Tichys Einblick
Nach TV-Duell-Desaster

Biden beharrt auf die Kandidatur – trotz Flehen der Demokraten

Das Vorfeld der US-Demokraten bekniet Joe Biden, nicht mehr als Präsident zu kandidieren. Man will die Wahl gegen Trump nicht verlieren und hofft auf einen Austausch. Doch Biden zeigt sich störrisch. Ist das eine Vorentscheidung?

picture alliance/AP Photo/Evan Vucci

Verwundert blickt man in den Blätterwald, der den US-Demokraten sonst gewogenen ist. Die New York Times besteht seit Freitag überwiegend aus Rücktrittsforderungen an Joe Biden von seiner Präsidentschaftskandidatur. Gekrönt von einem offenen Aufruf der Herausgeber. Biden müsse sich jetzt zurückziehen, um „seinem Land zu dienen“. Es sei „die beste Chance, die Seele der Nation – das Anliegen, das Herrn Biden 2019 dazu bewogen hat, für die Präsidentschaft zu kandidieren – vor der bösartigen Verzerrung von Herrn Trump zu schützen.“

Auch in anderen Kommentaren finden sich solche Zuspitzungen, die den Wahltermin im November zu einer Schlacht zwischen den Kräften des Lichts und der Finsternis machen. „Vor zwei Wochen sagte mir ein Pfeiler der demokratischen Führung auf dem Capitol Hill, dass die Demokraten ihn als Kandidaten zurückziehen würden, wenn Präsident Biden in der Debatte am Donnerstagabend schlecht abschneiden würde. Sie können einfach nicht zulassen, dass er das Land einem Möchtegern-Diktator übergibt.“

Wie die USA die vier Jahre Donald Trump überlebt haben, bleibt angesichts dieser apokalyptischen Erwartungen offen. Doch zieht sich das Narrativ – mal mehr, mal weniger sachlich – durch sämtliche Artikel, in denen auch darüber spekuliert wird, in welchem Modus die Demokraten ihren Kandidaten austauschen könnten.

Knackpunkt: Die Delegierten, die den Präsidentschaftskandidaten in sechs Wochen wählen sollen, sind bereits gekürt. Und sie sollen Joe Biden wählen. Sie sind an ihren Auftrag gebunden. Es wäre möglich, einen anderen Kandidaten zu wählen, doch nicht ohne große Verwerfungen in der Partei. Biden muss deshalb selbst einen Rückzieher machen.

Nicht nur die New York Times, auch das zweite große Printschlachtschiff, die Washington Post, spekuliert ganz offen darüber, wie man denselben Mann loswerden könnte, den man bis vorgestern löwenhaft bei jedem Anwurf verteidigte. Offenbar wird dabei auch, dass die vermeintliche Zuneigung zu dem älteren Herrn, den man für seine Erfahrung und Altersweisheit bewundert hat, in dem Moment verflogen war, da er medial nicht mehr taugte. Stattdessen stellt das Blatt gleich 10 mögliche Namen vor, die Biden als Kandidaten ersetzen könnten.

Es ist die bereits vielzitierte Panik der regierenden politischen Partei des Landes, die sich in diesen Zeilen offenbart. Der Druck, den insbesondere Medien erzeugen, die als Verbündete der „Dems“ gelten, ist enorm. In den Redaktionsstuben weiß man ziemlich genau, wie die Chancen nach dem Duell vom Freitag stehen. In der Wahlkampfleitung dürfte ähnliche Klarheit herrschen – das zeigt schon das obige Zitat, demnach Austauschpläne überlegt wurden, sollte Biden in der Debatte scheitern.

„Scheitern“ ist dabei noch ein Euphemismus für jene Katastrophe, bei der alle angeblichen „Deep Fakes“, „falschen Anschuldigungen“ und „rechtsextreme Verschwörungstheorien“ bezüglich des Gesundheitszustandes des US-Präsidenten Bestätigung fanden. Ein eigenes Kapitel stellt dabei der Versuch der US-Medien dar, den Demokraten vorzuwerfen, sie hätten über Jahre versucht, den Gesundheitszustand Bidens kleinzureden oder zu vertuschen – ein Vorwurf, den man genau diesen Medien machen könnte. Überraschen konnte das niemanden mehr, und vieles riecht nach Orchestrierung, denn plötzlicher Erkenntnis.

Den Urhebern des medialen Trommelfeuers, begleitet von den Aktivisten auf Social Media, stellt sich allerdings ein großes Problem in den Weg: Joe Biden selbst. Der trat nach dem verlorenen Duell so auf, als habe es sich nur um einen Patzer gehandelt. „Ich gehe nicht mehr so leicht wie früher. Ich spreche nicht mehr so reibungslos wie früher. „Ich debattiere nicht mehr so gut wie früher“, sagte Biden bei einer Veranstaltung in South Carolina. „Aber … ich weiß, wie man die Wahrheit sagt. Ich kenne richtig von falsch. Ich weiß, wie man diesen Job macht.“ Die Menge rief ihm, anklingend an Barack Obamas Wahlkampfslogan, „Yes, you can!“ zu.

Apropos Obama. Der Ex-Präsident leistete ebenfalls Schützenhilfe. „Es gibt schlechte Debattenabende“, schrieb er auf X. „Aber diese Wahl ist immer noch eine Wahl zwischen jemandem, der sein ganzes Leben lang für die einfachen Leute gekämpft hat, und jemandem, der sich nur um sich selbst kümmert. […] Daran hat auch die letzte Nacht nichts geändert, und deshalb steht im November so viel auf dem Spiel.“

Nach dem Schock und den ersten panischen Austauschreaktionen besteht nun also der Versuch, sich wieder in der Wagenburg einzuigeln und das Geschehene kleinzureden. Das wird aber angesichts der fast 50 Millionen US-Amerikaner, die das TV-Duell live verfolgt haben – die, die es danach über YouTube und andere Formate nachschauten, nicht einberechnet – dieses Mal nicht zu bewerkstelligen sein. Und das wissen auch zahlreiche Freunde und Förderer.

Bidens störrischer Auftritt, der als direkte Ansage auf die Rücktrittsforderungen aus den eigenen Reihen interpretiert wird, drückt den Demokraten einen nahezu unmöglichen Spagat auf. Sie wissen nicht nur, dass Biden zu alt ist, nicht nur ihre Unterstützer und ihre Verbündeten wissen es – sondern auch die Wechselwählerschaft, die man damit kaum gewinnen kann. Es bleibt daher fraglich, ob es ihnen gelingt, sich ihres bis dato fast großväterlich verehrten Präsidenten elegant zu entledigen.

In diesem Sinne hat Joe Biden seinem Widersacher Donald Trump nach dem Duell-Fiasko in wenigen Stunden das nächste Geschenk gemacht. „Die Frage, die sich jeder Wähler heute stellen sollte, ist nicht, ob Joe Biden ein 90-minütiges TV-Duell übersteht, sondern ob Amerika vier weitere Jahre mit dem korrupten Joe Biden im Weißen Haus überleben kann“, kommentierte Trump das Duell bei einer Wahlkampfveranstaltung in Virgina und griff die Spekulationen danach auf: „Viele Leute sagen, dass Joe Biden nach seiner Leistung gestern Abend aus dem Rennen aussteigt.“

Als potenzielle Widersacher listete er Vizepräsidentin Kamala Harris, Kaliforniens Gouverneur Gavin Newsom und die ehemalige First Lady Michelle Obama auf. Er selbst rechne aber nicht mit einem Austausch. „Sie haben alle befragt“, fuhr Trump fort und sagte, es habe Umfragen zu Michelle gegeben. Dabei hätte sie nicht gut abgeschnitten. „Nein, sie schneidet furchtbar ab“, so Trump weiter. „Es ist kaum zu glauben, aber der betrügerische Joe Biden schneidet in Umfragen besser ab als diese Leute.“

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