Tichys Einblick
Jugend doch nicht rechts?

Neue Jugendstudie entwarnt: Jugend wie immer und trotz Krisen optimistisch

Nach der EU-Wahl ging ein Schock durch das Land. Doch den vermeintlichen Rechtsruck rückt nun eine Studie wieder gerade: Die Jugend sei sehr unterschiedlich, dabei aber auch tolerant, traditionell, skeptisch und doch optimistisch. Klingt verwirrend? Keine Sorge, ist einfach nur aufgeblähte Wissenschaft.

Quelle: Werteuniversum von Jugendlichen 2024 (© bpb)

Der Schock über die Verluste der Grünen bei den 16- bis 24-Jährigen bei der Europawahl ist noch nicht verdaut, da schreiten Forschung und Medien schon zu den Erklärmodellen. Das Mysterium „Jugendlicher“ wurde nun in der neuesten Studie des Sinus-Instituts – betont jugendlich: „Wie ticken Jugendliche 2024?“ betitelt – untersucht. Das Fazit: Eigentlich nichts Neues unter der Sonne, aber die etablierten Medien können aus der Pressemitteilung vor allem Entwarnung ziehen, denn die Studie kam zu dem Schluss, dass bei den meisten jungen AfD-Wähler „nicht von einem geschlossen rechtsextremen Weltbild“ ausgegangen werden kann.

Die sonstigen Erkenntnisse bewegten sich jedoch allemal im Rahmen des Erwartbaren. Einige Beispiele:

Wer darüber hinaus etwas tiefer in die 300-seitige Aufarbeitung der Studie blickt, erkennt weitere Allgemeinplätze, die aber in der Pressemitteilung weniger thematisiert werden:

Zweifelhafte Signifikanz der Studie

Die meisten dieser Erkenntnisse hätte man auch ohne die Studie, sondern mit gesundem Menschenverstand gewinnen können. Damit aber nicht genug der Kritik, denn auch die Methodik an sich ist zweifelhaft. Die 72 befragten Jugendlichen, die zu jeweils einem Drittel aus Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien rekrutiert wurden, sind in Anbetracht der über 3 Millionen Jugendlichen in der befragten Alterskohorte nämlich alles andere als statistisch signifikant. Dessen waren sich auch die Studienersteller bewusst, weshalb sie dafür die Gründlichkeit der Befragung in den Vordergrund stellten.

Auch die Zusammensetzung der äußerst selekten Studienteilnehmer verzerrt die Realitäten leicht, denn knapp 44,4 % der befragten Jugendlichen (32 von 72) hatten einen Migrationshintergrund, während der Prozentsatz auf die Gesamtzahl der Jugendlichen tendenziell eher zwischen 35 % und 38 % anzusiedeln ist. Überrepräsentiert sind somit nicht nur Jugendliche mit Migrationshintergrund, auch die regionale Auswahl zeigt einige Schlagseiten.

Aus den großen Ballungsräumen fanden sich nur Jugendliche aus den Städten Berlin und Köln, Hamburg ging leer aus, in München griff man auf das Umland zu. Zwar wurden auch Schüler aus Leipzig und Dresden befragt, dafür aber kein einziger aus dem Bundesland Sachsen-Anhalt. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg alleine wurde mindestens je ein Schüler aus der Umgebung von Stuttgart, Freiburg, Konstanz und Ravensburg befragt.

Gender-Indoktrination? Katholische Kirche: Hold my beer …

Neben der Frage der statistischen Signifikanz und möglicher Überrepräsentation bestimmter Bevölkerungsgruppen, ist auch die Methodik der Umfrage zu beleuchten. In der Pressemitteilung ist davon die Rede, dass mehrere Partnerinstitutionen zu der Studie beigetragen haben. Die folgenden Institutionen haben die Studie in Auftrag gegeben: die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, der Bund der Deutschen Katholischen Jugend, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung, sowie die DFL Stiftung.

In der Methodik schlug sich das dahingehend nieder, dass von dem 1 1/2-stündigen Gespräch nur die ersten 20 Minuten Fragen des Sinus-Instituts zur „Lebenswelt“ der Jugendlichen ausmachten. Die restlichen Fragen und Themenbereiche wurden von den Partnerinstitutionen gestellt.

So befragte die DFL Stiftung die Jugendlichen für 12 Minuten über „Sport und Bewegung“ und die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung stellte 20 Minuten lang Fragen über den „Lernort Schule“. Und auch wenn man bei der Bundeszentrale für politische Bildung von einer gewaltigen politischen Schlagseite der Fragestellungen ausgehen darf, so ist der Themenkomplex „Umgang mit politischen Krisen“ (15 Minuten) und „Soziale Ungleichheit“ (9 Minuten) weder als überraschend, noch als prinzipiell fragwürdig einzustufen.

Dass aber ausgerechnet der Bund der Deutschen Katholischen Jugend Fragen zu „Geschlechtsidentität und Rollenerwartungen“ (5 Minuten), sowie zu „Engagement“ (2 Minuten) stellt, schlägt dem Fass die Krone ins Gesicht. Wobei: Die Arbeitsstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz stand diesen Fragen kaum nach, denn im Themenkomplex „Social Media: Sinnsuche und Mental Health“ dürfte vor allem die indirekte Bewerbung und Optimierung des auf der eigenen Webseite angebotenen „Gebets-Creators“ im Vordergrund gestanden haben.

Die Studie ist auf der Webseite des SINUS-Instituts entweder als 300-Seiten starkes Buch zu bestellen oder als gratis E-Book einsehbar. Viele Bäume mussten ihr Leben lassen, um eine Studie zu veröffentlichen, die auf über 300 Seiten Erkenntnisse ausbreitet, die keine sind. „Die Krisen stapeln sich, und die Jugendlichen bewahren sich den Bewältigungsoptimismus, das ist erstaunlich“, resümierte der Leiter der Studie Marc Calmbach. Man könnte auch sagen: „Bemerkenswert, wir haben sie noch immer nicht gebrochen.“

Das hingegen ließe sich womöglich tatsächlich aus dieser Studie mitnehmen. Viele der negativen Tendenzen, die sich logischerweise aus Jahrzehnten der pädagogischen Misswirtschaft ableiten, sind deutlich erkennbar. Dennoch gibt es auch in der Generation der unter 18-Jährigen noch einen grundlegenden Willen, trotz allem ihr Leben sinnvoll zu gestalten. Und meistens beinhaltet diese Vorstellung ein klassisches Familienmodell und häufig sogar Gott. Auch wenn dieser eben meist im Symbol des Halbmonds seinen Ausdruck findet.

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