Brandenburgs entscheidende Frage war: Muss man alle Töne in digitale Daten umwandeln, wenn man Bilder und Töne speichern will, oder kann man vieles weglassen, ohne an Qualität zu verlieren?
Die stellte der Elektrotechniker und Mathematiker, Prof. Dr.-Ing. Karlheinz Brandenburg. Sein Ergebnis: mp3. Der Standard für die Übertragung und Speicherung von Tönen. Erst das raffinierte »Zusammenquetschen« von Tönen und Bildern ist die Grundlage dafür, dass wir über Handys uns Bilder und Musik schicken, auf dem Rechner Spielfilme ansehen und live über das Internet Fußballspiele ansehen können. Karlheinz Brandenburg ist Erfinder dieser Verfahren. Ohne die würden Bilder und Töne viel zu viel Leitungskapazitäten beanspruchen.
Die sogenannte »Codierung von Audiodaten« ist zu einer der Schlüsseltechnologien geworden. »Die Möglichkeit, Audio- und Videodaten praktisch ohne größeren Qualitätsverlust auf einen Bruchteil ihrer ursprünglichen Datenmenge zu komprimieren, ist die Basistechnologie der Multimedia-Zeitalters«, schrieb Brandenburg 2006. »Erst die Reduktion von Audiodaten um den Faktor 10 und von Videodaten um den Faktor 100 erlaubte den Medienkonsum über das Internet, das digitale Fernsehen und Musikgenuß mithilfe kleiner Geräte, die nur noch 50 Gramm wiegen.«
Es war viel Grundlagenforschung notwendig, die an vielen Instituten und Firmen in der Welt geleistet wurde. Die Arbeiten begannen bereits in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts (wie weit weg sich das anhört). Sony war zunächst führend, Philips in den Niederlanden und das Institut für Rundfunktechnik in München (IRT).
Aber dann arbeitete in Erlangen Karlheinz Brandenburg. Dort forcierte Professor Heinz Gerhäuser, der geschäftsführende Leiter des Fraunhofer IIS und Inhaber des Lehrstuhls für Informationstechnik, eine geniale Entwicklertruppe mit Ernst Eberlein, Bernhard Grill, Jürgen Herre und Harald Popp, die sich zunächst damit befassten, wie Schallereignisse wahrgenommen werden und wie die von der Lautstärke ab hängen.
Auch am damals nächsten Standard, dem AAC (Advanced Audio Coding) hatte auch ein Unternehmen namens »Coding Technologies GmbH« wesentlichen Anteil. In dem versammelten sich viele Fraunhofer-Mitarbeiter. Die Fraunhofer-Fachleute waren dann auch bei der Entwicklung des Videocodex H.264 beteiligt, ohne den Fernsehen und Video über das Internet nicht möglich wäre.
Auch dass man seinem Handy eine Melodie vorpfeifen kann und das nach kurzer Suche den korrekten Titel präsentiert, geht auf eine Entwicklung des Fraunhofer-Instituts IDMT zurück, »Query by humming« genannt. Die Analyse von Audio- und Bilddateien hatte ihren Ursprung ebenfalls an den Fraunhofer-Instituten für graphische Datenverarbeitung IGD, IIS und digitale Medientechnologien IDMT in Ilmenau.
In Ilmenau wurde an der TU am Montag mit einer Festveranstaltung und einem Ehrenkolloqium Karlheinz Brandenburg geehrt, sein 70. Geburtstag gefeiert und er gleichzeitig als ordentlicher Professor verabschiedet. Eine Veranstaltung, bei der sogar Ministerpräsident Ramelow und Wirtschaftsminister Tiefensee anwesend waren.
Brandenburg ist Mister mp3, der Erfinder des mp3 Formates. Anlass war vor fast 30 Jahren die sehr schmale Bandbreite damaliger Technik. Die Übertragungstechnik verlief damals noch über ISDN-Telefonnetz. Brandenburg beschäftigte sich mit Komprimieralgorithmen, wie man viel Sound in kleine Dateien verpacken, Daten reduzieren und ohne wesentliche Klangeinbussen über das Internet übertragen oder auf CDs pressen kann.
Als Ergebnis wurden MPEG 1 und MPEG 2 aus der Taufe gehoben, die sich zu den am weitesten verbreiten Komprimierungsstandards der Welt entwickelten. Eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Ohne die wesentlichen Grundlagenforschungen von Brandenburg und seines Teams wäre die Übertragung von Tönen und Bildern über das Internet nicht so ohne weiteres möglich gewesen. Es hätte keine Tauschbörsen gegeben, keine musikfähigen Handys, kein Internetstreaming.
Am Anfang einer Komprimierung von Bildern und Tönen steht eine Datenanalyse, bei der wiederkehrende Muster und Redundanzen gesucht werden, die verkürzt in Daten übertragen werden können. Je nach Komplexität der Signale und der Qualität passt das System die Bitraten an, um Dateigrößen zu reduzieren und gleichzeitig die Klangqualität hochzuhalten.
Ein Prinzip ist die Maskierung, bei der leisere Töne von lauten Tönen überdeckt werden. Beispiel: Vogelstimmen am Rande einer vielbefahrenen Straße. Der Lärm der Autos überlagert weitgehend Vogelzwitschern. Das kann weg, wenn es darum geht, den Schall in digitale Daten umzuwandeln. Schon wieder Platz gespart.
Die wichtigen Frequenzbereiche, die der Mensch normalerweise hört, werden dabei möglichst genau codiert, also in Daten umgewandelt, weniger wichtige vor allem in den oberen und unteren Frequenzbereichen können weniger detailliert codiert werden. Sehr tiefe Töne, die kaum noch wahrgenommen werden, fallen unter den Tisch. Das spart ebenfalls Platz im Datenstrom.
Seinerzeit entbrannte eine lebhafte Diskussion, wie statthaft ein solches Ausmerzen von Tönen im Klangspektrum sei. Etwa beim Subkontra-C der Orgel, das bei 16 Hertz liegt und nicht mehr gehört, sehr wohl aber wie ein Druck auf den Brustkorb gespürt werden kann. Solch langsame Schwingungen gibt auch eine normale Musikanlage nicht mehr wieder. Das Kirchenorgelfeeling fehlt eben.
Das alles leistet das System in Echtzeit, wenn wir Bilder, Musik oder Sprache aufnehmen und wiedergeben. Am Anfang verschlang eine Codierung von Video- oder Audiodateien noch sehr lange. Das Signalprozessor MASC 3500 von ITT-Intermetall erlaubte eine Codierung und das Internet kam auf, dafür konnte Brandenburg das neue mp3 vermarkten.
Erst mit heutigen Prozessoren geht das in erträglichem Zeitrahmen. Die sind bereits wie bei Apple teilweise speziell konstruiert und wandeln auch komplexe Signale in 4K relativ schnell um.
mp3 hängt viel mit Mathematik zusammen. Fraunhofer hat eine hinreißende Materialsammlung für Schulen entwickelt, in der in einem »lebensnahen spannenden Unterricht« anhand von mp3 im Handy anschaulich gezeigt werden kann, wie mathematische Modellierung und Algorithmen mittlerweile Basis fast jeder technischen Entwicklung geworden sind.
Während dessen arbeitet der letzte deutsche große Erfinder weiter daran, dem Hörer eine perfekte Audioillusion zu vermitteln. Brandenburg ist seit Montag Seniorprofessor an der TU Ilmenau, in seinem Startup „Brandenburg Labs“ wird der geniale Erfinder weiter seine Audio-Forschung vorantreiben und an den nächsten Technologien arbeiten, wie wir in Zukunft hören werden.
Die Schallplatte allerdings, die erstaunlicherweise ein gewisses Comeback feiert, weil sie angeblich ein volleres Klangbild überträgt, hat bei ihm nichts mehr zu suchen. Das seien psychologische Faktoren, die mit der Klangqualität nichts mehr zu tun hätten. Die sorge aufgrund der Nebengeräusche zusammen mit Haptik, Optik und anderen Faktoren lediglich für ein gutes Gefühl.