Dada, Gonzo, Franz Josef Wagner – Freigeist verboten?

Vor wenigen Tagen erschien auf Welt.de ein Interview, das Dagmar von Taube mit Franz Josef Wagner geführt hat. Oh man. Soll man das lesen? Alleine der Titel. „Welche Zicke hat Dein Herz gebrochen, Franz Josef?“ will irgendwie nichts richtig anspruchsvolles verheissen. Noch bevor ich klicke, schießt mir „Herzlichst“ in den Kopf, mit denen Franz Josef Wagner seine scheinbar – verzeihen Sie mir an dieser Stelle den rüden Ausdruck – ins Blatt gerotzten Kolumnen unterzeichnet. Herzlichst.

Vor kurzem hatte Franz Josef Wagner dann fast die gesamte Frauenwelt, die über einen Twitter- und Facebookaccount verfügen, dermaßen aufgeregt und gegen sich aufgebracht, das man hätte meinen können, Sadam Hussein sei wieder auferstanden und hätte zwei Löwen im Nationalpark erschossen.
Was war passiert? Franz Josef Wagner hatte in seiner BILD-Kolumne „Post von Wagner“ Business-Frauen von heute eine – seiner Ansicht nach – gewisse Vermännlichung attestiert. In einer Sprache, die sich wirklich jedermann schnell und einfach erschließt, richtet er sich darin an die Familienpolitik und schreibt:

„Liebe Familienpolitik,
wir alle wollen mehr Babys. Leider wurden nur 682 063 im letzten Jahr geboren. Die Geburtenrate kann die Sterberate nicht ausgleichen.
893 000 Tote. Wir haben mehr Tote als Babys. Jedes Jahr werden wir um 200 000 Menschen ärmer.
Wer ist schuld?
Schuld ist der Zeitgeist. Mütter machen Karriere, Mütter haben Hosenanzüge an (Ursula von der Leyen), Mütter geben ihre Kinder in Kitas ab, Mütter verdienen mehr als ihre Männer, Väter gehen in Teilzeit.
Was ist aus unseren Müttern geworden?
Sie sind Business-Frauen, Power-Frauen, sie trinken Smoothies, sie laufen sich im Fitnesscenter ihr Fett ab, sie sind Chefredakteurinnen, sie sitzen im Aufsichtsrat.
Sie sind wie Männer.
Sie sind keine Mütter mehr. Sie sind nicht in der Nacht dabei, wo ihr Kind Angst hat vor Donner und Blitz. Sie singen ihr Kind nicht in den Schlaf.
Politik hat keine Ahnung von Gefühlen.
Es gibt nichts Schöneres als ein Baby, das schläft, zuzudecken. Es zu küssen und Gute Nacht zu sagen.
Herzlichst,
F. J. Wagner“

Mir persönlich wäre das gar nicht aufgefallen. Wenn sich nicht gefühlt jede feministisch getriebene Frau oder Cisgender dazu genötigt gefühlt hätte, entsprechend empört, extrem belustigt, sehr bemitleidend, massivst hämisch, voller Spott – in jedem Fall aber immer: von oben herab auf diese einfach, unnachahmlich hingerotzten Zeilen zu reagieren. Allen voran natürlich Redakteurinnen, Autorinnen, Feministinnen, Twitteristas und ihre rudimentär männlichen Beipflichter (schreiben oft ebenfalls Feminist in ihre Bios, daher Status unbekannt) legten sich das Empörungsstöckchen gegenseitig immer höher. Das wirklich Schöne ist: Der Sturm der Entrüstung führt zu einem Interview, das Alles nur noch schlimmer macht. Wie schön, dass es noch Gerinnsel neben dem Mainstream gibt, der dem langsamen Strom der Langeweile gelegentlich noch Wirbel schenkt.

Es gibt kein Entrinnen vor Franz Josef Wagner

Warum überhaupt die Aufregung? Da schreibt halt Franz Josef Wagner seine Sicht der Dinge auf. So what.

Ich hatte meinen persönlichen Augenroll-Moment bei seiner Kolumne zur Germanwings-Flugzeugkatastrophe. Eine Kolumne, bei der sich Jenny Jürgens genötigt gesehen hat, eine Petition zur Absetzung von Franz Josef Wagner zu fordern. Auszug:

„Hiermit protestieren wir gegen die Kolumne „Post von Wagner“. Lange genug mussten wir die verbalen Ergüsse des Franz Josef Wagner über uns ergehen lassen. Egal ob Bild Zeitung Leser oder nicht. Es gab kein Entrinnen.“

Es gibt also kein Entrinnen vor Franz Josef Wagner. Das muss man sich mal reinziehen. Ernsthaft jetzt. Ich bin kein BILD-Zeitungsleser und ich konnte und kann mich „den verbalen Ergüssen“ von Franz Josef Wagner sehr gut entziehen, bekomme sie sogar oft monatelang nicht mit – und dann auch nur, weil sich jemand darüber empört hat.

Ist da also nicht auch eine gewisse Lust an der Erregung? Sucht man sie, eilt und springt man ihr entgegen? Der Satz „Ob man will oder nicht. Es gab kein Entrinnen“ offenbart ja schon ein wenig Zusammenhang von mit Popcorn auf die Autobahnbrücke setzen und auf den nächsten Auffahrunfall warten. Andersherum gefragt: wäre es nicht auch möglich, dass das ganz einfach Wagners Programm ist? Den „Tugendfuror“ verbittert und zynisch zu bedienen. Kolumne online stellen. Cognac und Zigarette an. Zurücklehnen. Shitstorm in 3, 2, 1.

Aber bei der Kolumne an die Familienpolitik? Nein. Warum. Das ist seine Sicht der Dinge. Man muss nicht übereinstimmen. Man kann hier wie bei allem widersprechen. Aber es war wieder ein Paradebeispiel dafür, wie sich die Empörung in der Petrischale der Sozialen Medien gegenseitig hochschaukelt, um wieder einmal mehr mit Schaum vorm Mund zu explodieren wie eine Kanone auf einer Espuma-Party auf Ibiza. Indem fraumanichersieeswirihrsie_cis sich lautstark entgegenstellt und beweist, wie elegant man mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf definiert alt, weiss und hetero rumfuchteln kann, ist man augenblicklich schwups ein guter, völlig moderner, total aufgeklärter Weltverbesserer.

Wie solche Menschen dann mit ihren Großeltern umgehen, frage ich mich da schon manchmal. Vielleicht haben die aber einfach Glück und persönlichkeitsveränderten Gedächtnisschwund und es fällt ihnen nicht mehr auf, wie sehr sie sich verstellen müssen, um den Kontakt mit dem Enkelkind nicht völlig zu verlieren.

Lesen auf eigene Gefahr

Zurück zum Interview. Was soll da schon groß rauskommen. Herzlichst eben. Oder?

Was mich erwartet hat, war mit der größte Lesespaß an Interview, den ich in diesem Jahr hatte. Die totale Überraschung. Franz Josef Wagner trifft Dagmar von Taube in seiner Wohnung in Berlin-Charlottenburg und sie sprechen über sein Leben. Über Frauen. Über Liebe. Über Versäumnisse. Über ergriffene Chancen. Über Traurigkeit. Ich weiß nicht, wie Dagmar von Taube das geschafft hat, aber es ist stellenweise sogar romantisch. In Ehe verbunden, im Leben jedoch ungebunden.

Da ich mich vorher nie wirklich mit Franz Josef Wagner beschäftigt habe, erfahre ich unter anderem, dass er als Reporter im Jom-Kippur-Krieg, in Vietnam gewesen ist. Mal eine ganz grobe Schätzung: 90% derer, die sich über ihn aufregen, wissen nicht mal, was der Jom-Kippur-Krieg überhaupt ist. Und 98% davon wäre das sowieso suspekt, weil es irgendwas mit Israel zu tun hat.

Es ist ein reiches, voll gelebtes Leben, das sich da vor einem entrollt. Mit vielen Höhepunkten und mit vielen Tiefen. Die man auch in dem Gesicht von Franz Josef Wagner ablesen kann. Sein Bild von Frauen entstammt einer Zeit, die viele nicht mal mehr von ihren Müttern her kennen, aber nicht desto weniger bereit sind, darüber mit ganz viel Spott und noch größerer Abneigung zu reagieren. Von Menschen, für die Toleranz nur dann funktioniert, wenn sie eine Einbahnstrasse ist und mit den eigenen Ansichten übereinstimmt. Es muß eben immer alles gleich sein, einheitlich, genormt, genehmigt und gelocht – zum Abheften. Und dann so was.

„I’m not going to censor myself to comfort your ignorance“ sagte Jon Stewart

Herausgekommen ist ein wirklich grandioses Interview; mit vielen Ecken und Kanten, mit teils unbequemen, unmodernen Weltbildern, die auch nicht mehr dem meinen entsprechen, aber die mich daran erinnern, dass das Leben einmal anders gewesen ist in Tagen, die nicht mehr heute sind.
Ich habe lange nicht mehr so ein gutes Interview gelesen, das mein Bild über einen Menschen so erweitert hat. Ich mußte mir manchmal auf die Faust beißen. Hat er das gerade wirklich gesagt? Aber wissen Sie, was das Lesen dieses Interviews zu einem Gewinn macht?

Die Erkenntnis, dass Franz Josef Wagner, Gossen-Goethe hin oder her, Dada oder Gonzo hin oder her, debil oder nicht, ein absoluter Außenposten des in weiten Teilen einheitlichen Meinungsmampfs geworden ist. Ein zynischer Prüfstein für jeden Menschen, der sich Toleranz auf die Fahnen schreibt. Franz Josef Wagner ist streitbar. Und das ist gut so. Er legt nach, statt einzulenken.

Er ist einer der letzten wirklich unangepassten Freigeister in diesem Land, der sich nicht darum schert, was andere über das sagen oder denken, was er schreibt. In gewisser Hinsicht ist er Punk.

Klar, da ist jemand von gestern, über den man sich so leicht lustig machen kann, dessen einfache Texte man kritisieren oder persiflieren kann. Jemand, der nicht mehr in die angepaßte Welt von heute passen will. Aber passt die Freiheit des einen Menschen je einem anderen Menschen wirklich?

Großes Interview, Frau von Taube. Gratulation! Auch wenn es ihnen nicht gefällt, wenigstens haben Sie es aufgeschrieben.

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