Das Rassemblement National (RN) hat unter dem Führungsduo Marine Le Pen und Jordan Bardella den erwarteten Sieg in der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen davongetragen. Die Partei erhielt nach ersten Hochrechnungen 34 Prozent der Stimmen. Unklar bleibt, ob in dieser Zahl auch die Stimmen für die LR-Kandidaten um Éric Ciotti enthalten sind. Es folgt die linke „Neue Volksfront“ mit 29 Prozent.
Auf dem erwarteten dritten Platz liegt Macrons Bündnis „Ensemble“ mit 22 Prozent in der ersten Projektion. Danach folgen – noch einmal deutlich abgeschlagen – die Republikaner und diverse Kandidaten der Rechten mit neun Prozent. Extrem linke Parteien erhielten 1,5 Prozent, die Partei Reconquête („Rückeroberung“) des ehemaligen Journalisten Éric Zemmour bekam ein Prozent der Stimmen, die „anderen“ 3,5 Prozent. Die Wahlbeteiligung wurde am Ende auf 67 bis 69 Prozent geschätzt. Sie lag damit etwa 20 Prozent höher als noch vor zwei Jahren.
Um 18.30 Uhr war Marine Le Pen im Hauptquartier ihrer Partei in Hénin-Beaumont im Pas-de-Calais angekommen, mit Blicken, die zwischen Zuversicht und Ernst zu schwanken schienen. Unterstützer erwarteten sie bereits. Zur selben Zeit hatte Macron die Spitzen der ihn unterstützenden Parteien im Élysée-Palast zusammengerufen. Der erste Wahlabend in einem Zwei-Runden-System erfordert besondere Botschaften: solche des Durchhaltens oder des endlichen Triumphierens in der zweiten Runde.
Kurz nach 20 Uhr trat Jordan Bardella in der Pariser Parteizentrale vor die Presse und sprach vom zweiten Wahlgang am 7. Juli als einem der „einflussreichsten Wahlgänge“ in der Geschichte des Landes, während er sich zudem alarmiert über die hohe Zustimmung für die „extreme Linke“ zeigte. Die „Neue Volksfront“ sei in der Tat „gefährlich“ für das Land, habe Kandidaten aufgestellt, die „kommunitaristische Kandidaten“ oder gar Gefährder aufgestellt habe, die „unsere Nation einer existenziellen Gefahr aussetzen“.
Marine Le Pen sicherte derweil – angesichts eigener Wahlvorschläge –, dass „kein Franzose Rechte verlieren“ werde. Bardella schloss mit der Forderung an seine Wähler (und andere): „Es ist an der Zeit, dass Sie Leute an die Spitze des Landes bringen, die Sie respektieren“. Er wolle „der Premierminister aller Franzosen sein“.
Macron will republikanische Front neubeleben
Über den abschließenden Wahlausgang – nach der zweiten Runde – sagen diese Prozentwerte nur bedingt etwas aus. So könnte eine hohe Zahl an Dreier-Duellen, die bei nahe beieinander liegenden Ergebnissen möglich sind, einen letztlichen Sieg des RN begünstigen, weil damit wohl die bisherige Verteilung des Kuchens auf mehr oder weniger drei Blöcke (rechts, links, Macronie) erhalten bliebe. Allerdings können Kandidaten auch auf ihre Kandidatur im zweiten Wahlgang verzichten, und dieses Prinzip will die Linke laut verschiedenen Stimmen praktizieren.
So sprach etwa der ultralinke Jean-Luc Mélenchon von einer „breiten und unbestreitbaren Niederlage des Präsidentenlagers, kündigte aber zugleich an, dass die Linksfront ihre Kandidaten zurückziehen will, wo es sonst zu Dreieckswahlen käme – man würde als dem macronistischen Lager Stimmen schenken, obwohl man nun mehr Stimmen gewann als dasselbe. Für den zweiten Wahlgang hat sich etwa der Ex-Präsident François Hollande (PS) qualifiziert.
Umgehend, nachdem die ersten Ergebnisse bekannt geworden waren, riefen Emmanuel Macron – wie andere Politiker seines Wahlbündnisses – zu einem „breiten, eindeutig demokratischen und republikanischen Zusammenschluss“ gegen dem RN auf. Die gestiegene Wahlbeteiligung führte er auf „den Willen zur Klärung der politischen Lage“ zurück, zudem auf die Bedeutung, die diese Wahl „für alle unsere Landsleute“ gehabt habe, um dann die Worte anzuhängen: „Ihre demokratische Wahl verpflichtet uns.“
Unruhen in Paris und Lyon befürchtet
Um 22 Uhr ist eine Versammlung der Anhänger der linken „Neuen Volksfront“ auf der Place de la République geplant. Ob sich hier direkt Demonstrationen und Protest anschließen werden oder gar vorausgehen werden? Jedenfalls haben die Pariser Behörden für alle Eventualitäten vorgesorgt: Am Rande von Demonstrationen wurde der Einsatz von Drohnen genehmigt. Grund: mögliche „Störungen der öffentlichen Ordnung (…) im Zusammenhang mit den Wahlergebnissen“. Zudem sei das nationale Territorium zweifellos von „terroristischen Bedrohungen auf erhöhtem Niveau“ betroffen. Auch in Lyon hat der grün-ökologistische Bürgermeister um Verstärkungen der städtischen Polizei gebeten.