Kanzler Scholz (SPD) hat angesichts zurückliegender Wahlergebnisse und Meinungsumfragen sowie diverserer Ampel-Desaster eigentlich keinerlei Grund, entspannt zu sein. Ein Riesenproblem, das ihm seit Jahren – Gedächtnislücken hin oder her – im Nacken sitzt, scheint er nun allerdings durch „glückliche“ Fügung, womöglich durch cleveres Fügen, vom Hals zu haben: die Skandale um die Hamburger Warburg-Bank und um die Cum-Ex-Geschäfte. Denn: Der vormalige Co-Chef der Hamburger Warburg-Bank Christian Olearius kann nun dem seit 18. September 2023 laufenden Prozess vor der 13. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn (LG Bonn) wegen schwerer Steuerhinterziehung aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr folgen. Die Ankläger warfen Olearius zwar in 14 Fällen zwischen 2006 und Ende 2019 Planung und Durchführung von Steuerhinterziehung vor. Den Schaden für den Staat beziffert die Anklagebehörde auf 280 Millionen Euro. Das Bonner Landgericht stellte das Cum-Ex-Strafverfahren gegen Olearius nun aber ein. Grund: die angeschlagene Gesundheit des 82-Jährigen. Das entsprechende Urteil fällte die Vorsitzende Richterin Marion Slota-Haaf.
Das „Regie“-Buch
Regelmäßige TE-Leser wissen seit Jahren, was sich hier an Skandal versumpft hat. In aller Kürze und in groben Zügen die wichtigsten Szenen des Regiebuchs, das aus einer Bananenrepublik stammten könnte. (Wobei wir so mache reale oder vergangene Bananenrepublik jetzt schon um Nachsicht für diesen Vergleich bitten).
- Der damalige Hamburger Bürgermeister (2011 – 2018) Olaf Scholz hatte 2016 und 2017 nachweislich mehrere Gespräche mit Christian Olearius (bis 2019 Warburg-Aufsichtsratsvorsitzender) gehabt. Scholz kann/will sich an den Inhalt der Gespräche nicht erinnern. Das zumindest bekräftigte er zweimal im parlamentarischen Hamburger Untersuchungsausschuss, und zwar im April 2021 (damals noch als Bundesfinanzminister) und im August 2022 (mittlerweile als Bundeskanzler). An ein harmloses Small-Talk-Treffen mit Olearius in der Hamburger Elbphilharmonie erinnerte sich Scholz indes sehr genau, als er im Finanzausschuss des Bundestages in verschiedenen Sitzungen befragt wurde. Erst als später durch die Tagebuchaufzeichnungen von Olearius, in der minutiös alle Termine des Bankers verzeichnet waren, zwei vertrauliche Treffen mit Scholz in seinem Amtszimmer im Hamburger Rathaus bekannt wurden, räumte er diese ein, ohne sich aber an die Gesprächsinhalte erinnern zu können oder zu wollen.
- Seltsamerweise waren im Oktober 2023 für 20 Tage zwei (!) wichtige Laptops verschwunden, auf denen eine sechsstellige Zahl von für den Hamburger Untersuchungsausschuss brisanten Emails gespeichert war.
- Bereits 2016 hatte die Hamburger Finanzbehörde auf die Rückforderung von 47 Millionen Euro verzichtet, die sich die Warburg Bank durch Cum-Ex-Geschäfte verschafft hatte. Geplant war sogar der Verzicht auf eine Rückzahlung von 140 Millionen, die 2019 allerdings vom damaligen Bundesfinanzminister Schäuble gestoppt wurde.
- Die Cum-Ex-„Steuer-Geschäfte“ sollen insgesamt einen Schaden von 10 bis 12 Milliarden Euro verursacht haben. Zuständig für die Anklagen ist die Staatsanwaltschaft Köln. Dort wurde eine Sonderabteilung unter Führung der Leitenden Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker eingerichtet; 34 Strafverfolger arbeiten sich durch Akten und konfisziertes Material. Es fielen 120 Verfahren gegen 1700 Beschuldigte an.
- Die federführende Ermittlerin Brorhilker bekam im Oktober 2023 Probleme mit dem „grünen“ NRW-Justizminister Limbach, der Brorhilkers Aktionsradius beschränken wollte.
- Im April 2024 wirft Chefermittlerin Brorhilker ihren Job hin und geht als Geschäftsführerin zur schwer grün angehauchten NGO „FinanzWende e.V.“ Gründer und Vorstand von „FinanzWende“ ist übrigens der vormalige „grüne“ Bundestagsabgeordnete Gerhard Schick (MdB von 2005 bis 2018). Er hatte im Vorfeld des aktuellen Cum-Ex-Einstellungsurteils erklärt, es sei kein (sic!) Skandal, wenn das Verfahren auf diese Weise ende. Was es doch so alles an Verflechtungen und Verrenkungen gibt.
Die Schuldfrage bleibt offen, und Scholz kann sich zurücklehnen
Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten die Einstellung des seit September 2023 laufenden Verfahrens beantragt. Das Gericht hatte ein medizinisches Gutachten eingeholt, das die weitgehende Verhandlungsunfähigkeit des Christian Olearius bestätigte. Zuletzt durfte nur noch 45 Minuten pro Gerichtstag gegen den heutigen Gesellschafter von M.M. Warburg verhandelt werden. Die Schuldfrage bleibt also nach dieser Entscheidung unbeantwortet. Sie ist indes kein Freispruch. Die Staatsanwaltschaft hat Revision eingelegt.
Was bleibt? Erstens: Mit Hilfe sogenannter Cum-Ex-Geschäfte bekamen Finanzakteure Steuern erstattet, die gar nicht gezahlt worden waren – Aktien mit („cum“) und ohne („ex“) Dividendenanspruch wurden in einem Verwirrspiel hin- und hergeschoben. Dem Staat entstand dadurch ein zweistelliger Milliardenschaden. Von 10 bis 12 Milliarden ist die Rede.
Zweitens: Eine der brisantesten Zeitbomben für Olaf Scholz ist nun entschärft. Das ist der eigentliche Skandal. Scholz kann schon mal den Sekt kaltstellen.