Jedes Jahr das gleiche Spiel. Pardon: Alle drei (!) Jahre die immer gleich redundanten Pisa-Ergebnisse. „Redundant“, weil „Pisa“ nur einen minimalen Ausschnitt aus dem schulischen Bildungsgeschehen erfasst und damit trotzdem ein ums andere Mal eine Ungerechtigkeitsarie angestimmt wird. Schuld: ein angeblich sozial selektives Gymnasium. Und alle zwei (!) Jahre die ebenfalls sehr bedingt aussagekräftigen, wenn auch voluminös inszenierten Aussagen des „Nationalen Bildungsberichts.“
Dabei weiß man längst, dass die vormalige Bildungsnation eine Absteigernation ist. Aber es wird gebetsmühlenhaft immer das Gleiche bejammert: „Wir stehen vor großen Herausforderungen“, es werde zu wenig Geld investiert, es gebe zu wenig Ganztagsangebote, bald die Hälfte der Grundschüler erreiche die Mindeststandards in Deutsch und Mathematik nicht, wir hätten zu wenig Abiturienten und Akademiker, die Integration von Zuwanderungskindern gelinge nicht. Überhaupt sei das ganze System ungerecht, weil nicht alle aus allen sozialen Schichten eine Gymnasialempfehlung bekämen. Was auch immer „Gymnasium“ heute noch heißen mag!
Nun hat das Deutsche Institut für Internationale Pädagogische Forschung (DIPF, Frankfurt/M.) am 17. Juni 2024 den „Nationalen Bildungsbericht 2024“ vorgestellt. 436 Seiten sind es geworden. Unter Mitarbeit von rund hundert „Expert:innen“ und „Autor:innen.“ Allein hier, spätestens aber bei „Hinweise für Leser:innen“ möchte man aufhören zu lesen. Über zweitausendmal springt einem der Gender-Doppelpunkt auf den mehr als vierhundert Seiten entgegen.
Blättert bzw. scrollt man das 436-Seiten-Konvolut dennoch durch und bezieht die öffentliche Berichterstattung mit ein, muss man jedenfalls feststellen: Es dreht sich alles im Kreis. Und es geschieht … Nichts! Denn der „Nationale Bildungsbricht“ macht einen weiten Bogen um mehrere Kernprobleme. Ein paar Dinge seien thesenartig herausgegriffen und rhetorisch fragend durchleuchtet.
Wenn alle Abitur haben, hat keiner mehr Abitur
Für die Bildungsdebatte scheint wie vor exakt 60 Jahren der Spruch des damaligen „Bildungsforschers“ Georg Picht (1964) zu gelten: „Wir brauchen mehr Abiturienten, auch wenn wir sie nicht brauchen.“ Diese monomanische Fixierung auf Gymnasium und Studium hat das Gymnasium selbst ausgehöhlt, aus den Hochschulen Massenbetriebe gemacht und einen eklatanten Fachkräftemangel verursacht. In den Köpfen sehr vieler Eltern, zumal mit nur einem Kind, hat sich festgesetzt: „Der Mensch beginnt mit dem Abitur.“ Dieser Verirrung sitzt auch der aktuelle „Bildungsbericht“ auf, wenn er selbst im Zusammenhang mit Migration festhält: „Für Zugewanderte, die als Minderjährige und größtenteils mit ihren Eltern nach Deutschland eingewandert sind, sinkt die Hochschulabschlussquote mit steigendem Zuwanderungsalter.“ Wie wenn dies das wichtigste Kriterium von Integration wäre. Im übrigen driften Studierberechtigung und Studierbefähigung immer weiter auseinander. Einfacher ausgedrückt: Nicht alle der drei Millionen Studienberechtigten sind studierfähig. Dennoch werden die Noten in Schulen und Hochschulen immer besser.
Viel hilft viel? Nein!
Der Bildungsbericht beklagt eine „unzureichende Finanzierung“ des Bildungswesens. Zu Recht? Nein! Deutschland gab im Jahr 2022 für Bildung 264 Milliarden Euro aus. Das sind 46 Prozent mehr als 2012. (Bei einem Kaufkraftverlust von rund 18 Prozent in diesem Jahrzehnt.) Damals waren es 181 Milliarden. Kaufkraftbereinigt ist es also immer noch ein Plus von annähernd 30 Prozent für Bildung. ABER: Wenn es jetzt heißt, das deutsche Bildungswesen sei unterfinanziert, dann muss man zurückfragen: Werden die Milliarden immer sinnvoll ausgegeben? Ist es volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn derzeit 3 Millionen junge Menschen immer länger studieren? Wenn sie bis zum Erwerb des Masters an der Universität zuletzt 13,6 Semester (2016: 12,3 Semester) und an der Fachhochschule zuletzt 12,3 (2016: 11,6 Semester) brauchten? War die Fachhochschule nicht auf einen rascheren Durchlauf konzipiert worden?
Immer neue „woke“ Fächer
Bleiben wir bei Finanzierungsfragen: Ist es sinnvoll, an den Hochschulen immer neue Professuren einzurichten für „woke“ Agenda- und Sentenzfächer? Etwa Gender-Studies, Postcolonial Studies, Critical Whiteness Studies, Queer Studies, Gender Studies. Und als oberstes Uni-Label “ESG”: Environmental, Social, Governance. Ist es sinnvoll, wenn die jährlich mit rund 4 Milliarden bestückte „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ (DFG) die Drittmittelvergabe davon abhängig macht, ob Hochschulen Gleichstellung und Diversität „durchgängig und sichtbar auf allen Ebenen“ verfolgen. Die DFG geht mit gewichtigen „Empfehlungen“ voran – etwa mit folgenden Projekten: „Gender-Bias-Schulungen“, Empfehlungen zur gendersensiblen Sprache, Gender-Monitorings, Erweiterung des Gender-Consultings, „All Gender“-Toiletten, Zertifikat „Gender Kompetenz“ …Forschungsförderung in Deutschland eben! Vor allem der Kampf der „Wissenschaft“ gegen Rechts, gegen Rassismus und gegen GMF (Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit) ist angesagt. Erforscht werden hier jedoch nicht etwa die Folgen der Migrationspolitik, sondern es werden die Kritiker der Migrationspolitik unter die Lupe genommen.
Der Verfall der Bildungsnation hat zwei maßgebliche Gründe
Bildung geht nur mit Anstrengung. Dieses Prinzip scheint vergessen in einer Zeit, in der Bildung Spaß machen soll, in der Bildungseinrichtungen Lebensräume sein sollen. Realiter sind die Leistungsanforderungen von der Grundschule bis hinein in die Hochschulen bei gleichzeitig immer großzügigerer Benotung abgesenkt worden. Die bereits mit der Grundschule beginnende Digitalisierung des Lerngeschehens mit ihren Download-Häppchen tut ein Übriges; sie gaukelt den Kindern vor, dass alles ganz „easy“ und unterhaltsam ist. Das ist das hausgemachte Problem, das einem politischen Gefälligkeitspopulismus geschuldet sei. Das andere große Bildungsproblem ist importiert oder einfach geduldet. Konkret: Wenn in immer mehr Grundschulen 50 bis 90 Prozent Kinder sitzen, die der deutschen Sprache kaum mächtig sind, kann das nur zulasten der Bildungsansprüche gehen. Die mittlerweile selbst medial-öffentlich-rechtlich beförderte Einführung „leichter Sprache“ leistet dieser Entwicklung zusätzlich Vorschub.
Ein polemischer, aber durchaus ernstgemeinter Vorschlag zum Schluss
Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird die Bildungsnation vermessen, getestet und evaluiert. Wurde diese Testerei selbst einmal evaluiert? Wie wäre es, die hierfür investierte (wo)men-power in praktische Bildungsarbeit zu transformieren. Konkretes Beispiel: Der Bericht “Bildung in Deutschland 2024” ist unter Mitarbeit von rund hundert (!!!) „Expert:innen und Autor:innen“ zustandegekommen. Wie wäre es, diese hundert Damen und Herren einfach „in die Produktion“ zu schicken, das heißt: in den Schulalltag. Dann wäre wenigstens ein kleiner, symbolisch wichtiger Beitrag zur Linderung des Lehrermangels geleistet. Der damit verbundene Praxisschock wäre durchaus heilsam für die „Expert:innen“.