G7-Gipfel in Apulien: Ab Donnerstag ist Giorgia Meloni kurz nach der EU-Wahl Gastgeberin. Zwar soll erst am Montag über den Vorschlag der EU-Mitgliedsländer entschieden werden, wer zum Kommissionspräsidenten vorgeschlagen wird. Aber es ist dieser Gipfel, auf dem die wichtigsten EU-Staaten inklusive der amtierenden EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammenkommen. Und man kann es sich denken: Was am Montag passiert, wird auch hier in die Wege geleitet.
Die zierliche Römerin steht dabei sichtlich gestärkt zwischen dem deutschen 14-Prozent-Kanzler und einem zur Neuwahl genötigten französischen Staatspräsidenten. Auch für Ursula von der Leyen ist nicht klar, wie sicher ihre Wiederwahl ist – trotz anderslautender Bekundungen. Deutschland schleppt sich durch eine Wirtschaftskrise mit einer genauso krisenhaften Situation; Frankreich wankt von einem unregierbaren Parlament zu einer möglichen Kohabitation zwischen rechter Regierung und linksliberaler Präsidentschaft; Spanien ist entzweit; in Polen verschafft sich Donald Tusk mit rigiden Mitteln Autorität.
Ihre freundliche Neutralität gegenüber der EU ist nicht überraschend. Schon vor der Wahl sagte man Meloni nach, erst in Brüssel auf Tuchfühlung zu gehen, was man dort holen könnte, bevor man es sich verscherzte. Während ihrer politischen Karriere haben die Fratelli bei ihren heutigen Verbündeten sehen können, was mit italienischen Regierungen passiert, die nicht nach dem Willen der EU hüpfen. Silvio Berlusconi wurde von der Troika abgesägt. Und Matteo Salvini, der mit „Geschlossenen Häfen“ auftrumpfen wollte, wurde über Bande bekämpft, weil die Eurokratie in Form des italienischen EU-Kommissars und früheren Premiers Gentiloni den Linken zuspielte. Dieser Zermürbung entgeht „Giorgia“, indem sie alle Optionen offen lässt.
Wer 200 Milliarden EU-Hilfen will, der tritt leise auf und nickt. Wer dazu das italienische Staatsfernsehen und den Kulturbetrieb neubesetzt, der braucht Ruhe an der europäischen Front. Die gewonnene Wahl wird Meloni genügend Rückenwind geben, um auch das politische System Italiens umzubauen, wie es sich die Fratelli schon seit Jahren wünschen: hin zum Präsidialsystem. Es gehört dabei zu den Verrenkungen der Linken, von einem autokratischen Umbau des italienischen Politiksystems zu sprechen, wenn der Bürger bald den Regierungschef direkt wählen soll, statt über den Umweg der Parteien.
Die Welt sieht darin eine diabolische Zweigesichtigkeit. Ein großer Teil des hiesigen AfD-Milieus Verrat. Die Mehrheit der Italiener goutiert dagegen den Machiavellismus, weil er Italien nützt. Bis die Basis in der Heimat gefestigt ist – mag es aufgrund der im politischen System fußenden Instabilität oder der seit Generationen angehäuften fiskalischen Probleme sein –, wird Meloni lieber auf der EU-Ebene nach niedrig hängenden Früchten suchen.
Und was die Ukraine angeht: Die italienische Rechte war bereits in ihrer tatsächlich postfaschistischen Zeit „transatlantisch“. Das letzte Mal, als ein italienischer Premier daran rüttelte, wurde er unter bis heute ungeklärten Umständen von den Roten Brigaden ermordet. Das wird die opportunistischen Italiener nicht davon abhalten, im ersten Moment, in dem sich der Wind dreht, dabei zu sein, sollte es zum Waffenstillstand kommen, um sich ihre Bündnistreue beim Wiederaufbau der Ukraine zurückzahlen zu lassen. Dass man in Rom auf die Wunschallianz mit Donald Trump hofft, die sich ab Ende des Jahres ergeben könnte, ist kein Geheimnis. Ähnlich wie Scholz, Macron und von der Leyen ist auch Joe Biden eine „lahme Ente“.
Das wissen die Beteiligten. Mit Meloni wird man sich einige Zeit arrangieren müssen. Obwohl die EVP nicht offiziell mit Melonis EKR zusammenarbeiten will, lobt man immer wieder die „konstruktiven Gespräche“ mit der Italienerin. Zugleich hat sie auf dem G7-Gipfel einen eigenen Akzent gesetzt: Der Tagesordnungspunkt „Recht auf Abtreibung“ wurde kurzerhand gestrichen. Mehr denn je stellt sich nach der EU-Wahl die Frage: Was hat Meloni eigentlich vor?
In dieser Woche sind dazu gleich mehrere Spekulationen in den italienischen Zeitungen aufgetaucht. Der Corriere della Sera etwa hat aus einer Fratelli-Quelle erfahren, dass Meloni die Zusammenarbeit mit der EU vorzieht. Die hat allerdings einen Preis. Konkret wünscht sich die Premierministerin Giancarlo Giorgetti als zukünftigen EU-Kommissar. Meloni möchte damit keinen verbrauchten Hinterbänkler, sondern einen Top-Mann nach Brüssel entsenden. Denn Giorgetti ist der derzeitige Finanzminister Italiens.
Noch eine weitere Facette: Giorgetti gilt als außerordentlich deutschfreundlich. Der Norditaliener sieht im wichtigsten Handelspartner Italiens den präferierten Verbündeten in Europa. Zwar gab es zwischen ihm und Bundesfinanzminister Christian Lindner in der Schuldenfrage Differenzen. Das Verhältnis gilt jedoch als freundlich und konstruktiv. Damit behält sich Rom die Türe offen, auch mit Deutschland zu verhandeln, statt sich nur auf Frankreich auszurichten, mit dem es geopolitisch immer mal wieder über Kreuz liegt.
Sollte Meloni ihre Maximalvorstellungen nicht durchsetzen können, bleibt ihr immer noch das Angebot Le Pens zur Zusammenarbeit. Diese Option hat seit der Ankündigung von Neuwahlen an Reiz gewonnen. Ein Bündnis zwischen RN und Fratelli, sowie eine mögliche Regierungsbeteiligung des RN in Paris könnten schon bald Realität sein. Italien allein kann Brüssel vielleicht einhegen, nicht jedoch Italien und Frankreich.
Das ist übrigens ein Szenario, das auch die EVP-Parteien vor Augen haben dürften. Sie werden – Ursula von der Leyen voran – Meloni daher nicht als Gegnerin, sondern als Verbündete gewinnen wollen. Ob per Kredit oder Konzessionen bei Green Deal und Migrationspolitik. Die Italienerin kann sich jedenfalls zurücklehnen. Anders als in Polen und Ungarn wird Brüssel ihr nicht ins heimische Handwerk pfuschen – zumindest nicht so schnell. Dafür hat sie sich zu unentbehrlich gemacht.