Seit Russlands Überfall auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 ist viel die Rede davon, dass die Nato-Mitgliedsländer endlich 2 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Verteidigung ausgeben sollen. „Sollen“ heißt: Der Nato-Gipfel von 2002 in Prag hat sich nach Jahren der ausgeschöpften „Friedensdividende“ auf dieses Maß verständigt, und zwar als Empfehlung für die Jahre bis 2012. Im Jahr 2014 – nach der Annexion der Krim durch Russland – wurde dieses Ziel bei Nato-Gipfel in Wales in Erinnerung gerufen.
Erst recht geschah dies ab Februar 2022. Kanzler Scholz versprach am 27. Februar in seiner „Zeitenwende“-Rede, dass Deutschland sehr rasch die 2-BIP-Prozent anstrebe. Zu diesem Zeitpunkt waren es 1,4 Prozent. In Zeiten des Kalten Krieges, also bis hinein in die 1980er Jahre, waren es 3,5 Prozent. Nun wird die Nato mit Blick auf den 75-Jahre-Jubiläums-Gipfel vom 9. bis 11. Juli in Washington die 2 Prozent erneut festklopfen. Die Nato war ja bekanntermaßen am 4. April 1949 von 12 Staaten gegründet worden. Zu den Gründern gehört folgende 12 Staaten: Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA. Die Bundesrepublik trat der Nato am 9. Mai 1955 bei.
Im Vorfeld des Nato-Jubiläumsgipfel wollen die Nato-Mitglieder jedenfalls nicht schlecht dastehen. Deshalb melden für 2024 mittlerweile und urplötzlich 23 der 32 Nato-Mitglieder, dass sie die 2-Prozent-Marke erreicht hätten.
Viele tricksen, die „Ampel“ besonders schamlos
Deutschland hat der Nato für 2024 Verteidigungsausgaben von sage und schreibe 90,6 Milliarden Euro gemeldet. Und das bei einem Regeletat von 52 Milliarden für 2024. Das ergibt rechnerisch einen Anteil am BIP von 2,12 Prozent. Spitzenreiter allerdings bleiben Polen, Griechenland, die USA und die baltischen Staaten. Hinten rangieren Spanien, Slowenien, Luxemburg, Belgien, Kanada, Italien und Portugal. Insgesamt werden die derzeit 32 Nato-Staaten nach jüngsten Schätzungen im Jahr 2024 rund 1,5 Billionen US-Dollar (etwa 1,4 Billionen Euro) für Verteidigung ausgeben. Davon tragen die USA mehr als die Hälfte bei: 883,7 Milliarden. US-Dollar (823 Milliarden Euro). In BIP-Prozent ausgedrückt: Die Nato insgesamt gibt 2,54 BIP-Prozent für Verteidigung aus, die Nato ohne die USA 1,8 Prozent.
So richtig vergleichbar freilich sind die Prozentangaben nicht. Hier wird viel getrickst. Die „Ampel“ mag sich rühmen, dass sie das 2-Prozent-Ziel der Nato 2024 erreicht. Aber: Dem ARD-Hauptstadtstudio liegen vertrauliche Papier vor, wie die 2,12 Prozent Deutschlands zustande kamen.
www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundeswehr-nato-zwei-prozent-100.html
Der Verteidigungsminister rechnet für 2024 nämlich einen Großteil aus dem 100-Milliarden-Sondervermögen dazu. Da das Sondervermögen aber seit Ende 2023 so gut wie vollständig verplant ist, heißt das: Die 2 Prozent werden sich ab 2025 nicht wiederholen lassen. Dann müsste der Regeletat nämlich 86 statt der derzeit 52 Milliarden ausmachen.
So trickreich hat die „Ampel“ nach Brüssel ins Nato-Hauptquartier also gemeldet bzw. in die 2 BIP-Prozent eingerechnet:
- Zinszahlungen für vergangene Ausgaben für die Bundeswehr, also für Panzer, Flugzeuge und Schiffe, die vor Dezember 2021 von der Vorgängerregierung angeschafft wurden.
- Zinsen für Rentenzahlungen oder Entwicklungshilfeausgaben, die nicht direkt als verteidigungsrelevant gelten können.
- Kindergeldzahlungen an Bundeswehrangehörige aus dem Bundesfamilienministerium.
- Versorgungsleistungen für die ehemaligen Angehörigen der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR.
- Eine Milliarde aus dem Entwicklungshilferessort für den Wiederaufbau in Krisen- und Kriegsgebieten hinzu.
- Krisenpräventionsausgaben aus dem Auswärtigen Amt und die Mitgliedsbeiträge der Bundesrepublik an die UNO.
Deutschland ist aber nicht der alleinige Trickser. Zweifelhafte Rechenmethoden praktizieren auch andere Länder: Spanien rechnete einmal die Kosten der Feuerwehr von Madrid ein. Griechenland führte vor Jahren Pensionskosten von Militärangehörigen aus der Zeit der Diktatur auf.
Alles in allem: Wenn alle tricksen, sind sich alle ja wieder einig. Ob sich das real in Verteidigungsfähigkeit umsetzt, ist eine andere Frage. Vor allem aber bleibt offen, ob die europäischen Nato-Partner auf Dauer ohne den großen atlantischen Bruder verteidigungsfähig sind.