noch gegrollt; er fühlte sich nicht gut behandelt, nicht angemessen beschrieben.“ Ob er sich auf diesen knapp 6 Seiten angemessen beschrieben fühlt? Als in sich ruhende Persönlichkeit Sigmar Gabriel vielleicht. Als Kanzlerkandidat dürfte er sich selbst sicherlich anders sehen. Nicht ganz nebenbei: Die das Portrait begleitenden Bilder sollen wohl staatsmännisch rüberkommen, wirken aber erschreckend starr. Den gewollten oder ungewollten Dolchstoß setzt die Bildzeile zu seinem Besuch am 21. November in Paris, die so unpassend ist, dass sie sogar dem „Hohlspiegel“ alle Ehre machen würde.
Was gibt es Lesenswertes in dieser Woche? Der Essay von Thomas Darnstädt „Was sagt denn das Volk?“ ist eine Aufarbeitung der Volksabstimmung in Hamburg zur Olympiabewerbung. Seine These: Die Gleichung, dass mehr Volksbefragung zugleich auch mehr Demokratie bedeutet, geht nicht auf.
Als Lektüre sehr zu empfehlen ist das SPIEGEL-Gespräch „Wir sind Späne der Geschichte“ von Susanne Beyer und Tobias Rapp mit der weißrussischen Literatur-Nobelpreisträgerin Swetlana Alexijewitch. und einem einfach göttlichen Ausstieg: „Wenn die Schneiderin der Schriftstellerin einen Diamanten gibt – das nenne ich Sozialismus.“
Im Beitrag „Das Gefühl der Erniedrigung“ von Georg Diez über seine Begegnung mit dem französischen Schriftsteller Alexis Jenni, dessen preisgekrönter Roman „Die französische Kunst des Krieges“, der wie Diez schreibt, „eine historische Tiefenbohrung von brennender Aktualität“ ist. Die Folgen der französischen Kolonialzeit auf den Zustand der heutigen französischen Gesellschaft, den vordrängenden Fatalismus Frankreichs beschreibt Jenni mit dem „tragisch-schönen“ Satz: „Frankreich ist eine Art zu sterben, das Leben in Frankreich ist ein langer Sonntag, der böse endet“.
Und zuletzt: Wie viel Lebensweisheit und Philosophie im Umgang mit einem Küchenautomaten stecken kann, beschreibt Manfred Dworschak mit feiner Feder.
Der Spiegel langweilig in dieser Woche über weite Strecken. Solange die Führungscrew nicht darum kämpft, sich am Kiosk durchzusetzen, werden die Verkaufszahlen nicht besser werden.
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