Tichys Einblick
„Das Sorgenkind ist die Industrie“

176.000 Pleiten allein im Jahr 2023

Es ist ein Desaster mit Ansage. Die Betriebsschließungen treffen den Kern der Volkswirtschaft. Gründe sind die hohen Energiekosten, inzwischen aber auch die mangelnde Energiesicherheit.

picture alliance/dpa | Bernd Weißbrod

Seit geraumer Zeit berichtet TE über die andauernde Deindustrialisierung in Deutschland. Zur Erinnerung: Im ersten Halbjahr 2023 stiegen die beantragten Unternehmensinsolvenzen um 20,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Seinerzeit beteuerte das Wirtschaftsministerium, die „besondere Situation“ im Auge behalten zu wollen. Es handele sich jedoch um keine Insolvenzwelle, sondern um „Sondereffekte“, die noch aus der Corona-Zeit resultieren. Saskia Esken, ihres Zeichens SPD-Co-Chefin, „warnte“ gar davor, die Lage schlechter zu machen, als sie sei.

Nun stellt sich heraus, allein im Jahr 2023 gab es bundesweit 176.000 Pleiten. Nur bei einem kleinen Teil ist dies die Folge einer Insolvenz, schreibt die Welt. Und lediglich elf Prozent dieser Schließungen sind Folge einer Insolvenz. Der Großteil hat demnach still und leise aufgegeben. Und zu dieser Gruppe gehören zunehmend viele Industriebetriebe.

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Ein anderer Teil der Betriebe wandert schlicht ins Ausland ab. Hauptgrund für das Auswandern: Bürokratie, als Zweites kommt die hohe Steuerlast. Außerdem werden die hohen Energiekosten angeführt, inzwischen aber auch die Energiesicherheit, sagt Marcello Danieli, Geschäftsführer von Harder Logistics, dessen Unternehmen sich auf die Verlagerung von Produktionslinien bis hin zu ganzen Werken aus Deutschland spezialisiert hat, gegenüber der Bild. Hauptsache, weg aus Deutschland.

Betriebsschließungen betreffen kleine und mittlere Unternehmen. In den Innenstädten sind es oftmals kleine Geschäftsaufgaben. Noch heftigere Auswirkungen fürs Land aber haben die Aufgaben von Baufirmen, Chemieunternehmen, Technologiedienstleistern, Maschinenbauern, Fahrzeugherstellern oder Elektrotechnikbetrieben, deren Verschwinden öffentlich vielfach gar nicht bemerkt wird, so Patrik-Ludwig Hantzsch, der Leiter Wirtschaftsforschung bei Creditreform. Aber: „Das Sorgenkind ist die Industrie“.

„Existenzbedrohend“ – Thyssenkrupp-Chef warnt vor Stahl-Untergang, titelte die Welt am Dienstag. Vorstandschef Miguel Lopez kündigt harte Einschnitte und eine Ausweitung des Sparprogramms an. Vor allem die Stahlsparte Steel Europe steht im Fokus. Binnen weniger Jahre wurden dort Milliarden Euro verbrannt. Der Vorstand von Steel Europe um seinen Vorsitzenden Bernhard Osburg ist angehalten, einen neuen Businessplan für den Bereich mit aktuell rund 27.000 Mitarbeitern zu erstellen. Es gehe um eine sehr große Veränderung. Angekündigt ist bislang nur eine deutliche Reduzierung der Produktionskapazitäten im Stammwerk in Duisburg. Im Zuge dessen wird es dann auch zu einem „noch nicht bezifferbaren Abbau von Arbeitsplätzen“ geben. „Der Plan wird die gesamte Zukunft des Stahls umreißen.“

War da nicht etwas mit dem Umbau der Stahlproduktion auf Wasserstoff? Vor knapp einem Jahr gab es vom Wirtschaftsministerium die Förderzusage von zwei Milliarden Euro für größtes Dekarbonisierungsprojekt in Deutschland. Dazu kommt es wohl nie. Thyssenkrupp brachte vor einem Jahr seine Wasserstoff-Tochter Nucera an die Börse. Der Kurs stürzte indessen von 23,52 Euro am 07.07.2023 auf aktuell 10,17 Euro ab (Stand 13.06.2024), mithin um knapp 57 Prozent.

Tag für Tag gibt es neue Berichte über Abwanderungen, Betriebsstillegungen, Insolvenzen und Entlassungen. Hier eine Übersicht (die Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit):

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