Tichys Einblick
Die Mehrheit will die "bewaffnete Intifada"

Es hilft auch den Palästinensern nichts, wenn ihr Extremismus beschönigt wird

Drei von Fünf Gaza-Bewohnern haben ein Familienmitglied verloren. Dass die Hamas dieses Desaster herbeigeführt hat, will man trotzdem nicht wissen. Stattdessen steigt der Zuspruch für die Islamisten - sie sollen auch in Zukunft Gaza regieren. Nur die Minderheit will eine "Zwei-Staaten-Lösung".

picture alliance / AA | A. Zagout

Mehr als 8 Monate sind seit dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober vergangen. Seitdem haben die Palästinenser bitter erfahren müssen, welche Folgen ein solches Massaker auch für das eigene Volk hat: Die Zerstörung im Gazastreifen ist immens und drei von fünf Bewohnern der Küstenenklave geben an, mindestens ein Mitglied ihrer Familie im Krieg verloren zu haben.

Trotzdem hat sich bis heute nicht die Einsicht durchgesetzt, dass die Hamas dieses Desaster herbeigeführt hat. Im Gegenteil: Wie eine neue Umfrage des „Palestinian Center for Policy and Survey Research“ zeigt, ist der Zuspruch für die Islamisten unter den Palästinensern im Vergleich zur letzten Erhebung vor drei Monaten noch einmal gestiegen. Demnach geben in der aktuellen Umfrage, die Ende Mai beziehungsweise Anfang Juni durchgeführt wurde, 75 Prozent der Befragten an, mit der Hamas zufrieden zu sein. Im März waren es noch 70 Prozent.

Dagegen meint nicht einmal jeder Zehnte, dass die Hamas am Leid im Gazastreifen Schuld hat. Den Angriff vom 7. Oktober unterstützen zwei von drei Befragten und ebensoviele Palästinenser gehen davon aus, dass die Hamas den Krieg am Ende gewinnen wird.

Hamas dürfte bei Wahlen auf 46 Prozent hoffen

Das ist es auch, was sich die meisten wünschen: Drei von fünf Palästinensern hoffen, dass die Islamisten den Gazastreifen auch in Zukunft regieren. Würden jetzt Neuwahlen für das seit 2006 nicht mehr gewählte palästinensische Parlament angesetzt, würden 32 Prozent aller Palästinenser und 46 Prozent derer, die zur Wahl gehen, ihr Kreuz bei einer Hamas-Liste machen. Das entspricht in etwa dem Ergebnis vom März.

Mit der ungebrochenen Zustimmung für die Hamas korrespondiert die ungebrochene Ablehnung des international gestützten und letztlich mit westlicher Hilfe verzweifelt im Amt gehaltenen Präsidenten der Autonomiebehörde, Mahmud Abbas: Bei einer Präsidentschaftswahl hätte er gegen Hamas-Chef Ismail Hanije keine Chance. Den international verbreiteten Wunsch, Abbas’ Autonomiebehörde möge im Gazastreifen das Ruder übernehmen, teilen unter den Palästinensern nur sechs Prozent; neun von zehn fordern hingegen seinen Rücktritt.

Abbas kritisiert Iran, doch viele Palästinenser bejubeln Teheran

Abbas ist schon lange verschrien, weil er für ein korruptes System steht. Dass er teilweise auf Konfrontation zu den Hamas-Schergen und zu den Drahtziehern im Iran geht, macht ihn dabei noch unbeliebter. Anfang Juni attackierte die Autonomiebehörde öffentlich den iranischen Revolutionsführer Ali Chamenei mit dem Vorwurf, „palästinensisches Blut“ auf dem Altar seiner eigenen Agenda zu opfern. Bereits zuvor hatte die Fatah Teheran vorgeworfen, durch seine Einmischung „Chaos“ zu verursachen. Auf diese Weise versucht die Abbas-Partei, die Hamas als Büttel des Iran darzustellen.

Das Problem: Im Westen mag man darüber jubeln, aber in der palästinensischen Gesellschaft kommt das nicht unbedingt gut an. Wie aus der aktuellen Umfrage hervorgeht, hat die Zufriedenheit der Palästinenser mit dem Iran im Vergleich zum März um 19 Prozentpunkte auf 49 Prozent zugelegt – vermutlich als Dank für den iranischen Großangriff auf Israel Mitte April. Dass Abbas der Hamas im Mai bei einem arabischen Gipfeltreffen vorwarf, mit ihrem Angriff Israel in die Hände gespielt zu haben, beurteilen drei von vier Palästinensern ablehnend.

Zustimmung zu „bewaffneter Intifada“

Interessant sind die teils signifikanten Unterschiede, wenn man die Stimmung im Gazastreifen und im Westjordanland vergleicht. So glaubt in der direkt vom Krieg betroffenen Küstenenklave heute nur noch knapp jeder Zweite an einen Sieg der Hamas, während es im Westjordanland 80 Prozent sind. Dort hoffen auch 71 Prozent, dass die Hamas Gaza weiter kontrolliert; im Gazastreifen selbst tun das nur 46 Prozent. Im Westjordanland sind 82 Prozent mit den Islamisten zufrieden, im Gazastreifen 64 Prozent.

Insofern scheint es doch eine gewisse Rückkopplung zwischen den Kriegsfolgen und der Zustimmung zur Hamas zu geben. Trotzdem geben auch im Gazastreifen noch immer 57 Prozent an, es sei richtig gewesen, eine „Offensive“ gegen Israel zu beginnen. Vor drei Monaten hatten das allerdings noch 71 Prozent gemeint.

Insgesamt zerpflückt die Umfrage wieder einmal zahlreiche Luftschlösser des Westens in der Luft. So unterstützen nur 32 Prozent der Befragten die immer und immer wieder beschworene sogenannte „Zwei-Staaten-Lösung“ (vor drei Monaten waren es noch 45 Prozent). Hingegen sprechen sich 63 Prozent für eine Rückkehr zu „Konfrontationen und bewaffneter Intifada“ aus. Vor drei Monaten waren es noch 55 Prozent.

Die Realität anerkennen

Unter dem Strich können die Ergebnisse nicht überraschen. Sie bestätigen vielmehr ein bekanntes Bild, das die Jüdische Allgemeine jüngst so zusammenfasste: „Otto-Normal-Palästinenser ist ein radikaler Extremist“. Das klingt brutal, doch die Realität ist manchmal eben unschön. Der Westen glaubte bislang, er könne die Wirklichkeit besser machen, indem er die Augen vor der Realität verschließt.

Das ist ein grober Trugschluss: Am Ende hilft es auch den Palästinensern nichts, wenn wir ihren Extremismus beschönigen. Weil wir so nur dazu beitragen, dass sie immer weiter in ihrer Opferrolle – völlig unfähig zur Selbstkritik – verharren. Wir haben das bereits jahrzehntelang ausprobiert, ohne dass es uns, die Palästinenser oder den Frieden vorangebracht hätte. Es ist an der Zeit, das jetzt endlich zu ändern.

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