Tichys Einblick
Neuauflage der Nationalen Front?

Friedrich Merz sorgt sich, dass der Westen den Osten nicht gut genug integriert bekommt

Im Sommerinterview mit Friedrich Merz zeigt sich wieder: der Westen kann und will den Osten nicht verstehen. Seine Brandmauerstrategie dagegen droht ihm auf die Füße zu fallen. Es drohen Landtage mit der AfD als stärkster Partei. Was, wenn es am Ende nicht einmal zur CDU-BSW-Koalition reicht?

picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka

Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz, der als Oppositionsführer vor allem den Kampf gegen die Opposition anführt, hat im Sommerinterview mit dem ZDF eine bemerkenswerte Sicht auf die deutsche Politik und auf den „Osten“ verraten. Ist es die Arroganz des Mannes aus dem tiefsten Westen, ist es die Überheblichkeit des Mannes, der für Blackrock, also für einen sehr großen amerikanischen Vermögensverwalter gearbeitet hat, oder ist es die Perspektive des Mannes, der weit über dem alltäglichen Leben der Mensch, übrigens nicht nur im Osten, sondern auch im Westen hinwegfliegt – man weiß es nicht. Das Wappenbild des Parteivorsitzenden Friedrich Merz ist die Schimäre.

Im Interview mit dem ZDF im tiefsten Westen fragt der Mann aus dem Sauerland tatsächlich, „ob wir den Osten nach 30 Jahren, 35 Jahren Mauerfall gut genug integriert bekommen.“ Für die Dummen aus dem Osten, die Minderbemittelten, den man soviel erklären muss, weshalb Fredrich Merz auch so viel im Osten ist, die nicht Genug-genug-Integrierten ruft das allerdings die Gegenfrage auf: wer ist eigentlich wir? Friedrich Merz? Die CDU? Blackrock? Ursula von der Leyen? In der Politik gibt es neuerdings sehr viel „Wir“, das „Wir“ des Frank-Walter Steinmeiers, das „Wir“ des Friedrich Merz, nur dass dieses „Wir“ nach „Wir und nicht ihr“ klingt.

Wir jedenfalls wissen nicht, was Friedrich Merz im Herbst 1989 getan und genossen hat, wo er zu dieser Zeit herumschnöselte, wir wissen nur, dass im nicht gut genug integrierten Osten in diesen Wochen und Monaten immer mehr Menschen unter beträchtlicher Gefahr auf die Straße gegangen sind, im Anfang sehr viel riskiert haben, um Freiheit und Demokratie zu erkämpfen und die Wiedervereinigung zu ermöglichen. In den Jahren danach mussten sie ihr gesamtes Leben neu organisieren, nicht wenige noch einmal von vorn anfangen. Für viele Leute aus Westdeutschland boten sich hingegen Karrierechancen, die sich ihnen sonst nie eröffnet hätten. Vor Jahren hatte der MDR in einer Dokumentation, die der Frage nachging, wem der Osten gehört, herausgefunden, dass der Osten nicht den Ostdeutschen gehört, sie wurden schlicht wegevaluiert, wegintrigiert und wegintegriert.

Interessant ist, wie Friedrich Merz den Osten integriert bekommen will. Er pfeift zwar tapfer das Lied von der starken CDU im Osten, schlägt sich an die Brust, denn immerhin gibt es „die CDU …im Osten noch, wir sind immerhin zweitstärkste Partei im Osten.“ Und zweitstärkste ist immerhin besser als stärkste Partei, wie Robert Habeck glauben mag, dass Vizekanzler mehr ist als Kanzler. Friedrich Merz läuft geradezu wie der Turnvater Jahn zur großen Form auf: „Wir regieren in Sachsen-Anhalt, wir regieren in Sachsen, wir sind mit in der Regierung in Brandenburg.“ Geradezu paradiesische Zustände, wenn da die AfD und das BSW nicht wären.

In Sachsen könnte eine Koalition aus AfD und BSW auf 47 %, Tendenz höher kommen. Gibt die CDU noch nach, dann reicht es unter Umständen nicht für eine CDU-BSW-Koalition. Jedenfalls besteht die Wahlkampfstrategie der CDU für die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im Endeffekt darin, die Stimmen für die CDU möglicherweise zu minimieren.

Friedrich Merz jedenfalls mag sich gesagt haben, von der SED lernen, heißt siegen lernen, denn die Kommunalwahlen ließen ihn auf den Gedanken verfallen, eine Art Nationale Front 2.0 als Brandmauerverein zu gründen. Denn nichts anderes ist die Brandmauer als die Umrahmung eines Machtkartell von Parteien, die eine ähnliche Politik verfolgen und deren Interesse in der Verteidigung der Macht, der Posten und Pöstchen besteht. Merz machte es im inhaltsarmen Interview mit dem ZDF deutlich, als er eingestand, dass in der Frage der Außen-und Sicherheitspolitik ihn mehr mit den Grünen verbindet als mit der SPD. Der Vorsitzende der CDU ließ durchblicken, dass er die Taurus-Marschflugkörper geliefert hätte – und wahrscheinlich schreckt ihn auch die Aussicht, dass Deutschland Kriegspartei wird, nicht sonderlich ab, denn Außenpolitik besteht für ihn darin, „Ungewissheit“ an den „jeweiligen gegenüber“ zu vermitteln.

Heißt, in einem Kabinett Merz würde demnach Annalena Baerbock Außenministerin bleiben und Anton Hofreiter Verteidigungsminister werden können. „Ungewissheit“ will Merz aber nicht nur nach Außen, sondern auch nach Innen vermitteln, denn über die Frage der Unterstützung der Ukraine wird „viel zu sehr in der Öffentlichkeit“ diskutiert. Wenn die Ampel einig wäre und sie den „Oppositionsführer einbezogen hätte, dann hätten wir uns diese ganzen öffentlichen Diskussionen sparen können.“ Demokratie ist eben Mist, und „Diskussionsorgien“ (Angela Merkel, CDU) sind es auch.

Soll über existentielle Frage der Bundesrepublik unter Ausschluss der Bürger eine kleine Gruppe von Politikern entscheiden? Historisch nennt man ein solches System nicht Demokratie, sondern Oligarchie. Einmal auf den Geschmack gekommen, den Bürger zu delegitimieren, schlägt er ausgehend von den Kommunalwahlen vor: „Das zeigt die Stärke der CDU, vorausgesetzt es sind andere bereit sich dann auch einzureihen in solche Wahlen und deswegen ist auch mein Apell ganz eindeutig und klar. Die Wählerinnen und Wähler in Sachsen und Thüringen, die am 1. September vor der Entscheidung stehen, wen sie wählen sollen, die aber erwägen die SPD, die FDP oder die Grünen zu wählen, die allesamt einstellig sind und möglicherweise alle drei unter 5 % bleiben, kann ich nur bitten, jetzt in dieser Situation die CDU zu wählen […]. Wir können im Osten auch auf Platz 1 liegen, vorausgesetzt die Parteien der politischen Mitte einigen sich dieses Mal darauf, schon im ersten Wahlgang die CDU zu wählen.“

Vergaß Merz, dass es nur einen Wahlgang bei Landtagswahlen gibt oder denkt er, dass die Wahlen so oft wiederholt werden müssen, bis das Ergebnis stimmt? Denn nur die CDU, meint Merz, könne die AfD verhindern. In der DDR hieß das: „Wählt die Kandidaten der Nationalen Front.“

Inhalte, außer der unbegrenzten Ukraine-Unterstützung, besitzt die CDU nicht, der Inhalt, den Merz im Interview vermittelt, reduziert sich auf den Kampf gegen die AfD, auf den Kampf um Posten und Pöstchen. Die CDU an der Macht, das hat Friedrich Merz im Interview klargestellt, möglicherweise ungewollt, wäre die Fortsetzung der Ampel-Politik unter geringerer Information der Bürger, denn mit den Grünen wäre die CDU weiter in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammen, in der Wirtschaftspolitik wäre die CDU weiter von den Grünen entfernt als von der SPD.

Mit anderen Worten, die CDU würde auch sehr gut in einer Koalition mit den Grünen oder in einer Koalition mit der SPD oder in einer Koalition mit der SPD und den Grünen passen, ändern würde sich indes wenig. Denn bei seinem Auftritt bei Enpal hatte sich Friedrich Merz vor kurzem zur Wärmewende und zu den Wärmepumpen bekannt. Na bitte, es geht doch. Liegen die Grünen und die CDU wirklich so weit in der Wirtschaftspolitik auseinander?

Hört man in den Landesverband der CDU in Brandenburg hinein, geht die CDU in der von Merz skizzierten Strategie in die Landtagswahlkämpfe. Da die Bürgermeister und Landräte aus der AfD verhindert werden konnten, indem die Brandmauerparteien sich zur Stichwahl vereinigten, glaubt die CDU, dass es eine clevere Idee sei, die Wähler der SPD, der Grünen, der FDP einzureden, dass ihre Parteien bei den Landtagswahlen ohnehin keine Chance besäßen – und sie deshalb, um die AfD zu verhindern, lieber CDU wählen sollten.

Als Wähler der SPD, der FDP oder der Grünen würde ich dieses Angebot als arrogant und unehrenhaft ablehnen, es würde mich eher motivieren, die Partei zu wählen, die ich eigentlich wählen wollte. Nicht ausgeschlossen ist es indes, dass sich die CDU verrechnet, denn sie könnte mit dieser Strategie, mit dieser Einheitsblockstrategie CDU-Wähler abschrecken, ihnen sozusagen noch das letzte Argument bieten, dann doch AfD zu wählen anstatt die neue Brandmauereinheitspartei, die erhofften Wähler aber der SPD, der Grünen, der FDP nur in so geringer Zahl zur CDU locken, dass sie die Verluste der CDU zwar ausgleichen würde, aber ihre Parteien weiter an Stimmen verlieren und manche unter die 5 % fallen könnten.

Das Resultat der Wunderstrategie des Mannes, der die Ostdeutschen gut integriert bekommen möchte, wären dann Landtage mit der AfD als stärkste Partei, einer erkennbar schwächelnden CDU und eines erstaunlich starken BSW. Wenn es dann nicht einmal für ein Bündnis zwischen CDU und BSW reicht, darf die Strategie des Überfliegers der CDU vollkommen geglückt sein.

Vielleicht aber versucht es die CDU einmal nicht mit den von den Grünen abgeschriebenen Inhalten, sondern mit bürgerlichen Inhalten, mit Inhalten für Deutschland, die unser Land voranbringen, aber das dürfte die CDU in der allzu langen Merkel-Zeit gründlich verlernt haben.

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