Tichys Einblick
Vom Ersticken der Demokratie:

Jenseits der Brandmauer muss die Freiheit wohl grenzenlos sein

Die Brandmauer ist der Zaun um das neue Versailles einer mental rapide alternden und sich zunehmend hermetisch abschottenden politischen Klasse, denen die Wähler immer häufiger die Gefolgschaft verweigern, auch wenn ihre Medien mit allen Mitteln dagegen anschreiben und ansenden.

picture alliance / Daniel Kalker | Daniel Kalker

Die realexistierende Blase verwirklicht sich derzeit in der Brandmauergemeinschaft, die letztlich ein Produkt des politisch-medialen Komplexes geworden ist. Ein Komplex, der so weit fusioniert hat, dass man von einem Politikkombinat sprechen kann, den Kombinat Grüne Pumpe, in dem Medien und Politiker sich gegenseitig vorantreiben in immer größere Absurditäten, weil sie den Kontakt zur Wirklichkeit verloren haben. Ihr Erkenntnishorizont endet an der Grenze von Berlin-Mitte. Die Wirklichkeit, die sie wahrnehmen, ist die Wirklichkeit, die aktivistische Medien und ideologiedominierte Wissenschaftssimulatoren kreieren. Dem Motto folgend, das nur das sein kann, was sein darf.

Das Hochamt grüner Herrschaft:
Diskurs? Am besten abschaffen! (Applaus)
Journalisten agieren als Propagandisten – wie man es aus der Geschichte kennt -, wenn sie die Bürger nicht mehr über das zu informieren gedenken, was sie wissen wollen, sondern sie nur ins grüne Bild darüber setzen, was die Bürger wissen sollen, damit keine Nachfragen entstehen. Viel Geld wird investiert, beispielsweise von Organisationen wie Open Society, die sich eigentlich Closed Society nennen müsste, und viel Macht wird eingesetzt, um die Bürger in die für Diktaturen übliche Schizophrenie zu treiben, im grenzenlosen Vertrauen zum Staat die eigenen Erfahrungen zu verdrängen, zu suspendieren, als Krankheitssymptome zu werten.

Der ideale grüne Staatsbürger ist derjenige, der dem Staat bedenkenlos vertraut und sich selbst misstraut. Wenn eine der vielen Propagandistinnen grüner Weltanschauung, die wir auch postmodernistisch nennen können – denn die Grünen sind der parteigewordene Postmodernismus – fast hysterisch auf einer Konferenz fordert: das Pro und Kontra abzuschaffen; wenn sie behauptet, was früher nur als Kabarett oder noch früher als Persiflage durchgegangen wäre, dass der demokratische Diskurs, dass die Auseinandersetzung mit anderen Vorstellungen, Weltanschauungen, politischen Ideen und Lebensentwürfen zur Selbstverdummung führt, dann sind wir jenseits der Aufklärung.

„Nein wir müssen es abschaffen, es führt genau zu dem, was dann anschließend als Spaltung der Gesellschaft thematisiert wird und wiederum von denselben Talkshows thematisiert wird, die vorher es kreiert haben. … Es ist auch ’ne Form von Selbstverdummung.“ Und weiter heißt es: „Wenn wir in diesem Pro und Contra Format uns vereindeutigen müssen, wo Dinge komplizierter sind. Also bitte lesen sie den Kram nicht, gehen Sie bitte nicht in Formate, lassen Sie sich nicht einladen zu diesen Formaten … es ist wirklich eine systematische Zerstörung von vernünftigem, rationalem, differenziertem Diskurs … Man muss es abschaffen.“

„Republica 2024“
Klassentreffen der autoritären Träumer
Diese etwas wirren Worte stammen nicht aus „1984“, nicht einmal aus der Mao-Bibel, es ist kein Text aus der Vergangenheit, sondern sie wurden mitten im Jahr 2024 auf einer gutbesuchten Veranstaltung derer, die sich für die Elite halten, geäußert. Diese Leute hatte der Publizist und Kulturwissenschaftler Michael Seemann quasi als Selbstporträt mit reichlicher Selbstvergottung vor Jahren so dargestellt: „Es gibt heute eine globalisierte Klasse der Informationsarbeiter, der die meisten von uns angehören und die viel homogener und mächtiger ist, als sie denkt. … Es ist eine Klasse, die fast ausschließlich in Großstädten lebt, die so flüssig Englisch spricht wie ihre Muttersprache, für die Europa kein abstraktes Etwas ist, sondern eine gelebte Realität, wenn sie zum Jobwechsel von Madrid nach Stockholm zieht … Diese neue globalisierte Klasse sitzt in den Medien, in den StartUps und NGOs, in den Parteien, und weil sie die Informationen kontrolliert („liberal media“, „Lügenpresse“), gibt sie überall kulturell und politisch den Takt vor…Denn insgeheim weiß sie längst, was die eigentliche Quelle ihrer Macht ist: Sie kontrolliert den Diskurs, sie kontrolliert die Moral. Die Machtverschiebung ging im Stillen vor sich…Und das merken die anderen, die kulturell Abgehängten. Sie merken, dass uns ihre Welt zu klein geworden ist, dass wir uns moralisch überlegen fühlen und nach Größerem streben. Vor allem merken sie, dass wir dabei erfolgreich sind, dass wir auf diesem Weg die Standards definieren, die nach und nach auch an sie selbst angelegt werden. Ökologische, antirassistische, antisexistische Standards. Politisch korrekte Standards eben…Es ist eine kulturelle Gentrifizierung.“

Das Wahlergebnis vom letzten Wochenende, die Veränderung der politischen Mehrheiten in Europa, ist nicht nur der Widerstand der „kulturell Abgehängten“, nicht nur der Widerstand gegen die „kulturelle Gentrifizierung“, es ist vor allem der Widerstand gegen die Zerstörung ihrer Welt, unserer Welt. Interessant ist aber der geistige Offenbarungseid, den die Postmodernen leisten müssen, denn diejenigen, die sich „moralisch überlegen fühlen und nach Größerem streben“, die „die Standards definieren“, sie fürchten sich inzwischen vor jeder öffentlichen Auseinandersetzung, davor, das andere Meinungen publiziert werden, dass sie selbst in der Kontroverse bestehen müssten. Sie fühlen sich nur überlegen, sind es aber nicht. Deshalb wollen sie verbieten, dass andere Meinungen als die ihren publiziert oder diskutiert werden, jede Kontroverse soll polizeilich verhindert werden. Denn, der Geist steht längst nicht mehr links. Was aus postmoderner Richtung kommt, von Butler über Membe, über Böhm, über Jaeggi etc. ist ein einziger intellektueller Ausfall. Das ist der Grund dafür, dass Carolin Emcke die Kontroverse verbieten, abschaffen will.

„Geschichte des Jahres“
SZ bekommt Preis – ausgerechnet für Aiwanger-Story
Die Zeitschrift „Stern“, man erinnert sich, ein Magazin, das dadurch traurige Berühmtheit erlangte, weil es die Hitler-Tagebücher publizierte – dumm nur, dass diese nicht echt, sondern eine Fälschung waren – , zeichnet in diesem Jahr in der Kategorie „Geschichte des Jahres“ den Latte Macchiato-Putsch der Süddeutschen Zeitung aus, der sich gegen Hubert Aiwanger und die Freien Wähler richtete und als Wahlkampfunterstützung für die Grünen verstanden wurde, aber am Ende doch nichts half. Der Artikel bestand zu großen Teilen aus Raunen und fragwürdigen Assoziationen und erfüllte die einfachen Standards an journalistische Berichterstattung nicht. Wenn man so weit geht, dann lebt man nicht einmal mehr hinter der Brandmauer, sondern hat sich auch noch tief in einen Bunker eingegraben, um nicht die Zumutung des Himmels als letzten verbliebenen Rest der wirklichen Welt ertragen zu müssen.

Kaum war die Rede des Chefs der Deutschen Börsen bekannt geworden, in der Theodor Weimer Robert Habecks Wirtschaftspolitik zwar drastisch, aber zutreffend kritisierte, versuchte sich der Gescholtene auf dem Wirtschaftstag der Union als Erneuerer der Sozialen Marktwirtschaft zu präsentieren, verlief sich allerdings nur hoffnungslos in der Begriffsopposition von Polemik und Irenik, versuchte sich in Philosophie, die jedoch nur ein schaler Aufguss grünen Populismus war.

Anschließend erhoben sich mühevoll und ächzend die Brandmauermedien, denn wie sollte man berechtigte und mit Zahlen belegbare Kritik delegitimieren? Ganz einfach, man geht erst gar nicht auf den Inhalt der Kritik ein, es reicht, wenn man darstellt, dass die Rede den Rechten, Rechtspopulisten, also allen, die nicht grün wie der SPIEGEL sind, gefallen hat.

Empört hat den SPIEGEL, dass Weimer der Propagandaveranstaltung williger und subventionsliebender Konzernchefs eine Absage erteilt: „In den vergangenen Wochen und Monaten habe er immer wieder gehört, dass einer der Gründe für die Investitionsverdrossenheit von Unternehmern der Aufstieg der Rechtspopulisten sei, so der Gast. »Die Frage ist: Sehen Sie das wirklich als Problem?“ Woraufhin Weimer antwortet: »Ganz klare Antwort: Dass es da Rechtspopulisten gibt, ist momentan für uns Profis kein Thema, weshalb wir nicht investieren. Wir gucken da tiefer.““

Das Scherbengericht des Börsenchefs:
„Es ist eine schiere Katastrophe“
Wie kann der Chef der Deutschen Börse nur die Wahrheit sagen, dass die Investoren, die es nicht allein auf Subventionen abgesehen haben, wegen Robert Habecks Wirtschaftspolitik um Deutschland einen Bogen machen – und Robert Habeck gehört bekanntlich nicht der AfD an? Richtig investigativ wurde der SPIEGEL, als er herausfand, dass der Fragesteller Mitglied der AfD ist. Welche Relevanz das in diesem Zusammenhang hat, kann wahrscheinlich nur Claas Relotius beantworten. Die gerade erst prämierte Süddeutsche legte sich besonders ins Zeug. Hatte der SPIEGEL im anschließenden Kommentar noch versucht, inhaltlich zu argumentieren, spielten für die Süddeutschen die Fakten und Inhalte überhaupt keine Rolle. Mitten aus dem Brandmauerbunker versuchte die Süddeutsche, eine Verschwörungstheorie zu etablieren, so dilettantisch, dass man Mitleid empfindet:

„Kurz vor der Europawahl war das Video des Weimer-Auftritts erneut hochgeladen worden, warum, das ist offen. Es verbreitete sich jedenfalls schnell und sorgt auch Tage später noch für Gesprächsstoff, selbst im englischsprachigen Ausland. Wie groß der Einfluss auf die Europawahl war, wird man wohl nicht ermitteln können.“ Wir lernen also von der Süddeutschen: Ohne das von bösen Rechten hochgeladene und verbreitete Video mit der Weimer-Rede wären die Grünen als glanzvolle Sieger aus der EU-Wahl hervorgegangen und BSW und AfD jämmerlich gescheitert. Denn: „Es gab massenhaft Applaus von Rechtsaußen. Die AfD Sachsen hatte auf X zum Teilen der Rede aufgerufen. Die AfD-Politikerin Beatrix von Storch behauptete, Weimer kenne die Wahrheit, „anders als der journalistische Teil des Ampel-Hofstaats“. Auch CDU-Politikerinnen wie die wirtschaftspolitische Sprecherin der Union, Julia Klöckner, stimmten zu.“ Nett, von der Süddeutschen, Julia Klöckner zu warnen, den Bereich der Brandmauer nicht zu verlassen. Wie stand es auf Warnschildern in Ostberlin an den Sektorengrenzen: „Sie verlassen den demokratischen Sektor von Berlin.“

Er hat Jehova gesagt:
Grüne Wut über Theodor Weimers Beschreibung der Wirklichkeit
Ansonsten hatte die Süddeutsche fleißig deutsche Konzernchefs angerufen, die sich pflichtschuldig und/oder boniverliebt sofort distanzierten und Treue zur Wirtschaftspolitik von Robert Habeck gelobten. Mit Weimers Aussage über den Niedergang der deutschen Automobilindustrie konfrontiert: „„Und jetzt“, so Weimer, „heult der Bosch, jetzt heult mein Freund Stefan Hartung“, gibt Hartung erschrocken und brav zu Protokoll „Ich bin nicht der Wirtschaftsminister, ich respektiere das. Ich weiß, dass er es mit sehr viel Energie macht.“ Ein anderer bekannte sich noch deutlicher zu Habecks Klimaplanwirtschaft: „Wir respektieren das Primat der Politik, die Entscheidungen fallen in Berlin.“

Die Entscheidungen für und über die Wirtschaft, Robert Habeck also als Generaldirektor des Deutschlandkombinats? Das Primat der Politik war das Kennzeichen der sozialistischen Planwirtschaft. Und wie das ausgegangen ist, weiß man. Um nur ein Beispiel aus der Fülle herauszugreifen: Das Statistische Bundesamt gibt gerade bekannt, dass im I. Quartal 2024 5.209 Firmen mehr Insolvenz angemeldet haben als im I. Quartal 2023. Das entspricht einer Steigerung bei den Insolvenzen um gut einem Viertel, nämlich 26,5 %. Der Trend hält an, so haben im Mai 2024 25,9 % mehr Insolvenzen angemeldet als im Mai 2023. Aber Insolvenzen sind für den Bundeswirtschaftsminister kein Problem, denn die Firmen haben einfach nur aufgehört zu arbeiten. In diesem Jahr könnten die Insolvenzen letztlich 20.000 Firmen betreffen.

Und auch die Fußball-EM wird keine Ablenkung bieten, denn Freude am Fußball war gestern, jetzt heißt es, wachsam zu sein, die Regenbogenfarben anstatt die Farben der deutschen Demokratie zu tragen, denn ntv lässt bereits einen – nun ja, Soziologen – warnen: „Dann werden aus einer Anfeuerung für die deutsche Mannschaft schnell Schmähgesänge gegen andere, die die Grenzen zum Rassismus oder Nationalismus überschreiten. Wenn eine Überhöhung der eigenen Nation stattfindet und gleichzeitig eine Abwertung von anderen Nationen, ist diese Grenze im Grunde immer überschritten.“ Denn: „Aus Anfeuern wird schnell Rassismus.“ Bleibt hinter der Brandmauer eigentlich genügend Platz für ein Fußballfeld?

So kann man das natürlich innerhalb der Brandmauer sehen. Doch eines ist die Brandmauer mit Sicherheit, die Verhinderung der politischen Konkurrenz, sie ist für die Politik und die Gesellschaft dasselbe, was die Klimaplanwirtschaft für die Wirtschaft: Der Niedergang von politischer Auseinandersetzung, von politischem Wettbewerb, das Ersetzen von Politik, von mutigen und originellen Lösungen für wachsende Probleme durch Ideologie und Propaganda, durch Phrasen und Postensicherung. Sie ist das praktische Verbot von politischer Kreativität, von Meinungsstreit, von Pro und Kontra, von der Suche nach den besten Lösungen für unser Land.

Hinter der Brandmauer herrscht Habecks Irenik derer, die sich selbst auf Kosten des Landes Privilegien sichern. Die Brandmauer ist der Zaun um das neue Versailles einer mental rapide alternden politischen Klasse, denen die Wähler zunehmend die Gefolgschaft verweigern, auch wenn ihre Medien mit allen Mitteln dagegen anschreiben und dagegen ansenden. Am Ende entscheidet Glaubwürdigkeit – und Glaubwürdigkeit beginnt mit der Erkenntnis der Wirklichkeit. Und die verträgt keine Mauern.

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