Unermüdlich kämpft Bundesminister Karl Lauterbach um die Volksgesundheit. Gefühlt lässt er keine Woche ins Land gehen, ohne mit einem weiteren Reformprojekt das Gesundheitswesen in Unruhe zu versetzen. In seiner Welt ist der übergriffige Staat von der Wiege bis zur Bahre für alles zuständig. Jetzt will er auch noch die Zahl der Selbsttötungen reduzieren. Welch eine Hybris!
I.
Die größte Risikogruppe sind alte, weiße Männer. Haben sie nicht ausgedient? Auf die Idee, dass die hohe Rate – insgesamt zählt Deutschland rund 10 000 Suizide pro Jahr – mit ihrer Diskriminierung zu tun haben könnte, kommt Lauterbach nicht. Die Selbstmordrate steigt mit dem Lebensalter. Im Jahr 2021 etwa töteten sich 27 von 100 000 der über 80jährigen. Zum Vergleich: Selbst im kritischen Alter der Pubertät sind es weniger als 5 von 100 000 Menschen.
II.
„Systematische Betreuung“ fordert nun der Minister. Man ahnt, worauf er hinaus will, auf systematische Entmündigung. Selbsttötung soll – ernsthaft – verhindert werden durch Gitter auf Brücken, Zäune an Bahnübergängen und Dächern. Der Medikamentenerwerb soll erschwert werden. Dass dem Staat nicht mehr einfällt als solche „Maßnahmen“, ist das Armutszeugnis von Hirnen, die an staatliche Allmacht und den Segen von immer mehr Regulierung glauben. Keine staatliche Kampagne und keine vollmundige „Präventionsstrategie“ gibt den Alten Lebensmut zurück. Es wäre schon viel getan, würde es der Staat unterlassen, alten Menschen den Lebensmut zu rauben.
III.
Schon während der unsäglichen Covidmaßnahmendiktatur waren die Alten sträflich diskriminiert. In den Heimen wurden sie weder hinreichend geschützt, noch durften sie Besuch empfangen. Abertausende überwiegend alte Menschen waren verurteilt, einsam zu sterben. Auf barbarische Weise missbrauchte der Staat seine Macht. Und nun spielt sich ausgerechnet No-Covid-Fanatiker Lauterbach als Hüter Verzweifelter auf.
IV.
Am Schlimmsten ist die Aussicht, am Ende seines Lebens in ein Heim verfrachtet zu werden, halbwegs betreut, umgeben von Schicksalsgenossen. „Seniorenresidenz“ ist oft eine beschönigende Bezeichnung für eine Einrichtung, die nur der Absonderung alter Menschen von der Gesellschaft dient. Aus den eigenen vier Wänden entfernt zu werden, ist eine der Quellen suizidaler Gedanken. Der Staat, der dagegen etwas tun will, muss die Pflege in den Familien erleichtern. Und er muss endlich bezahlbare Wohnungen schaffen, statt mit der Parole durch’s Land zu ziehen, die Älteren sollten doch bitte freiwillig ihre „zu großen“ Heime räumen.
V.
Die Floskel vom „verdienten Ruhestand“ entpuppt sich oft als zynischer Nachruf, als Entzug individueller Freiheit. Rentner werden in dieser Gesellschaft als wachsende Gruppe gefürchtet und als Personen oft nur noch geduldet. Die „Freizeit“, über die Ältere verfügen, schafft nicht unbedingt mehr Zufriedenheit. Langeweile ist ein Elend, eine Geisel, die Menschen vor allem im Alter trifft, wenn sie das Gefühl plagt, nicht mehr gebraucht zu werden.
VI.
Wohlstand und Zufriedenheit im Alter hängen zusammen. Man hat im Leben etwas geleistet und möchte nun zufrieden zurückschauen und die Ernte einfahren. Tatsächlich aber bedeutet Alter für die meisten Menschen Verzicht. Zum unvermeidlichen Verzicht auf Kraft, kommt der Verzicht auf Lebensqualität. Verzichten fällt im Alter keineswegs leichter, wie viele Studien bestätigen. Die Angst vor Altersarmut ist eine weitere Quelle sinkenden Lebensmuts. Dagegen müsste der Staat mehr tun.
VII.
Gegen traumatische Ereignisse im Alter, etwa dem Verlust eines Partners oder schwere Krankheitsdiagnosen, kann Lauterbachs bürokratischer Aktionismus auch nichts ausrichten. Reden wir nicht darum herum: Das Alter ist auch ohne staatliche Mitwirkung eine Last. Sie ist mit Angst verbunden. Aus Angst davor, zu nichts mehr gut zu sein, anderen auf der Tasche zu liegen, fliehen alte Leute in die Isolation. Aus Altersängsten können Altersdepressionen werden. Ein Teufelskreis. Dagegen helfen keine Maßnahmen, sondern nur eine höhere Anerkennung der Alten in einer zwar alternden, doch von Jugendwahn besessenen Gesellschaft.
Sollten Sie das Gefühl haben, dass Sie Hilfe benötigen, kontaktieren Sie unbedingt die Telefonseelsorge. Unter der kostenfreien Rufnummer 0800-1110111 oder 0800-1110222 bekommen Sie Hilfe von Beratern, die Ihnen Hilfe bei den nächsten Schritten anbieten können. Hilfsangebote gibt es außerdem bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe und der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Im Netz gibt es – Beispielsweise bei der Stiftung Deutsche Depressionshilfe – auch ein Forum, in dem sich Betroffene austauschen können.