Hermann Scheer (SPD) war ein Abgeordneter des Bundestags und ein Vordenker in Sachen erneuerbarer Energien. Nina Scheer ist die Tochter vom Vater und sitzt auch für die SPD im Bundestag. Dort bräuchte Kanzler Olaf Scholz dringend kompetente und charismatische SPD-Frauen für eine Kabinettsbildung. Als solche wird Nina Scheer eher nicht gehandelt. Sie ist die Tochter vom Vater und darf meist erst als zweite, dritte oder vierte Rednerin für die SPD ans Rednerpult des Bundestags.
Die Union hat jetzt aber einen Untersuchungsausschuss zum Atomausstieg auf den Weg gebracht. In der Debatte durfte Nina Scheer als erste Rednerin ran und ließ die SPD gut aussehen. Daran lässt sich erkennen, wie schlecht es für die Union gelaufen ist. Eingebracht hat den Eintrag für die CDU Patrick Schnieder. Sein Redenschreiber hat gute Arbeit geleistet. Eingängige Einzeiler geliefert wie: „Sie (Die Grünen) sitzen immer sehr hoch auf ihrem moralischen Roß.“ Oder: „Die Latte liegt hoch, springen sie jetzt auch und kriechen nicht immer unten durch.“ Einprägsam und hübsch. Eigentlich müsste Schnieder mit einem solchen Redenschreiber zum Thema übereilter Atomausstieg mit falschen Argumenten punkten können.
Doch die erste kritische Frage an die Union lautet: Welchen übereilten Atomausstieg mit falschen Argumenten meinen die Christdemokraten? Den von Angela Merkel (CDU)? Als die Kanzlerin und die Kanzlerinnenpartei im Herbst 2010 auf Grund von harten Fakten die unpopuläre Laufzeitverlängerung beschlossen hat, um diese dann im März 2011 in der Panik von Fukushima und anstehenden Landtagswahlen ins Gegenteil zu verkehren – in einen überhasteten Ausstieg. Aber diesen Ausstieg meint die Union nicht. Sie spricht davon, dass die Ampel nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ukraine die letzten Schritte des Wegs von Angela Merkel nicht gestoppt und die letzten verbliebenen sechs Meiler vom Netz genommen hat.
Klar habe die Koalition den Atomausstieg gewollt, sagt nun Scheer. Der Ampel seien die Kosten wie die Risiken zu hoch. Das habe die Regierung auch immer offen und klar gesagt. Anders als die CDU-CSU. Die Union indes habe einen Zickzackkurs gefahren – zwischen Laufzeitverlängerung und Atomaus. Eben dieser Zickzackkurs sei die Deutschen teuer zu stehen gekommen. Bitte, für die Christdemokraten, wenn einen sogar Nina Scheer alt aussehen lassen kann.
Doch es kommt noch schlimmer. In Person von Robin Mesarosch. Der beginnt und endet seinen Vortrag zwar schnöselig, zwischendrin ist er sogar wehleidig und man denkt: noch so einer aus dem sozialdemokratischen Labor für uncharismatische Hinterbänkler. Doch dann greift Mesarosch zu einem einfach Trick. Mit maximaler Wirkung. Er liest einfach Zitate von CDU- und CSU-Granden vor, die sich für den Atomausstieg aussprechen – den von Merkel wohlgemerkt. Mesarosch versenkt die Union.
Aber mit der Debatte am Freitag hat die Ampel in Sachen Atomausstieg eine Etappe gewonnen. Nicht aber das Rennen. Denn an diesem Freitag bekennen sich Sozialdemokraten oder Grüne zwar zum Ausstieg. Irene Mihalic höhnt über das Magazin Cicero sogar, dem sei keine große Enthüllung gelungen, zu schreiben, dass die Grünen für den Atomausstieg seien. Aber damit bringt Mihalic das Dilemma auf den Punkt. Wenn auch wie immer unfreiwillig: Warum musste sich Cicero die Unterlagen erst erklagen? Warum hat die Ampel wissentlich gegen die Transparenzgesetze verstoßen, wenn in den Unterlagen nichts Brisantes stand?
Robert Habeck wollte den Atomausstieg, um die grüne Ideologie zu bedienen. Aber dabei wollte er gleichzeitig als der Mann dastehen, der nur der Vernunft, der Wissenschaft und dem äußeren Handlungszwang folgt. Die Unterlagen straften ihn Lügen. In ihnen stand, dass die Experten – sogar die des eigenen Hauses – eine Verlängerung der Laufzeiten empfohlen haben. Deswegen hat „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne) die Unterlagen so lange wie möglich zurückgehalten. Erst ist er beim Etikettenschwindel ertappt worden und nun tut er so, als ob er den Atomausstieg immer schon so verkaufen wollte. In der Hoffnung, dass das Volk dumm und die Journalisten Habeck treu ergeben sind. Das mit dem Volk hat sich halt bei der Europawahl als sein (nächster) Irrtum erwiesen. Die Bürger durchschauen die Taschenspielertricks Habecks – obwohl so viele Journalisten bei den Ablenkungsmanövern helfen.
Die Debatte im Bundestag zeigt. Der Atomausstieg gehört zu den vielen Themen, von denen nur die Parteien profitieren, die bisher keine Verantwortung getragen haben. Zum Beispiel die AfD. Rainer Kraft spricht in deren Namen an, dass Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) nur so getan habe, als ob es die Betreiber der Atomkraftwerke gewesen seien, an denen sich die Ampel beim Atomausstieg orientiert habe. Stephan Brandner (AfD) wirft der Union mit dem Untersuchungsausschuss Heuchelei vor. In der Sache hätte sie den Atomausstieg genauso gehandelt wie die Ampel.
Auch das Bündnis Sahra Wagenknecht profitiert von dem Untersuchungsausschuss. Für das BSW spricht Klaus Ernst. Hinter Wagenknecht der beste Redner der Gruppe. Er weist darauf hin, dass die Ampel jetzt erst so tue, als ob es im Wirtschaftsministerium keine Skandale gäbe und die Entscheidungen rein auf Fakten basierten. Ein Staatssekretär Patrick Graichen, der wegen grüner Familienwirtschaft gehen musste, oder ein Antragsverfahren im Bundestag, das von Gerichten gestoppt werden musste, zeuge aber von der Skandalträchtigkeit des Wirtschaftsministeriums unter Habeck. Und dann war doch der Redner der Linken, Ralph Lenkert. Er beklagt, wie viel Arbeit ein Untersuchungsausschuss bedeutet.
Der Untersuchungsausschuss wird kommen. Die Union hält damit das Thema Atomausstieg am Leben. Doch die Debatte wird sich so auswirken, wie sich momentan nahezu jede Debatte auswirkt: Die Ampel versagt. CDU-CSU zeigen, dass sie ins Versagen verstrickt sind und keine echte Alternative zu der grünen Politik der Bundesregierung bieten. AfD und BSW profitieren davon. Und die Linken sind eigentlich nur noch müde und warten darauf, vom Wähler endlich erlöst zu werden.