Tichys Einblick
Debatte zu Katrin Göring-Eckardt

Die Freude am Fußball spielt gegen die Apparatschicks der Politik

24 Nationen spielen derzeit in Deutschland Fußball gegeneinander. Doch gleichzeitig findet ein anderes Duell statt: Die Freude am Fußball verteidigt sich gegen den Zugriff der Politik. Der Sieg des Außenseiters ist möglich.

Fußball: EM, Deutschland - Ungarn, Vorrunde, Gruppe A, Spieltag 2, Stuttgart Arena, ein Fan von Deutschland feiert auf der Tribüne mit einer aufblasbaren Trophäe.

picture alliance/dpa | Tom Weller

Die Europameisterschaft hatte bisher guten Fußball zu bieten: Die schnell geführten Partien Deutschlands gegen Schottland oder der Türkei gegen Georgien, die überzeugenden Auftritte von Favoriten wie Spanien, Frankreich oder der Niederlande, aber auch den Außenseitersieg der Slowakei gegen Belgien.

Im Berliner Yorckbrückenkiez haben die Spätis Fernseher aufgestellt. Die Nachbarn treffen sich, um zusammen statt allein zuhause Fußball zu schauen. Es ist eine gute Nachbarschaft. Geht einem das Geld aus, braucht wer Hilfe bei einer Arbeit oder muss sich mal Kummer von der Seele reden, dann ist immer jemand da, der hilft. Die Stimmung bei den Spielen ist entsprechend gut. Mit am besten war sie beim Sieg der Slowaken gegen Belgien. Nicht, weil Slowaken unter den Zuschauern wären. Menschen freuen sich immer, wenn der Underdog gewinnt.

Die meisten Zuschauer im Yorckbrückenkiez sind Deutsche. Mit oder ohne türkischen Hintergrund. Es sind aber auch Romas aus Serbien darunter, polnische Mütter oder ukrainische Kriegsflüchtlinge. Trotzdem war der Zulauf am stärksten, wenn die deutsche oder die türkische Mannschaft gespielt haben. Heimat ist ein Gefühl. Das kriegst du nicht wegintegriert – und das musst oder sollst du auch gar nicht. Solange sich alle an die Regeln halten, ist es überhaupt kein Thema, wenn die Menschen unterschiedliche Heimaten im Herzen tragen.

Die deutschen Zuschauer ohne türkischen Hintergrund haben sich im Yorckbrückenkiez mit den Türken gefreut, als die gegen Georgien gewonnen haben. Es war die ungetrübteste Freude der letzten Woche. Bei den deutschen Erfolgen gegen Schottland und Ungarn schwang auch immer das Gefühl mit, sich von Nationalismus distanzieren zu müssen. Ein Drang, den die Deutschen mit türkischem Hintergrund unter den Nachbarn nicht verstehen. Würde ihnen jemand den Spaß am Fußball oder den Stolz auf die eigene Herkunft vermiesen, würden sie ihn vom Hof jagen. Warum sie sich das denn gefallen ließen, fragen sie ihre deutschen Nachbarn offen. Wenn die versuchen zu antworten, fällt auf: Sie schauen dabei immer verlegen nach unten. Grüne und rote Politiker wie Journalisten haben ganze Arbeit geleistet, wenn es darum geht, Deutschsein mit Scham zu verbinden.

Katrin Göring-Eckardt hat sich in einem maximal dämlichen Beitrag auf Twitter gefreut, dass nicht nur weiße Spieler in der deutschen Mannschaft spielen. Die Grüne kommt sich vor wie ein Marco Polo, der das China der Multikultur entdeckt hätte. Dabei ist sie nur eine Unwissende, die eine Mauer anstarrt. Der FC Bayern hatte Samuel Koffour, Eintracht Frankfurt Anthony Yeboah und Jay-Jay Okocha, Borussia Dortmund Sunday Oliseh oder Bayer Leverkusen Cha Bum-Kun. Kurzum: Nichtweiße Fußballer sind Fans schon seit über 40 Jahren so prägend und selbstverständlich, dass es jeder mitbekommen hat. Als Letztes Katrin Göring-Eckardt in ihrem grünen Elfenbeinturm.

Von Samuel Koffour würde übrigens kein Bayern-Fan sprechen. Sie kennen ihn nur als Sammy. Und sie lieben Sammy. Doch die Deutschen haben sich daran gewöhnt, dass hinter jeder Ecke einer von der grünen Oberlehrer-Partei lauert: Warum nennen Sie Koffour bei seinem Spitznamen und nicht bei seinem richtigen Vornamen? Damit degradieren Sie ihn in seiner Persönlichkeit, das sind postkolonialistische Strukturen. Schon ist die Nazi-Keule geschnitzt und kann geschwungen werden. Und schon fühlt sich wieder wer als moralisch überlegener Weltverbesserer, der in Wirklichkeit doch nur eine überbezahlte Küchenhilfe ist. Die deutschen mit türkischem Hintergrund fragen zurecht, warum die deutschen Nachbarn sich das gefallen lassen.

Der Fußball ist okkupiert. Wettmafia, Schwerverbrecher, Industrielle und Diktatoren aus aller Herren Länder haben ihren Zugriff darauf. Auch und gerade außerhalb von Turnieren. Während normale Steuerzahler kaum an Tickets kommen, zelebrieren Karl Lauterbach, Olaf Scholz oder Nancy Faeser auf der VIP-Tribüne ihre eigene Bedeutung als Dauerzuschauer. Schaut her, wir haben Karten, wir sind mächtig, lautet die Botschaft. Ans Volk. Aber mehr noch an sich selbst.

Doch geschenkt. Der Fußball mag okkupiert sein, trotzdem lieben die Fans ihn. Etwa, wenn Lamine Yamal oder Kylian Mbappè zaubern. Spätestens aber, wenn die Slowakei überraschend Belgien schlägt. Die Fans blenden aus, dass der Fußball okkupiert ist. Aber sie blenden nicht die Realität aus. Auch, wenn Katrin Göring-Eckardt meint, die Tore von Jamal Musiala mit grüner und merkelscher Einwanderungspolitik vermengen zu müssen. Doch falls Katrin Göring-Eckardt meint, die Menschen würden Messermorde plötzlich gutheißen, weil ein Stürmer trifft, der nicht Müller heißt, dann ist ihre Logik brüchig und ihr Irrtum groß.

Mit Fußball können Politiker vielleicht kleinere Schweinereien zudecken. Doch Brot und Spiele lenken immer nur kurzfristig ab, aber sie retten keine Römischen Reiche. Spiele begleiten die Weltgeschichte, aber sie verändern sie nicht. Noch am 18. Juni 1944 haben der Dresdner SC und LSV Hamburg die Deutsche Meisterschaft ausgetragen. Da waren Briten und Amerikaner schon in der Normandie gelandet und arbeiteten sich nach Osten vor. Mag sein, dass das am 18. Juni 1944 kurz vergessen war, aber spätestens am 19. Juni 1944 war es wieder jedem klar.

Im Berliner Olympiastadion haben 70.000 Zuschauer das Finale von 1944 gesehen. Zumindest die Dresdner unter ihnen haben sich daran gefreut. Das ist auch gut so. Fußball ist da, damit sich junge Menschen bewegen – und damit die Jungen, die Schlechteren oder die Älteren an den Besten ihren Spaß haben. Die Weltgeschichte findet am Fußball vorbei statt. Beides miteinander verknüpfen zu wollen ist dumm.

Zwar können Politiker vom Imagetransfer profitieren. Aber auch das hat seine Grenzen. Angela Merkel konnte sich nur so lange neben den deutschen Spielern in deren Erfolg sonnen, solange ihre eigene Bilanz dank Hartz-Reformen und sich erholender Weltwirtschaft gut war. Nachdem sie Deutschland 2015 in die Krise geführt hatte, war der Tribünen-Liebling Merkel ebenfalls Geschichte. Und die Deutschen werden nicht anfangen, Olaf Scholz für einen guten oder integren Politiker zu halten, bloß weil er sich mit Lauterbach auf der VIP-Tribüne einnistet. Vor allem lassen sich Probleme nicht durch die Verknüpfung mit Fußball lösen. Die Freude über Musialas Treffer mag von überfülltem Aufnahmelagern ablenken – doch nach dem Abpfiff sind die Lager halt immer noch überfüllt. Auch bleiben afghanische „Bad Guys“ weiter gefährlich.

Es lässt sich für Nachgeborene kaum erklären, wie 70.000 Zuschauer 1944 den Krieg ausblenden konnten oder gar die Gerüchte wie Gewissheiten, die aus den Lagern im Osten kamen. Doch offenbar konnten sie es. Angesichts dieses Hintergrunds muss frau schon eine Küchenhilfe im Höhenrausch sein, wenn frau glaubt, den Menschen 2024 mit einer grünen Aushilfspfarrerinnenpredigt den Spaß am Fußball nehmen zu können oder zu müssen.

Im Yorckbrückenkiez klappt das nicht. Dort haben sich die Nachbarn selbst gebastelte T-Shirts bestellt: Sie zeigen einen türkischen Halbmond in Schwarz-Rot-Gold. Ohne jede PR gab es auf Anhieb 100 Bestellungen. Spaß, Herz und Fußball mögen in einer von Apparatschicks okkupierten Republik nur Außenseiter sein – aber ab und an gewinnen die.

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