Einen Euro kann man nicht zweimal ausgeben

Wer die Sozialausgaben massiv steigert, kann nicht gleichzeitig die Investitionen erhöhen, ohne neue Kredite aufzunehmen. Das lernt Olaf Scholz gerade.

© Michele Tantussi/Getty Images

„Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an als eine demokratische Regierung eine Budgetreserve.“ Das Zitat von Joseph Schumpeter, einem der einflussreichsten Nationalökonomen in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, beschreibt zutreffend die Mentalität der herrschenden Politik. So wenig wie der Christdemokrat Wolfgang Schäuble ein „Spar“politiker war, so wenig setzt sein sozialdemokratischer Nachfolger Olaf Scholz dessen „Sparpolitik“ fort. Nicht nur linke Sozialdemokraten werfen das dem Bundesfinanzminister am Tag der Präsentation seines Haushaltsplanentwurfs für das laufende Jahr zwar vor. Doch mit der Realität hat das wenig zu tun.

Deutschland: gefährlicher Müßiggang
Schäuble hatte seine schwarze Null wesentlich zwei Faktoren zu verdanken: der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) und der guten Konjunktur mit einem florierenden Arbeitsmarkt. Nach Berechnungen der Bundesbank mussten die öffentlichen Haushalte Deutschlands in den vergangenen zehn Jahren, also seit Beginn der Finanzkrise 2008 und der darauf einsetzenden Niedrigzinspolitik, insgesamt 290 Milliarden Euro weniger an Zinsen bezahlen als bei Durchschnittszinssätzen, wie sie im Jahr zuvor galten. 2007 betrug die Durchschnittsverzinsung der deutschen Staatsschulden 4,3 Prozent per annum, 2017 lag sie bei knapp unter 2 Prozent im Jahr. Dass dieser massive Vorteil für den Staat gleichzeitig massive Substanzverluste für Sparer bedeutet, ist auf Tichys Einblick schon oft kritisiert worden. Auch die volkswirtschaftlichen Allokationsverluste, die dadurch entstehen, dass Investoren wegen des Wegfalls der Risikoprämie Zins oft ohne Verstand ihr Geld in vermeintlich hochrentierliche, aber riskante Anlageformen stecken, müssten eigentlich bekannt sein.

Das Danäer-Geschenk der EZB firmiert als „Sparpolitik“

Der Selbstbetrug der Politik drückt sich in einer schlichten Zahl aus. Im vergangenen Jahr gaben Bund, Länder und Gemeinden rund 50 Milliarden Euro an Zinsen weniger aus, als sie zehn Jahre zuvor in ihren Haushalten zu bezahlen gehabt hätten. Ohne diese Zinsersparnisse hätte Deutschland im vergangenen Jahr keinen Budgetüberschuss verzeichnet, hätten weder Wolfgang Schäuble noch die meisten seiner Länderkollegen „schwarze Nullen“ oder gar Schuldentilgungen vermelden können. Für dieses Danaer-Geschenk der EZB hat sich das Narrativ „Sparpolitik“ in den Köpfen festgesetzt. Jahrelang sind verantwortliche Regierungspolitiker damit auch gern hausieren gegangen. So wirkmächtig ist dieses angebliche „Spar“-Narrativ, dass sich Olaf Scholz schon seit Wochen aus der eigenen Partei heftige Kritik gefallen lassen muss, weil er keine neuen Kredite aufnehmen will, um in der Spur von Schäubles „schwarzer Null“ zu bleiben.

Drei quälende Debattentage
Mini-GroKo: Kein Aufbruch, nur Trotz und leere Worte
Die Hauptangriffsflanke bietet der Haushaltsentwurf des Bundesfinanzministers, der in der SPD bereits als „Wolfgang Scholz“ stigmatisiert wird, vor allem mit dem Rückgang der bundesstaatlichen Investitionsmittel, die sich in der von ihm vorgelegten mittelfristigen Finanzplanung niederschlägt. Denn die Investitionen werden von derzeit 37 Milliarden Euro im Jahr auf 33,5 Milliarden Euro im Jahr 2022 sinken. Die nackten Zahlen belegen das Gegenteil von dem, was Christ- und Sozialdemokraten lautstark in ihrem Koalitionsvertrag versprochen haben: Zukunftsinvestitionen!

Mehr Sozialstaat statt Zukunftsinvestitionen

Weil allerdings die Sozialausgaben massiv gesteigert werden, wächst in der mittelfristigen Finanzplanung das Haushaltsvolumen des Bundes von heute rund 240 Milliarden auf deutlich über 260 Milliarden Euro. Union und SPD kennen bei der Ausweitung neuer sozialer Leistungen keine Grenzen. Schon seit einer Reihe von Jahren wachsen die Sozialausgaben stärker als die volkswirtschaftliche Jahresleistung, das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Steigende Sozialausgaben gehen also auch zu Lasten der dringend benötigten Investitionen, die für den Kapitalstock unserer Volkswirtschaft unerlässlich sind, weil sich daraus wieder zukünftiges Wachstum generiert.

Nicht die vermeintliche „Sparpolitik“ ist ursächlich für das Absinken der Investitionsquote, sondern die weitere Aufblähung des Sozialstaates. Die gewaltigen Ausgabesenkungen bei den Zinsen und die massiven Einnahmesteigerungen bei Steuern und Sozialabgaben haben die Regierungen der vergangenen Jahre sofort verprasst, statt sie für Investitionen und eine Entlastung der Steuer- und Abgabepflichtigen einzusetzen, die – zumindest als Singles – fast nirgendwo auf der Welt so hoch abkassiert werden wie in Deutschland.

Akute Ignoranz
Politisch gewollte Staatsverwahrlosung
Doch ich fürchte, es ist vergebliche Liebesmühe, auf Einsicht und Vernunft der Berliner Regierung zu hoffen. Deshalb wird die verbreitete Kritik an den sinkenden Investitionsausgaben nicht zu einem Verzicht auf die Ausweitung sozialstaatlicher Leistungsversprechungen führen. Der Sargnagel für die „schwarze Null“ ist in den Koalitionsfraktionen längst geschlagen. Der Widerstand in der Unionsfraktion ist im Zweifelsfall wie immer überschaubar. Munter wird deshalb auch Deutschland wieder sein Heil in neuen Krediten suchen, weil „wir uns nicht tot sparen dürfen und ansonsten die Zukunftsfähigkeit des Landes gefährdet“ sei.

So oder so ähnlich wird es in den kommenden Monaten auf allen Kanälen tönen. Kritische Stimmen werden genau so wenig Gehör finden wie in der Vergangenheit. Denn sonst hätte sich die verlogene Erzählung von der deutschen „Sparpolitik“ nicht in der Öffentlichkeit festsetzen können. Vielleicht muss man auch Schumpeters Bonmot um eine Variante ergänzen: „Der Wähler will immer mehr Sozialstaat von der Politik. Deshalb bestraft er echte Sparpolitik mit Stimmentzug.“

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Kommentare ( 48 )

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Alf
6 Jahre her

Die schwarze Null ist eine Person und keine Zahl.
Die schwarze Null will darüber hinwegtäuschen, daß der Staat längst insolvent ist.
Ein ehrbarer Politiker, der angesichts der für Deutschland geltenden Randbedingungen eine schwarze Null bilanziert, säße im Gefängnis. Falsch, dieser Satz gilt nur für den ehrbaren Kaufmann. Dieser würde bestraft. Ein Politiker kann für Ehrlosigkeit nicht bestraft werden. Mögen doch künftige Generationen, der kleine Mann, die Zeche zahlen.
Deutsche Sparpolitik? Nullzinspolitik, der Sparer zahlt und der Staat spart. Schlimm ist, daß unsere ehrbaren Politiker dies noch feiern. Unglaublich.
Wer sein Saatgut vor der Aussaat frißt hat nichts zum Ernten.

Schwabenwilli
6 Jahre her

Das ist genau die Politik die auf dreieinhalb Jahre koordiniert ist, danach? Egal, weil die Verantwortlichen werden weg sein. U.U. darf die AFD sogar noch den ganzen Dreck aufräumen und sich dabei natürlich äußerst unbeliebt machen, den dann stehen schmerzvolle Reformen an und dumm wie die Leute sind heißt es, „was ging es uns doch bei Frau Merkel gut“. Es ist zum Mäuse melken.

Anna
6 Jahre her

Warum dürfen Politiker mehr ausgeben als sie einnehmen?
Ich denke, die Deutschen haben noch gar nicht begriffen, daß es IHR Geld ist, das da verbrannt wird. Generiert ein Staat Geld? Nein, er haushaltet ausschließlich mit Steuergeldern!
Was berechtigt Politiker Schulden zu machen? Um Wahlgeschenke zu machen?
Diese Taktik sollten jedoch die Wähler durchschauen, um diesem ganzen Irrsinn mit Schulden und Zinsen ein Ende zu setzen. Denn letztendlich ist es doch nur IHR Geld.

Mühlberger
6 Jahre her

Die Steuereinnahmen steigen, aber nicht einmal der Soli wird abgeschafft. Jeder Teamleiter bei Daimler gehört heute schon zu den Top- Steuerzahlern. Was erhalte ich vom Staat: Straßen auf dem Stand er 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, ein marode Eisenbahn. Im Vergleich zu unseren europäischen Nachbarn ist Deutschland heruntergekommen und verwahrlost.

Jörg Themlitz
6 Jahre her

Simone Lange Kandidatin für den Parteivorsitz der SPD auf dem Parteitag in Wiesbaden, sinngemäß: Ich bin gegen eine schwarze Null. (Sie meinte nicht Merkel.) Es gibt so viele Arme in Deutschland die müssen unterstützt werden.
Leute fresst die Saatkartoffeln auf. Das funktioniert dann im nächsten Jahr schon irgendwie.
Wer wählt jemanden mit so einer Denke zur Oberbürgermeisterin von Flensburg?
Am Bier kann es nicht liegen.

GermantheGerman
6 Jahre her

Länder wie Frankreich wollen doch die Vergemeinschaftung von Schulden (besser: Länder wie Frankreich wollen Schulden machen und Deutschland bezahlt). ALSO, warum machen wir nicht mit? Wir bringen unsere Infrastruktur aud Vordermann, bauen neue Schulen und Universitäten, führen eine Mindestrente ein etc pp. und wenn wir dann richtig Schulden haben, hängen wir diese den Franzosen, Italinern und Griechen über, immerhin haben diese das doch so gewollt? Und wenn schon pleite, dann wenigstens mt neuen Straßen…

Kassandra
6 Jahre her
Antworten an  GermantheGerman

Geht nicht – wir haben millionenfach zu Alimentierende am Hals. Für so dolle Sachen wie Infrastruktur für die Zukunft bleibt da nichts übrig!

Gerd Körner
6 Jahre her
Antworten an  GermantheGerman

Es wäre zu schön um wahr zu sein, aber es funktioniert einfach nicht. Selbst wenn Olaf Scholz das milliardenschwere Füllhorn über uns ergießen würde, um Investitionen anzuschieben, es würde trotzdem nicht funktionieren. – Der Zustand der Bundeswehr ist hierfür ein Paradebeispiel! Veranschlagte Gelder, die in Ausrüstung und Gerät investiert werden sollten, verfallen, weil das erforderliche Fachpersonal in der Bundeswehrverwaltung an allen Ecken und Enden fehlt. Und nicht nur bei der Bundeswehr. Wir können alle Bereiche des Öffentlichen Dienstes durchgehen, von der Justiz über die Verwaltung bis hin zur Polizei, und sehen überall das gleiche Dilemma. Deutschland lebt nur noch von… Mehr

T. Pohl
6 Jahre her

Wer wird uns verraten ? Sozialdemokraten! Wer ist mit dabei ? Die Zentrumspartei (CDU)!

Ursula Schneider
6 Jahre her
Antworten an  T. Pohl

Wer gießt noch Öl ins Feuer? Grüne und linke Ungeheuer.
Wer steht dumm daneben? Die FDP – eben.
Kann noch einer retten das Land?
Wohl kaum – es fährt an die Wand …

Hajo
6 Jahre her

Eher legt sich ein Hund einen Wurstvorrat an, als eine Regierung eine Budgetreserve, so die Ausssage. Vermutlich verstehen beide nichts davon oder sie sind finanziell am Ende, denn Merkels Gäste belasten den deutschen Haushalt im Unverstand, dazu kommen noch höhere Abgaben Richtung Brüssel und der neu geforderte Verteidigungsetat muß ja schließlich auch finanziert werden und weist eben die bundesrepublikanische G + V einen Minusbetrag auf, der natürlich zu weiteren Lasten der arbeitenden Bevölkerung führt und in Konsequenz auf Steuererhöhungen hindeuted und der gebeutelte Arbeitnehmer darf dann noch zusätzlich später in Rente gehen, damit er nicht den Rentenhaushalt belastet und so… Mehr

Matthias Losert
6 Jahre her

„Der Wähler will immer mehr Sozialstaat von der Politik. Deshalb bestraft er echte Sparpolitik mit Stimmentzug.“ – Hr. O. Metzger

Wie ärgerlich, dass der Wähler auch noch eine konkrete politische Gesaltung von Parteien fordern kann!

Mons. Laissez-faire
6 Jahre her
Antworten an  Matthias Losert

Es existiert keine erkennbare Forderung vom Wähler nach einer „konkreten“ politischen Gestaltung, da weder in den Steuereinnahmen noch in den Wahlergebnissen „konkrete“ Informationen enthalten sind. Weder der Staat noch sonstwer kann die verstreuten Informationen über die subjektiven Präferenzen und deren relativen Gewichtungen zueinander aller Bürger zentralisieren und in „konkrete“ Politik umsetzen, so dass die knappen Ressourcen den Wünschen der Bürger entsprechend zugeteilt und eingesetzt werden. Schon allein aufgrund dieses unlösbaren Informationproblems kann de Regierung niemals den „Wählerwillen“ effizient bedienen, verschwendet immer knappe Ressourcen und trägt mit jedem Euro an Staatsausgaben zu einer relativen Verarmung der Gesellschaft bei, im Vergleich zur… Mehr

Axel Jung
6 Jahre her
Antworten an  Mons. Laissez-faire

„Schon allein aufgrund dieses unlösbaren Informationproblems kann de Regierung niemals den „Wählerwillen“ effizient bedienen“.
Darauf kommt es doch überhautp nciht an. Letztlich ist entscheidend, dass die Wähler das Gefühl haben , dass ihr Wille bedient wird.
Mal angeonmmen, ihre Aussage sei richtig, dann interpretiere ich die tatsächliche oder vermeintliche Ineffizienz als den Preis, den wir alle für unsere Demokratie und unser Recht auf politische Mitbestimmung zahlen (müssen).

Axel Jung
6 Jahre her
Antworten an  Mons. Laissez-faire

„Es existiert keine erkennbare Forderung vom Wähler nach einer „konkreten“ politischen Gestaltung,“

Aha, und was bitte sonst drückt sich dann im Rahmen der politischen Willensbildung aus? Natürlich hat ein jeder Staatsbürger konkrete Vorstellungen, die dann von den Parteien und dem Parlament moderiert und umgesetzt werden.

Peter Gramm
6 Jahre her

alles richtig. Vergessen dabei wurde nur der Arbeitsmarkt mit seinen prekären Arbeitsverhältnissen. Die Folgen daraus werden wir sehen wenn diese Leute in Rente gehen und zusätzliche Mittel benötigen um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Mit den mageren Rentenbeiträgen, wenn überhaupt wird dies nicht möglich sein. Dies wird permanent verschwiegen oder vergessen. Auch die Krankenkassenkosten (Beiträge und/oder Leistungen) werden gewaltig ansteigen. Die Migrationskosten kommen mit Verzögerung, dann aber gewaltig. Unsere Wirtschaft läuft eben nicht rund, wenn auch die Ökonomen etwas anderes vermitteln wollen. Sie lagen mit ihren Prognosen mit schöner Regelmäßigkeit daneben. Von den momentan gar nicht abzuschätzenden Kosten des Familiennachzugs mal… Mehr

Kassandra
6 Jahre her
Antworten an  Peter Gramm

Wieso kommen die Migrationskosten verzögert?
Verteilt auf etliche Töpfe von Bund/Land und Kommune kostet jeder Neuzugang doch permanent pro Monat irgend etwas zwischen Euro 1.500,– und Euro 6.000,–.
Je nach Alter.
Krankheitskosten wahrscheinlich nicht einmal eingerechnet.
Und zudem die Kosten für Kollateralschäden noch nicht eingepreist.

Peter Gramm
6 Jahre her
Antworten an  Kassandra

so lange die Ankömmlinge in Flüchtlingsunterkunften (Sammelunterkünften) untergebracht sind sind die Kosten überschaubar, wenn aber die Leute in Einzelwohnungen verbracht werden und vielleicht dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen werden die Unterbringungskosten explodieren.