Tichys Einblick
Achtung, Glosse!

Die drei wichtigsten Lektionen aus dem Österreich-Türkei-Spiel

Mit dem Ausscheiden Österreichs wurde die EM ihrer zweitattraktivst spielenden Mannschaft beraubt. Aber aus dem Spiel lassen sich drei ermutigende Erkenntnisse gewinnen: von Gottesbeweisen, Grauen Wölfen und Oswald Spengler.

Merih Demiral freut sich, dass er darf, was andere nicht dürfen.

picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

Das Achtelfinalspiel Österreich gegen die Türkei bot bei der EM nach tagelanger Schonkost von der Insel und aus fränkischen Landen endlich ein spannungsgeladenes und versöhnliches Highlight einer bisher eher mageren EM, das leider mit dem Ausscheiden der zweitunterhaltsamsten Mannschaft des Turniers endete.

Trotz dieser unglücklichen Fügung ließen sich dennoch einige wertvolle Erkenntnisse aus diesem Spiel gewinnen. Die drei wichtigsten Lektionen fassen wir hier für unsere TE-Leser zusammen:

1. Der beste Gottesbeweis seit Thomas von Aquin

Wer nach dem unbelohnten und aufopferungsvollen Kampf der Österreicher nach dem Schlusspfiff in düstere Stimmung verfiel, konnte schnell in die Falle tappen, wie häufig in solchen Situationen die Existenz Gottes anzuzweifeln, da es jeglichem Verständnis für Gerechtigkeit widersprach, dass der Rumpelfußball Englands sich bis in die nächste Runde murksen konnte, aber der frische Powerfußball aus der Alpenrepublik so unverdient an ein jähes Ende kommen musste.

Dem aber sei entgegnet, dass es gerade andersrum ist. Der holländische Kabarettist Herman Finkers, der in seinen Programmen äußerst raffiniert intelligenten Wortwitz und urtümlichen Katholizismus vereint, thematisierte ein ähnliches Phänomen in einem Programm, mit dem er nach jahrelanger Krankheitspause auf die Bühne zurückkehrte. Darin erzählte Finkers von einem Freund, dem nicht nur ein Bein amputiert werden musste, sondern bei dem während der Operation dann auch noch das falsche Bein amputiert wurde.

Finkers fragte sich, was der Sinn hinter solcher Ungerechtigkeit sein konnte, und kam zu dem Schluss: „Das liegt daran, dass wir nicht im Himmel sind. Denn im Himmel wird immer das richtige Bein amputiert.“

So lässt sich auch aus der Ungerechtigkeit der Niederlage Österreichs nicht die Abwesenheit Gottes, sondern eben dessen Präsenz ableiten. Das Leben auf Erden ist ein Jammertal voller Ungerechtigkeiten, im Himmel aber wird der türkische Torhüter nicht in der letzten Minute einen Lottogewinn von Parade produzieren.

Somit ist deutlich: Es gibt einen Gott – er schaut nur keinen Fußball!

2. Nationalismus ist cool

Nach einer Reihe weichgespülter Spiele zwischen weichgespülten Mannschaften trafen mit Österreich und der Türkei zwei Teams und Anhängerschaften aufeinander, die instinktiv wussten, wie spinnefeind sie sich sind. Auf der einen Seite der expansive Osmane, auf der anderen der feinsinnige aber wehrhafte goldene Apfel. Die historische Dimension dieses Aufeinandertreffens wird zumindest in der Türkei sicherlich einigen Anhängern, die weitaus mehr Affinität für historische Bedeutungen haben, als hierzulande üblich ist, aufgefallen sein.

Da Fußball – wie Sport im Allgemeinen – ja ohnehin das entmilitarisierte Äquivalent zum kriegerischen Konflikt darstellt, profitierte die Atmosphäre des an Intensität kaum zu überbietenden Matches von der Konkurrenz auf dem Feld, wie auch auf den Tribünen, enorm. Denn wofür müsste man denn sonst noch eine Europameisterschaft austragen, wenn ohnehin alle Mannschaften nur noch eine multikulturelle und austauschbare Gruppe von globalisierten Millionären darstellen, die obendrein auch noch einen von drei international anerkannten Spielstilen pflegen?

Nein, das Match Österreich gegen Türkei war geprägt von einer Intensität, als schriebe man das Jahr 1683 und die Stadtmauern Wiens stünden kurz vor dem Kollaps. Nur tauchte diesmal leider nicht der rettende Pole auf. Dennoch bot das Spiel eben jenen Stolz und jenes nationale Konkurrenzgefühl, das den Fußball überhaupt erst sehenswert macht. Es ist eben diese gezügelte Animosität und Konkurrenz, die dem Sport erst seine Narrative verleiht.

Bei einer EM, bei der man sich immer häufiger die Frage stellt, wofür man verschiedene Nationen noch gegeneinander antreten lassen muss, war das Duell Österreich gegen die Türkei eine Infusion des Feuers des Nationalstolzes vergangener Tage und zeigte somit wieder einmal, wie wichtig solche identitätsstiftenden Momente sind.

3. Spengler hatte Recht

Als die Türken nach nur einer Minute in Führung gingen, konnte manch eingefleischtem Anhänger Österreichs schon das Herz in die Hose sacken. Trost fand man in weit hergeholten Analogien aus der Geschichte: Auch 1683 brannten bereits früh die Vorstädte Wiens, aber das Endergebnis ist jedem in der Twitter-Blase des Autors dieser Zeilen hinlänglich bekannt.

Doch an diesem Abend wollte der Umschwung sich nicht mehr einstellen. Als dann noch der türkische Torwart den letzten Kopfball – neuesten Berechnungen zufolge nur mit 6-prozentiger Chance – parierte, war deutlich, dass die Rettung nicht mehr kommen würde. Während man die Osmanen noch im Laufe der Jahrhunderte in Schach halten konnte, fehlte nun bei allen Mühen die letzte Kraft, um den Durchbruch der Türken zu verhindern.

Nicht nur spielerisch offenbarte sich das in der Tatsache endloser vergebener Chancen der Österreicher, während die Türken die Gunst von zwei Chancen zu zwei Toren nutzten, nein, vor allem am Rande des Geschehens wurde deutlich, wie die Zeichen der Zeit stehen. Während der Doppeltorschütze seinen zweiten Treffer ungestraft mit dem Gruß der Grauen Wölfe feierte, sind Österreichs Trainer Ralf Rangnick und sein Stürmer Michael Gregoritsch vor allem darum bemüht gewesen, sich politisch gegen Rechts zu positionieren. Gregoritsch tat dies sogar noch nach der Niederlage. Der hatte echt nichts Besseres zu tun.

Der Unterschied zu den Türkenbelagerungen des 16. und 17. Jahrhunderts könnte auffälliger nicht sein, denn in einem engen Duell der Kulturen entscheiden oft die Details über Sieg und Niederlage. So auch im gestrigen Fußballspiel. Die Niederlage der Österreicher zeigt somit, wohin die abendländische Reise geht: in den Niedergang. Oswald Spenglers Thesen wurden so wieder einmal eindrucksvoll bewiesen, der Untergang des Abendlandes wurde augenscheinlich.

Möge den Osmanen der goldene Apfel im Hals stecken bleiben. Und wer weiß? Womöglich richten es ja ausgerechnet die abtrünnigen Habsburger-Kerngebiete der Niederlande in der nächsten Runde gegen die Türkei. Und vielleicht legt ja Herman Finkers dafür ein gutes Wort im Himmel ein.

Anzeige
Die mobile Version verlassen