Tichys Einblick
Rundfunkbeitrag

Warten auf den Gerichtsvollzieher

Wenn es jemand ernst mit der Verteidigung der Pressefreiheit meint, dann muss er bei den Rundfunkgebühren Widerstand leisten - auch, wenn der Gerichtsvollzieher kommt. Warum für etwas bezahlen, was man nie haben wollte und nach wie vor nicht haben will, und wo Meinungen und Fakten vertauscht werden? Von Konrad Adam

IMAGO

Zweiundachtzig Jahre musste ich alt werden, um Nachricht vom Gerichtsvollzieher zu bekommen, verbunden mit der Ankündigung von
Zwangsvollstreckung, Kontopfändung und so weiter. Nicht, weil ich mich geweigert habe, für etwas zu bezahlen, was ich bestellt hatte und haben wollte. Sondern weil ich keinen Grund sah (und sehe), für etwas zu bezahlen, was ich nie haben wollte und nach wie vor nicht haben will. Was mir jedoch aufgedrängt und gegen meinen Willen Tag für Tag ins Haus geliefert wird. Dies Etwas ist das Nachrichtenangebot der öffentlich-rechtlichen Sender.

Um ihre Forderung zu begründen, verweisen die Anwälte der Sender auf das Beispiel der Kurtaxe, die ja auch von denen eingezogen wird, die den Kurpark nicht betreten. Ein Vergleich, auf den ich mich einlassen könnte, würden die Kurparkdirektoren mit dem Geld nicht ein sündhaft teures Parkorchester unterhalten, das nicht nur viel zu laut, sondern vor allem viel zu schlecht spielt. Eine große und ständig wachsende Zahl von Anwohnern fühlt sich durch seinen Lärm belästigt und weigert sich, für dieses unerwünschte Angebot auch noch zu zahlen. Sie wollen bessere Musik, bessere Spieler und einen besseren Dirigenten. Ich auch.

Als Journalist beobachte ich die Tagesschau mit professionellem, also nicht nur bürgerlichem Interesse. Als ich vor fünfzig Jahren bei dpa, der Deutschen Presse-Agentur – die damals, weit von der Macht entfernt, noch in Hamburg saß – als Volontär antrat, wurde mir ein Leitfaden in die Hand gedrückt, der mir den Unterschied zwischen Nachricht und Kommentar einschärfte. Der Kommentar vertritt Meinungen, und Meinungen sind frei; Nachrichten handeln von Fakten, und Fakten sind heilig. Nachrichten, pflegte mein damaliger Chefredakteur das Wort zu deuten, Nachrichten sind Texte, nach denen man sich richten kann. Oder soll. Kann man das heute noch? Und sollte man das auch?

Das kommt drauf an. Denn Fakten kommen und gehen, sie wechseln. Vor gar nicht allzu langer Zeit galt Putin als ein zuverlässiger Partner, die Nord Stream als ein sicherer Versorgungsstrang, die Wehrpflicht als lästig, die Bundeswehr als überflüssig und so weiter. Das hat sich geändert, ziemlich schnell und ziemlich gründlich, die meisten Fakten gibt es eben nur auf Zeit. Deswegen empfiehlt es sich, die Münze umzudrehen und auch die Gegenseite zu betrachten; auch die ist ja ein Faktum. Davon wollen die öffentlich-rechtlich privilegierten Nachrichtenproduzenten aber nichts wissen. Sie halten es nicht mehr mit Rudolf Augstein, der von seinen Redakteuren verlangte, zu schreiben „Was ist“. Sie halten es mit Carolin Emcke, der Friedensamazone, die ihren Truppen (oder Trupp:innen) Belehrung und Erkenntnis über das verspricht, Was wahr ist.

Das kann nicht gut gehen; geht ja auch nicht gut. Persönlich habe ich keine Angst vor dem biologischen Sprengstoff, von dem ein Faktenfinder fabuliert, der offenbar kein Englisch kann. Ich befürchte auch keine Missernten, wie sie mir als Folge des Insektenstrebens von der Tagesschau vorausgesagt werden, weil ich gelernt habe, dass Getreidesorten Selbstbestäuber sind. Und über die Erzählung vom schwarzen Mann, dem eine ARD-Korrespondentin die Erfindung eines Fernsehgerätes zuschreibt, das nicht nur ohne Energie auskommt, sondern Energie auch noch produziert, habe ich nur gelacht.

Aber was ist von einer Firma zu halten, die solchen Unsinn produziert? Und nicht nur produziert, sondern in die Welt setzt? Und dafür auch noch Geld verlangt? Von Mitarbeiten, die jeden, die ihnen nicht in den Kram passt, zum Hetzer, zum Irren, zum Nazi stempeln dürfen? Von einer Medienindustrie, die mir mit Nachrichten über Green Deals und Great Resets, über Doppel-Wumms und Reform-Booster, über Geheimtreffen, Sondervermögen und Gehwegbelästigung, über Populisten und Islamisten, Prä-, Post- und Neofaschisten, sexuelle und reproduktive, normative und performative Selbstbestimmung die Zeit stiehlt und die Laune verdirbt?

All das verbunden mit dem Anspruch, Wahrheiten zu verkünden, die nicht bezweifelt oder hinterfragt, sondern nur geleugnet, also wider besseres Wissen bestritten werden können. Und deshalb keine Argumente, sondern Schläge verdienen. Man schlägt ja auch, allerdings nicht mit scharfen, sondern mit vergifteten Waffen. Man verbietet nicht, man cancelt, verlangt den Dialog, den man verweigert, und verteidigt die Menschenrechte, die man dem Gegner abspricht. Man behauptet nicht, man deutet an, insinuiert und suggeriert, schwärzt ein, wäscht weiß und sattelt drauf. Man zitiert die Unschuldsvermutung, um sie mit Andeutungen und Gerüchten, Unterstellungen und Drohungen so lange auszuhöhlen, bis sie nichts mehr wert ist.

Der Staatsvertrag, das Fundament des öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Kartells, weiß davon nichts. In ihm bekennen sich die Sender zu den Grundsätzen der Objektivität und der Unparteilichkeit, der Vielfalt und der Ausgewogenheit. Die lösen sie ein, indem sie willigen Experten das Mikrophon unter die Nase halten. Wenn die dann sagen, was der Redakteur auch schon gesagt hat, nennen sie das objektiv. Wenn sie Bekannte, Freunde oder Mitarbeiter als Zeugen vor die Kamera bitten, leisten sie einen Beitrag zur Unparteilichkeit. Vielfalt beweisen sie dadurch, dass sie der Meldung über kriselnde Firmen und schwindende Erlöse eine Botschaft hinterherjagen, die Hoffnung auf das nächste Frühjahr macht. Und Ausgewogenheit, indem sie das Loblied, das ein schwäbischer Unternehmer auf die rotgrüngelbe Wirtschaftspolitik singt, endlos ausposaunen, das vernichtende Urteil, das der Chef der Deutschen Börse über dieselbe Politik gesprochen hat, aber verschweigen.

So könnte man fortfahren. Und darauf hoffen, dass sich ein Richter findet, der die entscheidende Frage, ob die Anstalten ihrem Auftrag nicht nur formal, sondern auch inhaltlich gerecht werden, nicht irgendwelchen Gremien zuschiebt, sondern selbst aufgreift. Also anhand von Beispielen, an denen ja kein Mangel ist, überprüft, ob die vom Staatsvertrag geschaffenen Strukturen dazu geeignet sind, die hochgesteckten Ziele – die internationale Verständigung, die europäische Integration, den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Bund und in den Ländern – zu befördern. Oder ob sie dazu einladen, Partei zu ergreifen, Stimmung zu machen, Vorurteile zu befestigen, Gräben aufzureißen und das wiedervereinigte Land entlang der alten Demarkationslinie erneut zu spalten. Das Schaubild, das den Ausgang der Europa-Wahl illustriert – im Osten durchweg blau, im Westen schwarz mit ein paar roten oder grünen Einsprengseln – gibt Anlass genug dazu.

Wer dem Verdacht nachgeht, den Intendanten Briefe schreibt und um Antwort bittet, wird mit Formbriefen abgespeist, die von einem konkret zurechenbaren Vorteil schwärmen, den er jedoch nicht kennt, den er bestreitet und den er gar nicht haben will. Für den er allerdings bezahlen soll. Angesichts dessen, was ihm da geboten (oder auch verschwiegen) wird, ist das im besten Fall ein Euphemismus, im schlimmsten eine Lüge. Denn diesem imaginären Vorteil stehen eine Reihe von handfesten Nachteilen gegenüber, unter denen der Missbrauch öffentlicher Gelder, für den die Gehaltsorgien beim rbb ja nur ein Beispiel unter vielen sind, nicht einmal der ärgste ist. Viel schwerer wiegt, in meinen Augen zumindest, der Mangel an nüchterner, unparteiischer, verlässlicher Information.

Und nicht nur in meinen. Wenn die Information über die Tatsachen nicht garantiert ist, hatte Hannah Arendt seinerzeit bemerkt, wird die Meinungsfreiheit zur Farce. In Deutschland ist sie nicht mehr garantiert, jedenfalls nicht durch Sendungen wie Tagesschau oder Heute, die offenbar höheren Zielen, der Volksaufklärung und der Propaganda dienen. Die Grenze zwischen Meldung und Kommentar, zwischen Nachricht und Werbung, zwischen Sprecher und Influencer ist brüchig geworden, sie wird verwischt und übertüncht wo nicht sogar in voller Absicht überschritten. Und damit hängt dann auch die Meinungsfreiheit in der Luft. Sie wird beschworen, aber nicht mehr garantiert.

Ich möchte gern erfahren, worin der konkret nachweisbare, individuell zurechenbare Vorteil bestehen soll, der mir – und nicht nur mir – vom Staatsvertrag, von Intendanten, Gutachtern und von hohen Richtern zugesprochen wird. Da ich das immer noch nicht weiß, habe ich den ÖRR-Beitrag nicht etwa verweigert, sondern bloß gekürzt; mehr als 60 Euro im Jahr scheint mir das Angebot nicht wert zu sein. Über die Risiken und Nebenwirkungen, die mit diesem Schritt verbunden sind, bin ich mir im Klaren. Aber muss ich sie nicht in Kauf nehmen, wenn es mir ernst ist mit der Verteidigung der Meinungs- und der Pressefreiheit?


Von Konrad Adam

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