Der Spiegel Nr. 42 – „Russlands Weltmachtspiele – Putin greift an“

Den Blick über die Themen und Fakten der Woche überlassen die Hamburger in dieser anderen.

Es war einmal ein Hamburger Nachrichtenmagazin. Das hatte der sich zur Aufgabe gestellt, über die wichtigsten Themen einer Woche zu berichten. Das erfordert hohe journalistische Kompetenz und viel Einsatz. So wurde der Hamburger „Spiegel“ zur Pflichtlektüre einer ganzen Generation. Das ist schon lange her. Mittlerweile sind die Helden müde, und der Spiegel ist keine Pflichtlektüre mehr.

Die Münchner Affäre um das erfundene Opfer im NSU-Prozess wird vom Spiegel übergangen. Das epochale „Facebook-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs und dessen möglichen Auswirkungen auf unser digitales Leben, auf Businessmodelle, Cloud, TTIP und vieles mehr wird von Marcel Rosenbach allzu oberflächlich kommentiert. Dass der chinesischen Wissenschaftlerin Youyou Tu, die einen Wirkstoff gegen Malaria aus der traditionellen chinesischen Medizin heraus entwickelt hat, der Nobelpreis für Medizin zuerkannt wurde, ist der naturheilkunde-feindlich schreibenden Wissenschaftsredaktion des „Spiegel“ gerademal neun Wörter wert wert. Wortreich dagegen feiert Spiegel-Autor Jörg Blech die Pharmaindustrie, weil sie die Armen der Welt in Afrika und Südamerika mit einem von den beiden anderen Nobelpreisträgern für Medizin, von dem japanischen Biochemiker Satoshi Omura und dem Parasitologen William Campbell, beschenke.

Auf dem Titel warnt der Spiegel wieder einmal vor Putin und schürt damit die German Angst. Wenn man denn, wie der Spiegel ein weltweites Korrespondentennetz hat, warum werden diese bei solchen Themen wie der angeblichen russischen Weltgefahr nicht einbezogen? Was sagen die Südamerikaner, Afrikaner, Chinesen, Inder und Kanadier eigentlich zum Säbelrasseln aus Moskau?

Es überrascht kaum, dass der in der letzten Woche pompös von Chefredakteur Brinkbäumer ins Heft gehobene Text „Der letzte Deutsche“ von Botho Strauß von Nachbetrachter Nils Minkmar im Debatte-Beitrag „Deutsche Zuversicht“ als Gezeter eines kleinbürgerlichen und kleinmütigen Intellektuellen enttarnt wird. Minkmar konstatiert, dass wir im besten und beliebtesten Deutschland aller Zeiten leben und uns darin gefälligst wohlzufühlen haben.

Zumindest Sahra Wagenknecht glaubt das wohl nicht. Arbeitet sie doch weiterhin emsig daran, in Deutschland doch noch das Arbeiter- und Bauernparadies zu etablieren. Dazu, so enthüllt Marc Hujer nach Befragen von Wagenknechts Ex-Ehemann, hat sie einen perfiden Plan in petto: In den nächsten beiden Jahren soll die SPD sturmreif geschossen und dann in Raider-Manier durch die Linke kurzerhand übernommen werden. Bei der Lektüre dieses Unsinns wird Sigmar Gabriel der Schreck in die Glieder gefahren sein.

Auch sonst hat das Paradies Deutschland noch einige Macken, wie Alexander Neubacher und Ralf Neukirch im Beitrag „Zum Verrücktwerden“ nach ihrem Streifzug durch den deutschen Vorschriftendschungel enthüllen.

Aber im Paradies Deutschland geschieht auch Märchenhaftes. Die Straßenmusikerin Elen Wendt, säuselte am Alex in Berlin dem an einem sonnigen Tag ahnungslos vorbeischlendernden Marius Müller-Westernhagen einige Takte ins Ohr und wurde von der Straße weg vom Superstar für dessen Abschlusskonzert seiner Tour Ende Oktober als Vorband engagiert (Juan Moreno, „Geile Alte, Alter“).

Darüber hinaus ist der Spiegel müde und lahm. Dietmar Hawranek kommt auf die wenig überraschende Idee, dass im Biotop Wolfsburg Politiker, Betriebsräte und Vorstände recht konfliktscheu miteinander umgehen. Diese sensationelle Erkenntnis dürfte bei den Lesern nicht mehr als ein Gähnen hervorrufen, zumal der Autor keine News präsentiert.

Schwach ist zudem der Beitrag „Kultur des Wegtauchens“ von Martin Hesse über John Cryan als neuen Aufräumer bei der Deutschen Bank. Dabei fällt auf, dass Paul Achleitner in dem Bericht über die Sünden der letzten Jahre Randfigur ist. Beim Spiegel sind solche Details kein Zufall.

Am Rande notiert: Das Interview von Martin U. Müller mit taz-Chefredakteur Georg Löwisch „Es muss ja was los sein“ unter anderem über die Steigerung der Frauenquote sollte an der Hamburger Ericusspitze zu eigenen Betrachtungen führen. In dem aktuellen Spiegel weisen nur vier Beiträge auf 8 von 146 Seiten Frauen als alleinige Autorinnen aus, zwei weitere (7 Seiten) als Mitautorinnen.

Die Berichterstattung über Fakten überlassen die Hamburger in dieser Woche der ungeliebten Münchner Konkurrenz.

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