„Obergrenze“: SPD und CSU deuten Papier entgegengesetzt

Das Sondierungspapier enthält zahlreiche Formulierungen, unter denen sich jeder vorstellen kann, was er will – vielleicht auch gar nichts. Ein markantes Beispiel dafür sind die Formulierungen zur Obergrenze.

Die CSU behauptet, sie habe ihre Obergrenze bei den Sondierungsgesprächen durchgesetzt. Laut Martin Schulz sagen die Formulierungen in der Vereinbarung jedoch rein GAR NICHTS. In dem Papier heißt es: „Bezogen auf die durchschnittlichen Zuwanderungszahlen, die Erfahrungen der letzten zwanzig Jahre sowie mit Blick auf die vereinbarten Maßnahmen und den unmittelbar steuerbaren Teil der Zuwanderung – das Grundrecht auf Asyl und die GFK bleiben unangetastet – stellen wir fest , dass die Zuwanderungszahlen (inklusive Kriegsflüchtlinge, vorübergehend Schutzberechtigte, Familiennachzügler, Relocation, Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwilligen Ausreisen künftiger Flüchtlinge und ohne Erwerbsmigration) die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden.“

Schulz: Wir haben gar nichts gesagt

Die CSU behauptet, sie habe damit ihre Forderung nach einer Obergrenze durchgesetzt. Nur das Wort werde vermieden, inhaltlich sei es jedoch genau dies. Beleg: Es werde die Zahl von 180.000 bis 220.000 genannt, sodass die CSU-Zielgröße von 200.000 genau in der Mitte liegt. Martin Schulz widerspricht jedoch in einem Interview in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN SONNTAGSZEITUNG. Es gebe keine Obergrenze. Auch keine Obergrenze light. „Das ist falsch. Ich empfehle, den Text genau zu lesen. Da steht: Wir stellen fest, dass es in den letzten Jahren, außer 2015, eine Zahl von jeweils 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge gegeben hat. Die Union wollte schreiben: Das soll auch in Zukunft so sein. Das haben wir abgelehnt.“
Nun, das ist eine etwas eigenartige Deutung der deutschen Sprache. Denn in dem Papier heißt es, „dass die Zuwanderungszahlen… die Spanne von jährlich 180.000 bis 220.000 nicht übersteigen werden.“ Schulz meint, es sei nur eine unverbindliche Feststellung über Zahlen der Vergangenheit getroffen worden, ohne jede Bedeutung für die Zukunft. Auch im Fernsehinterview unterstrich er, dass die Zahl rein gar nichts sage und nur eine Feststellung über die Vergangenheit sei.

Eine Unglaublichkeit nach der anderen
Zuwanderung, Chaos oder Irreführung
Frage: Wenn schon einen Tag nach Verabschiedung des Papiers beide Parteien (SPD und CSU, die CDU hat ja ohnehin zu keinem Thema eine Meinung) genau das Gegenteil herauslesen: werden die Funktionäre und die Mitglieder der SPD dann zustimmen? Und was hieße das für Koalitionsverhandlungen? Würde die CSU der Deutung von Schulz zustimmen, bräuchte sie bei den Bayernwahlen gar nicht erst antreten. Umgekehrt: Wenn Schulz zugäbe, dass eine Obergrenze festgeschrieben wird, würde dies die Chancen der Jusos und anderer GroKo-Gegner in der SPD noch einmal erhöhen – mit dem Ergebnis, dass es gar nicht erst zu Koalitionsverhandlungen käme.

Ich selbst habe dazu ohnehin eine ganz andere Meinung: Deutschland hat seit 2015 so viele Zuwanderer aufgenommen, dass wir uns die nächsten Jahre darauf konzentrieren sollten, wie wir mit den daraus entstehenden Problemen zurecht kommen, statt uns Gedanken zu machen, wie wir in der nächsten Legislaturperiode noch einmal 800.000 aufnehmen.

Sondierungspapier extrem schwammig – Beispiel: Mietpreisbremse

Auch in zahlreichen anderen Punkten ist das Papier extrem schwammig und mit der heißen Nadel gestrickt. Ich habe das für den Bereich überprüft, von dem ich am meisten verstehe – Wohnungspolitik und Mietrecht. Dort heißt es beispielsweise, man wolle „durch Schaffung gesetzlicher Grundlagen die Einführung und Anwendung des ‚qualifizierten Mietspiegels’ verbreitern“. Was das konkret heißen soll, kann man nur raten. Es ist zu vermuten, dass die SPD dabei die Ausweitung des Bezugszeitraumes der ortsüblichen Vergleichsmiete von vier auf möglicherweise acht Jahre im Auge haben könnte, was dazu führen würde, dass das Niveau der ortsüblichen Vergleichsmiete eingefroren wird oder sinken könnte. Faktisch würde das eine erhebliche Verschärfung der Mietpreisbremse bedeuten. Zudem soll, so heißt es in dem Papier, eine „Verlängerung des Bindungszeitraumes für einen qualifizierten Mietspiegel geprüft werden“. Die Begrifflichkeit „Bindungszeitraum“ gibt es jedoch im Mietrecht im Zusammenhang mit Mietspiegeln gar nicht, so dass es schwer fällt, zu erraten, was vielleicht gemeint sein könnte.

Das sind nur Beispiele für ein unausgegorenes Papier, das in erster Linie dazu dienen soll, die Funktionäre der SPD zur Zustimmung zu bewegen. Ob das angesichts der Tatsache, dass die wichtigen sozialdemokratischen Neidthemen (Erhöhung des Spitzensteuersatzes, Bürgerversicherung) fehlen, gelingen wird, erscheint aus meiner Sicht keineswegs sicher. Schon wird von der Hessen-SPD gefordert, dass nachverhandelt werden solle.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 72 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

72 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen
Gero Hatz
6 Jahre her

Die ersten Opfer dieser widerwärtigen Schmiere wird die CSU sein. Chulz ist klar für offene Grenzen und das wird er auch in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen müssen, sonst gibts von der Basis eins hinter die Löffel. Die CSU muss mit diesem Resultat in die Landtagswahl, und selbst wenn die Sturmgeschütze des Staatsfunks wie gehabt gegen die AfD trommeln werden, wird ein Wahlsieg der AfD in Bayern wahrscheinlich. Das war es dann für Mutti Chulz und Drehhofer; Neuwahlen in Deutschland werden möglich.

reinerhanskurt
6 Jahre her

Wenn das eine Obergrenze sein sollte, müsste man auch zu erkennen geben, wie man das kontrollieren wollte. Faktisch gibt es außer Stichproben keine Grenzkontrollen und im übrigen wird auch keiner an der Grenze zurückgewiesen. Es ist also dem Zufall überlassen, in welcher Größenordnung sich die illegale Einreise einpendelt. Auch die Ermittlung der Einreiserouten wird nicht geklärt oder zumindest nachgefragt.

Arminius
6 Jahre her

Die richtigen Fragen werden nicht gestellt. Wer organisiert diese Migration? Wer bezahlt sie, warum kommen JETZT die ganzen Islamisten, warum kommen sie nur aus bestimmten Ländern? Zb. kommt keiner aus Ägypten. Der verantwortliche verein dahinter ist die Paneuropäische Union, deren langjähriger Anführer Otto Graf von Habsburg war. In der Hofburg hatte dieser Verein seinen Hauptsitz. Der Anfang der Migrationswelle begann bereits 1989 mit dem paneuropäischen Picknich, das war die kurzfristige (organisierte) Öffnung der Grenze in Ungarn, durch die einige tausend Ost-Deutsche flüchten konnte, der Rest ist Geschichte. Für Deutschland ist ein Wechsel vorgesehen, die Übergabe an Muslime. Dafür stehen die… Mehr

MBod
6 Jahre her

Der einzige Kommentar hierzu kann nur sei:
AUFHÖREN !!!
und zusätzlich,
an die SPD:
quält uns nicht länger mit diesem unsäglich Import aus Brüssel !
an Tichys:
versucht es bitte, für ein paar Monate, mal ohne Bilder von GroK.O. Anwärtern.., mir wird jedesmal speiübel..

Peter Gramm
6 Jahre her

welche Qualifikation als Verhandlungsführer brachte Herr schulz mit. Buchhändler und dann EU-Bürokrat ohne große Verantwortung (besser gesagt Frühstücksdirektor). Das Ergebnis ist ein nichtssagendes, beleiebig auslegbares Geschwurbel in Vertragstexten welches jeder für sich auslegen darf wie er will. Grausam.

Der Skorpion
6 Jahre her
Antworten an  Peter Gramm

Doch er hat noch eine weitere Qualifikation und zwar als Alkoholiker, ebenso wie sein Kumpel und Pappkamerad Juncker. Schulz ist dermaßen lächerlich und unglaubwürdig, dass man mit ihm fast schon Mitleid haben muss. Allerdings tun mir eher Deutschland und meine Landsleute leid, die von so einem wirren Dummschwätzer im Verein mit der dementen Nichtssagenden und ihrer Machterhaltungskaste verkauft werden. Deutschland wird gerade von dieser vor sich hin faulenden selbsternannten Elite und deren Migrationstruppen vergewaltigt. Eine Mehrheit will das anscheinend so.

Watzmann
6 Jahre her

Wie auch immer man die sogenannten Sondierungen interpretiert, der Anblick der 3 Parteichefs sagt mehr aus als eine inhaltliche Auseinandersetzung dieses Papiers. Sollte diese Koalition tatsächlich eines Tages die Arbeit aufnehmen, dann hätten endgültig Gerontokraten das Zepter übernommen. Aber bekanntlich kommt es 1. Anders und 2. Anders als man denkt. Das Schauspiel über Angela Merkels Ende hat einen hohen Unterhaltungswert. Griechische Tragödie auf deutsch!

Sidetrack
6 Jahre her

O-Zitat „1. Im Rahmen der Gesamtzahl ermöglichen wir 1000 Menschen pro Monat den Nachzug nach Deutschland. Im Gegenzug laufen die EU-bedingten 1000 frei- willigen Aufnahmen pro Monat von Migranten aus Griechenland und Italien aus. 2. Dieser Familiennachzug wird nur gewährt, wenn es sich um Ehen handelt, die vor der Flucht geschlossen worden sind, keine schwerwiegenden Straftaten begangen wurden, es sich nicht um Gefährder handelt, eine Ausreise kurzfristig nicht zu erwarten ist. 3. Mit der gesetzlichen Neuregelung wollen wir Anreize ausschließen, die dadurch entstehen, dass Minderjährige von ihren Eltern unter Gefährdung des Kindeswohls zukünftig auf die gefährliche Reise vorgeschickt werden.“ 1.… Mehr

Hans Amstein
6 Jahre her

Ich empfehle, neben den „Aussagen“ zu Zuwanderung und innerer Sicherheit auch jene zur äußeren Sicherheit einmal unter die Lupe zu nehmen. Wenn v.d.Leyen Verantwortungsbewusstsein hätte, müsste sie angesichts dessen zurücktreten.

(Erinnert sich noch jemand an die Spiegel-Affäre?)

Robert
6 Jahre her

Es ist schlicht falsch zu behaupten, die CDU habe keine Meinung zu nichts. Hier ist ihre einzige Meinung: Merkel muss alternativlos Kanzlerin bleiben und darf machen, was sie will. Sie steht über Verfassung, Gesetz, europäischen und erst recht Koalitionsverträgen. Wozu also sich aufregen und verhandeln?

Schwager
6 Jahre her

Ich finde es großartig, dass an dieser Stelle einmal explizit auf die derzeitige Verwirrung in der deutschen Öffentlichkeit zum Thema Obergrenze hingewiesen wird. Fast alle Printmedien, ARD und ZDF haben das Sondierungsergebnis hinsichtlich der Obergrenze schlichtweg falsch dargestellt. Vermutlich haben die Reporter von dem acht Zeilen umfassenden Text auf Seite 19 nur den Schluss gelesen, dort wo die Zahlen stehen. Der Satz hat folgende Struktur: „Bezogen auf A, B sowie mit Blick auf C und D STELLEN WIR FEST, dass die Zuwanderungszahlen (Definition) die Spanne von jährlich 180 000 bis 220 000 nicht übersteigen werden. Dem dient auch das nachfolgende… Mehr