Bundestag: Union lehnt AfD-Antrag zum Verbot radikaler Gruppen ab
Matthias Nikolaidis
Aufgeregte Debatten, sobald sich radikal-islamische Tendenzen offen zeigen wie bei den Kalifatsdemos in Hamburg. Die CDU forderte ein Verbot des Organisators „Muslim interaktiv“. Doch im Bundestag stimmte sie nun dagegen. Der Grund: Der Antrag kam von der AfD. Darin war auch von Ditib die Rede, und mit der kann auch die CDU mancherorts recht gut.
Die Aufgabe eines Generalsekretärs ist es zuzuspitzen und hinter der Zuspitzung eine gewisse Substanz erkennbar zu machen. Das versuchte auch CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann nun mit Hinblick auf den radikalen Islam (vulgo: Islamismus). Seine Definition des Phänomens blieb dann zwar in der Andeutung stecken – „wer sich nicht an die Gepflogenheiten, die Regeln hält und gleichzeitig noch mordet“ –, aber sein Schluss war dann doch erstaunlich klar: Schweden habe letztes Jahr mehrere Straftäter nach Afghanistan abgeschoben. Das müsse auch in Deutschland möglich werden.
Nun ist die Bundesverantwortung ja noch ein Stück weit weg für die Union, vielleicht ist die stramme Forderung ja bis dahin vergessen. Auch die Ampel findet nun – nach der EU-Wahl und nach Scholzens starken Vorwahl-Worten – erneut Gründe, warum so bald keine Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan möglich sein werden. Saskia Esken, SPD-Vorsitzende, erklärt deshalb Markus Lanz noch einmal den sogenannten „Trilog“ von Kommission, Rat und EU-Parlament, der jedem EU-Gesetz vorangeht. Auf nationaler Basis lässt sich da anscheinend nichts machen. Aber wie haben es dann die Schweden geschafft?
Die AfD hat nun den Versuch gemacht, Ampel und Union in der Frage des radikalen Islams zu stellen. Denn das Seitenstück zur individuellen Abschiebung eines extremistischen Gefährders oder auch schon straffällig Gewordenen wäre das konsequente Verbieten extremistischer Vereine, die aktuell – und wer weiß, wie lange schon – in Deutschland aktiv sind. Die Bundestagsfraktion der AfD stellte mehrere Anträge zu diesem Thema, die am Donnerstag sämtlich in zweiter und dritter Lesung abgeschmettert wurden, und zwar nicht nur von den Koalitionsfraktionen, sondern auch von CDU und CSU.
Gerade noch im AfD-Antrag – nun im Visier der Behörden?
In einem der Anträge warnen die Antragsteller vor dem „importierten islamistischen Extremismus“, dem daraus entstehenden Terrorismus (genannt wird etwa der Anschlag von Anis Amri vom 19. Dezember 2016 in Berlin mit über 100 Opfern), aber auch vor dem „legalistischen Islamismus“, der „langfristig … die Umformung eines demokratischen Rechtsstaates in einen islamistischen Staat“ zum Ziel habe. Die Bundesregierung wird aufgefordert, zeitnah „ein aktuelles Lagebild“ zu diesen Bedrohungen vorzulegen und weitere Verbote von Organisationen im Sinne des Antrags auch „zeitnah umzusetzen“.
Konkret genannt werden hier die Muslimbruderschaft und ihr deutscher Ableger, die Deutsche [oder Deutschsprachige] Muslimische Gemeinschaft (DMG) genannt, gegen die inzwischen auch tatsächlich Durchsuchungen und ein Vereinsverbot in Niedersachsen erfolgten. Der NDR schreibt, das Verbot des Moscheevereins sei „ein harter Schlag gegen die salafistische Szene“ in Deutschland. „Die DMG habe über ein massives Onlineangebot verfügt“, wird das Landesinnenministerium zitiert.
Zigtausende Klicks gab es für Videos auf YouTube, TikTok oder Instagram. Und: „Die dort verbreitete Ideologie fördere unter anderem die Bildung von Parallelgesellschaften, die Ungleichbehandlung von Frauen und Antisemitismus sowie Israelfeindlichkeit, so das Innenministerium.“ Nun datiert der AfD-Antrag vom 14. Mai – die Razzien in Braunschweig und Berlin fanden in den letzten Tagen statt. Kann man hier von Ursache und Wirkung sprechen? Hecheln die „staatstragenden“ Parteien hier der AfD und ihren Anträgen hinterher?
AfD fordert finanzielle Austrocknung des Islamismus
Daneben nennt der Antrag das Islamische Zentrum Hamburg (IZH), das bekannte Hauptquartier des schiitischen Islams in Deutschland und wichtigster Außenposten des Irans in Europa mit dem städtebaulichen Blickfang Blaue Moschee; außerdem die (eher linksgerichtete, arabisch- nationalistische) Volksfront für die Befreiung Palästinas. Auch die türkische Religionsanstalt Ditib wird im AfD-Antrag als Moscheeverband mit Nähe zur Muslimbruderschaft angesprochen und sei „insbesondere auch im Hinblick auf die Imam-Ausbildung und eine mögliche Verbreitung islamistischer Positionen genau zu überprüfen“.
Weitere Punkte des Antrags: Die Bundesregierung soll den umstrittenen Bericht „Muslimfeindlichkeit in Deutschland“ auf die Mitwirkung von islamistischen Vertretern untersuchen lassen und solange nicht mehr veröffentlichen. In dem Bericht war Islamisten die Möglichkeit gegeben worden, Islamkritiker zu kritisieren. Nach einer Klage war der Bericht ohnehin zurückgezogen worden.
Schon im März 2022 hatte die AfD ein Maßnahmenpaket zur finanziellen Austrocknung des Islamismus vorgelegt, dessen Umsetzung sie nun erneut fordert. Diese Austrocknung könnte und müsste beim Bund selbst ansetzen: Im Rahmen von Islamkonferenz und Förderung des interreligiösen Dialogs gab die Bundesregierung allein im Jahr 2021 fast sieben Millionen Euro (6.755.000) aus.
577 Abgeordnete stimmen gegen Verbotsantrag zu „Muslim interaktiv“
Am Donnerstag wurde nicht nur der Antrag für einen energischer zu führenden Kampf der Bundesregierung gegen islamistische Organisationen von allen anderen Fraktionen sowie der Gruppen Die Linke und BSW abgelehnt. Dasselbe widerfuhr auch dem spezifischeren Antrag zum Verbot des mittlerweile notorischen Vereins „Muslim interaktiv“. Hier hatte AfD-Geschäftsführer Bernd Baumann eine namentliche Abstimmung beantragt. Und so zeigte sich, dass nur 68 Abgeordnete (offenbar vor allem jene der AfD) für das Verbot jenes Vereins stimmten, der die Kalifatsdemos in Hamburg und Essen veranstaltet hat und – ähnlich wie die DMG – starke Aktivitäten auf Internetplattformen zeigt.
577 Abgeordnete stimmten gegen ein Vereinsverbot, das sie derart dem Gutdünken Nancy Faesers oder eines anderen Innenministers anheimstellten. Diese Abstimmung war mithin Obrigkeitsstaat pur. Und dabei stimmte Christoph de Vries (CDU) den Forderungen der AfD teils ausdrücklich zu, so derjenigen nach einem Verbot des IZH. Man müsse sogar alle Organisationen verbieten, die in Deutschland ein islamistisches System errichten wollen. Das sind Worte, es fehlen die Taten.
Der SPD-Abgeordnete Daniel Baldy behauptete, die Sicherheitsbehörden hätten die Lage im Blick und kündigte „weiterhin“ ein hartes Vorgehen an, gegen „Muslim interaktiv“, aber auch gegen andere – obwohl gegen den Verein doch noch gar nichts geschehen ist. Man hatte den Organisatoren nur erklärt, wie sie eine regierungskonforme Kalifatsdemo abhalten können. Die Sprecherin für Inneres und Heimat der Grünen, Lamya Kaddor, will derweil „Moscheegemeinden fördern, die bestimmte Kriterien erfüllen“. Die FDP-Abgeordnete Ann-Veruschka Jurisch warnt, man dürfe das Verbot nicht zu lange „hinauszögern“. Man will also schon, was die AfD beantragt, es ist nur noch etwas unfein, auch mit ihr dafür zu stimmen.
CDU und Kommunen: Uneindeutiges Verhältnis zur Ditib
Auch das Argument von Christoph de Vries (CDU) gegen den AfD-Antrag war ein merkwürdiges: Man brauche ihn nicht, weil die Union schon so viel an dieser Stelle geleistet und Anträge gestellt habe. Bei sachlicher Richtigkeit könnte man Anträgen aber auch einfach zustimmen. So öffnet de Vries der AfD persönlich die Tür, damit die sagen kann: „Wir haben die CDU gestellt und vorgeführt.“ Auf das Reden der CDU folge kein Handeln, sagt Baumann in einem kurzen Video auf X. „Sie macht ganz was anderes als das, was sie behauptet.“
Tatsächlich hat die CDU erst zur Kommunalwahl in Rheinland-Pfalz, die auch am 9. Juni stattfand, eine Funktionärin der Ditib als Kandidatin aufgestellt, wie Nius berichtete. In vielen deutschen Städten werden derzeit neue Ditib-Moscheen errichtet, obwohl das Verhältnis des Verbands zum Grundgesetz keineswegs geklärt ist. Da wird immer erneut von einem „Ort des modernen deutschen Islam“ geträumt, so die Planer einer neuen Groß-Moschee in Wuppertal. Und doch bleiben Zweifel bei den Anwohnern bestehen.
Auch in Dresden soll eine Moschee errichtet werden. Doch der Vereinsvorsitzende des Marwa- Elsherbiny-Zentrums wird vom sächsischen Verfassungsschutz als verfassungsfeindlich eingestuft. Bürgerproteste reißen nicht ab, bis zum Tag der EU-Wahl. Die AfD stellte den Antrag auf eine Veränderungssperre für das in Rede stehende Grundstück und verhinderte so laut eigener Einschätzung „einen Alleingang der Stadtverwaltung“. Derweil füllen Betende auch schon einmal die Elbauen. Die Platznot ist angeblich groß, aber von einem islamischen Extremisten sollte man dann vielleicht doch keine Moscheen bauen lassen.
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