Tichys Einblick
Parlamentswahlen in Frankreich

Nach der Wahl ist vor der Wahl

Bei der Wahl am 30. Juni zur französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale) siegte, wie die Umfragen voraussagten, die Nationale Sammlungsbewegung (Rassemblement National bzw. RN): sie erhielt 29,25 %, ein enormer Zuwachs gegenüber 18,6% bei der vorherigen Wahl 2022.

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Es ist allerdings – außer für die 37 RN-Kandidaten, die in ihrem Wahlkreis die absolute Mehrheit erzielten und deshalb einen Sitz in die Nationalversammlung sicher haben – nur ein vorläufiger Sieg; denn erst im zweiten Wahlgang, am 7. Juli, wird über die meisten Sitze entschieden. Das französische Wahlrecht ist kompliziert.

Die französische Nationalversammlung besteht aus 577 Abgeordneten, die in ebenso vielen Wahlkreisen (556 im Mutterland, 10 in Überseegebieten, 11 für Auslandsfranzosen) direkt gewählt werden. Die Wahl findet nach dem Mehrheitsprinzip in zwei Wahlgängen statt. Im ersten Wahlgang ist der Kandidat gewählt, dessen Stimmenzahl mindestens die Hälfte der abgegebenen Stimmen beträgt und mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten. Erfüllt kein Kandidat diese Bedingung, findet eine Woche später eine Stichwahl zwischen den beiden Erstplatzierten statt; zusätzlich kommen Nächstplazierte in die Stichwahl, wenn ihre Stimmenzahl im ersten Wahlgang mehr als ein Achtel der Wahlberechtigten betrug.
Die große Mehrheit der Abgeordneten – bei der jetzigen Parlamentswahl 501 (von 577) – wird erst im zweiten Wahlgang gewählt, bei dem die relative Mehrheit genügt: Das französische Wahlrecht begünstigt hier große Parteien; denn deren Kandidaten haben mehr Chancen als die kleinerer Parteien, in die Stichwahl zu kommen, weil sie im ersten Wahlgang eher eine Stimmenzahl erreichen, die mehr als ein Achtel der Wahlberechtigten beträgt (bei einer Wahlbeteiligung von 50 % entspricht dies einem Viertel der Stimmen). Kleine und mittlere Parteien schließen deshalb untereinander oder mit einer großen Partei Wahlbündnisse und stellen für alle oder einzelne Wahlkreise gemeinsame Kandidaten auf. So bildete dieses Mal die französische Linke – vor allem Sozialisten, Grüne, Kommunisten und LFI (La France insoumise „Unbeugsames Frankreich“) – unter dem Namen „Linksunion“ (Union de la gauche“ bzw. „Neue Volksfront“ (Nouveau Front populaire) ein Wahlbündnis, das in fast allen Wahlkreisen jeweils nur 1 Kandidaten aufstellte. Auch die Partei von Staatspräsident Macron „Zusammen für die Republik“ (Ensemble pour la République) ist ein Mehr-Parteien-Bündnis, und der RN schloss eine Allianz mit Teilen der früheren Regierungspartei „Republikaner“ (Les Républicains), die sich als „Rechtsradikale Union“ (Union de l’extrême droite) zur Wahl stellte.

Im ersten Wahlgang wurden 76 Abgeordnete (13 %) direkt gewählt; die Entscheidung über die meisten Sitze fällt erst im zweiten Wahlgang, am 7. Juli, und gewählt ist dann, wer die relative Mehrheit der Stimmen erhält. In über der Hälfte der 501 Wahlkreise kommen drei Kandidaten in die Stichwahl; denn wegen der hohen Wahlbeteiligung (67% gegenüber 47% in 2022) konnten viele Drittplatzierte (2022 waren es nur sieben) eine Stimmenzahl erreichen, die mehr als ein Achtel der Wahlberechtigten beträgt. Wie viele der Drittplatzierten zur Wahl antreten, ist aktuell noch nicht geklärt. Die Volksfront forderte schon ihre drittplatzierten Kandidaten auf, die Kandidatur zurückzuziehen, und den Gegner des RN-Kandidaten zu unterstützen. Der RN stehe „an den Pforten der Macht“ (aux portes du pouvoir), und es gelte nun, das Schlimmste zu verhindern. On verra (man wird sehen).

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