Was war das nun? Eine Batterie von Bundestagsabgeordneten aus fast allen Parteien, natürlich unter Umgehung der einen, die als unberührbar gilt und vielleicht eine andere Auffassung vertreten hätte, saß am Montag in der Bundespressekonferenz und erteilte obrigkeitliche Informationen zu einer geplanten neuen Veränderung des Organspendegesetzes: Die Wahlfreiheit, was das Spenden eigener Körperteile angeht, soll neu interpretiert werden. Ein Widerspruch gegen die Entnahme von Organe zur Weiterverwertung zwecks Transplantation soll notwendig werden.
Alle anwesenden Politiker (restlos) zeigen sich enttäuscht von den Wirkungen des älteren, nicht wirklich alten Gesetzes aus dem Jahr 2020, das die vollständige Freiwilligkeit und bewusste Wahlfreiheit an dieser Stelle belassen hat. Demnach müssen – wie bei jedem bürgerlichen oder sonstigen Vertrag – beide Vertragspartner einer Transaktion zustimmen. Auch die Entnahme von Organen nach dem vermeintlich sicher zu erwartenden Tod einer Person ist eine solche und muss folglich mit ungetrübtem Verstand selbst geschlossen werden. Passiert das nicht, kann Schweigen nicht als Zustimmung verstanden werden.
Ein besonders fragwürdiges Kapitel sind überdies das geplante Verfahren in Sachen dementiell erkrankter Menschen, die früher vielleicht einmal eine Meinung zur Organspende hatten. Haben sie diese in den letzten, von Demenz getrübten Lebensjahre geändert? In vielen Fällen kann das niemand mit letzter Sicherheit wissen oder sagen.
Nun folgen wieder alle dem Singsang aus Berlin. Die FAZ titelt servil: „Sinnlosem Sterben auf der Warteliste Einhalt gebieten“. Als ob ein Tod wegen eines nicht vorhandenen Spenderorgans weniger „Sinn“ hätte als irgendein anderer Tod aus gesundheitlichem oder anderem Grund. Eine solche Schlagzeile impliziert schon den Ruf an die Volksgemeinschaft, sich der gerechten Forderungen nach ausreichenden Spenderorganen nicht in den Weg zu stellen. Sterbende Menschen werden zu Ersatzteillagern degradiert. Man könnte jetzt sagen, dass sei totalitär. Ist es auch.
Plansoll nicht erfüllt, die SPD-Sirene schrillt
Abenteuerlich waren die Wortbeiträge der Abgeordneten bei besagtem Termin. Sabine Dittmar (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Gesundheitsministerium, sagte: „Wir sind schlicht und ergreifend nicht zufrieden mit den Zahlen, die uns vorliegen.“ Will sagen: Das Plansoll ist nicht erfüllt, die sozialdemokratische Sirene schrillt. Schon jetzt hat der Gesetzgeber eine umfassende Informationskampagne über Hausärzte, Erste-Hilfe-Kurse usw. in Gang gesetzt – Staatspropaganda im klassischen Sinne, wie sie immer erstes Kennzeichen des totalitären Zugriffs auf den Bürger ist.
Allumfassend war auch Dittmars Definition ihres Anspruchs an die Bürger: „Jeder Volljährige und Einwilligungsfähige kommt als Organspender in Frage…“ – und nun der springende Punkt: „… wenn er eingewilligt hat oder nicht widersprochen hat.“ Entrechtet werden so auch die Angehörigen in allen Fällen, in denen ein Sterbender nicht widersprochen hat. Sie werden nur noch als „Boten“ oder „Zeugen“ der eigenen Äußerungen des Sterbenden hinzugezogen, haben kein eigenes Einspruchsrecht. Man könnte sagen, so vergreift sich die Regierung auch an der Familie. Natürlich kann jeder Verwandte im Gespräch mit den Ärzten angeben, der Sterbende habe der Verwertung seines Körpers widersprochen. Aber ob die Ärzte sich diesem Zeugnis nachgeben werden, bleibt unklar.
Heldenhaft werfen sich Gitta Connemann (CDU) und Armin Grau (Grüne) den Angehörigen an die Seite: Dieselben würden oftmals sehr stark belastet durch die Entscheidung über eine Organspende, die sie fällen müssten. Es ist offenbar sehr einfach, einem Menschen diese Gewissensnöte zu nehmen: Der Staat maßt sich einfach die Entscheidung selbst an und entscheidet für den Bürger. Dann hat dieser (letzte, blinzelnde © Friedrich Nietzsche) Mensch keine Nöte mehr.
„Wir schöpfen in Deutschland die Spendemöglichkeiten nicht aus.“ Ein weiterer jener schrecklich verdinglichenden Sätze, gesprochen vom Grünen Grau, für die Vernutzung des Lebens. Das Problem von Grau ist, dass viele Angehörige sich im Zweifel gegen die Organspende entscheiden. Die Freiheit zur Organspende sieht Grau durch die geplante Zwangsmaßnahme keineswegs eingeschränkt. Das war auch die erwartbare Wende zum Neusprech. Auch Christoph Hoffmann (FDP) sieht keine andere Lösung als die „verpflichtende Abfrage bei den Bürgern“ oder die Zwangsentnahme per Widerspruchslösung. Seinen „schwierigen Stand“ als Liberaler überwindet Hoffmann hier dynamisch. Die Pflicht des Bürgers, sich zur Unverletzlichkeit seines Körpers und Selbstbestimmung zu bekennen, findet Hoffmann freiheitlich und liberal. Auch für Hofmann bleibt es beim Versorgungsansprach der unglücklichen Spendenerwarter: „Das Spendenregister ist nur unzureichend gefüllt.“
Wie die Blockparteien saßen sie da
Allein sprachlich absurd zeigte sich der linkeste Zweig des angeblich „demokratischen Lagers“ (so Dittmar zuvor in typischer SPD-Diktion) – gemeint ist die Linkspartei, also SED, hier vertreten von der Abgeordneten Petra Sitte. Sitte dankte zunächst den Pressevertretern im Saal für deren „mediale Begleitung, dass sie gekommen sind“. Diese Worte hört man immer dort, wo ein eigentlich unbeliebtes Thema von der Journaille behandelt und willig in Agitprop-Manier breitgetreten wird, in der irrigen Meinung, dass das zum Erblühen der Beliebtheit des Themas führen würde.
In diesem Fall wird man aber nur den gesetzgeberischen Erlass an das Volk mitteilen müssen. Zum Abschluss der schönste Sitte-Satz: Sitte wendet sich ausdrücklich gegen die Auffassung, die Widerspruchslösung „würde in die Persönlichkeitsrechte von möglichen Spendern und Spenderinnen eingreifen“. Das sei aber falsch, denn „jede und jeder potentielle Spender oder Spenderin nimmt mit dieser Entscheidung Einfluss auf das Leben anderer, also das heißt, auf deren Selbstbestimmungsrechte“. Das ist nun in der Tat der Gipfel des Kollektivismus, dass der eine Bürger für das vollkommen unverbundene Missgeschick des anderen verantwortlich sein soll und es möglichst ausbügeln müsse.
Die Pointe an dieser Vorstellung der Widerspruchsregelung für das Transplantationsgesetz ist aber, dass alle Redner von FDP und CDU, CSU bis zu SPD und Grünen genauso kollektivistisch argumentierten wie Petra Sitte es aus der ureigenen Ideologie ihrer Partei heraus tun musste. Wie die Blockparteien saßen die insgesamt sechs Parteivertreter da und predigten ein jeder dasselbe wie der Vorredner. Das organspendenunwillige deutsche Volk muss (und will, es saßen ja sechs „Volksverteter“ da) offenbar in eine Bereitwilligkeit hineingedrängt, gezwungen und überredet werden. Das ist schändlich und gehört sich in einem liberalen Rechtsstaat nicht – ganz abgesehen, ob und welche Entscheidung jeder einzelne dann trifft. Sie hat ihm aber nicht vorenthalten zu werden. Alles andere ist der Geist der Unfreiheit und der verordneten, letztlich totalitären Volkssolidarität, wie er auch durch diese gespenstische Versammlung des „demokratischen“ Blockparteienblocks wehte.