Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hielt am Dienstag eine Rede im deutschen Bundestag, in der er Deutschland für die Unterstützung im Krieg gegen Russland dankte und darauf pochte, dass der Krieg nur mit einem endgültigen Sieg der Ukraine an eine Ende kommen würde. Selenskyj betonte dabei, dass dieser Krieg im Interesse von Europa geführt würde. Die Fraktionen der AfD und des Bündnisses von Sahra Wagenknecht boykottierten allerdings den Auftritt des ukrainischen Präsidenten.
In einer Pressemitteilung verlautbarten die AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla, sie lehnten es ab „einen Redner im Tarnanzug anzuhören“. Seine Amtszeit sei abgelaufen, er sei „nur noch als Kriegs- und Bettelpräsident im Amt“. Statt einem „Kriegspräsidenten“ brauche die Ukraine nun einen „verhandlungsbereiten Friedenspräsidenten“, so die AfD.
Auch das BSW ließ über Sevim Dagdelen verlautbaren, dass man mit dem Fernbleiben „auch ein Zeichen der Solidarität mit all jenen Ukrainern, die sich einen sofortigen Waffenstillstand und eine Verhandlungslösung wünschen, statt von Präsident Selenskyj als Kanonenfutter für einen nicht gewinnbaren Krieg zwangsrekrutiert zu werden“, setze. In einer Stellungnahme betonte das BSW weiter, dass Selenskyj zu einer „hochgefährlichen Eskalationsspirale“ beitrage und das Risiko eines atomaren Konflikts in Kauf nehme. Dafür solle der ukrainische Präsident „im Deutschen Bundestag nicht mit einer Sonderveranstaltung gewürdigt werden“.
Der Wiederaufbau, der nicht stattfinden muss, aber trotzdem zu Goldgräberstimmung führt
Diese Skepsis entging wohl auch nicht Selenskyj selbst, der am Rande der sogenannten „Wiederaufbaukonferenz“ in Berlin vor dem Erstarken prorussischer Populisten bei den Europawahlen warnte. Bei der Konferenz selbst plädierte Selenskyj, wie gewohnt, für weitere Waffenlieferungen. Vor allem die Luftabwehr soll es nun richten. Zwar zeigte sich Kanzler Olaf Scholz gewohnt launig, als er meinte „der beste Wiederaufbau ist der, der gar nicht stattfinden muss“, doch ließ er dabei dezent unter den Tisch fallen, dass die Weltbank die in der Ukraine entstandenen Sachschäden bereits auf mindestens 486 Milliarden Dollar schätzte.
Es sind eben diese Kosten, gegen die sich auch die AfD in ihrer Stellungnahme verwehrte. Es solle „deutsches Steuergeld verschleudert werden für BlackRock und andere Investoren, die am Wiederaufbau beteiligt sind“. Tatsächlich haben unter anderem BlackRock und JP Morgan bereits vor rund einem Jahr Verträge zum Wiederaufbau der Ukraine abgeschlossen. BlackRock CEO Larry Fink prognostizierte bereits im Januar 2023, dass westliche Investoren die Ukraine „überschwemmen“ würden, sodass es „für den Rest der Welt ein Leuchtfeuer der Kraft des Kapitalismus“ werden könne. Gleichzeitig herrschte, so berichtete das Handelsblatt damals, in der Washingtoner Rüstungsindustrie eine „Goldgräberstimmung“, da die Ukraine zum „größten Rüstungs-Hub Europas“ werden könnte.
Selenskyj bemühte in seiner Bundestagsrede zahlreiche Bilder, die zu einem deutschen Publikum sprechen sollten. „Das geteilte Europa war niemals friedlich. Und das geteilte Deutschland war niemals glücklich,“ so Selenskyj. Doch der ukrainische Präsident vergaß dabei offensichtlich, dass just mit dem Ende des Kalten Krieges der Krieg in Europa wieder Einzug hielt. Und fragt man Ostdeutsche über die Früchte der Wiedervereinigung, wird man vielerorts eher nüchternere Adjektive als „glücklich“ vernehmen.
Friedensverhandlungen ohne Russland führen wozu?
Ein weiterer Anklang an die deutsche Geschichte fand sich in Selenskyjs Analogien zu Mauern. Er verwehrte sich gegen die Spaltung der Ukraine und hoffte auf Verständnis, „warum wir alles tun, um eine Mauer zwischen Teilen unseres Landes zu verhindern.“ Allerdings rief er nur wenig später dazu auf, dass alle zusammenarbeiten müssten, damit Russland sich ändere, denn „es gibt keine Mauern, die nicht fallen“. Das wiederum entwertete das vorangegangene Lamento über eine mögliche Spaltung der Ukraine, wirkte andererseits aber auch ein wenig geschichtsvergessen angesichts der bis heute überdauernden chinesischen Mauer.
Wo bleibt bei so viel Rüstung und Krieg bis zum endgültigen Sieg gegen Putin der Frieden? Der soll, so Selenskyj, am nächsten Wochenende in der Schweiz eine neue Chance bekommen, denn da findet eine Friedenskonferenz statt. „Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben und haben etwa 100 Staaten versammelt. Die Ukraine hat niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt“, so Selenskyj. Unter den geladenen 100 Staaten befindet sich aber nicht Russland, sodass sich die berechtigte Frage stellt, wie man sich einer diplomatischen Lösung exakt annähern möchte, wenn nur über und nicht mit einer der Kriegsparteien gesprochen wird. Das ist auch die Sicht Chinas, das aus eben diesem Grund seine Teilnahme absagte.
Trotzdem erhielt Selenskyj für seine Rede vor dem deutschen Bundestag stehende Ovationen und Solidaritätsbekundungen. Das Fernbleiben von AfD und BSW wurde – wenig überraschend – von Vertretern der anderen Parteien durch die Bank kritisiert. Dieser Kritik schlossen sich auch die öffentlich-rechtlichen Medien an. Das ändert aber nichts daran, dass der Überdruss weiter Teile der Bevölkerung mit der Finanzierung eines scheinbar nicht zu gewinnenden Krieges größer wird und mittlerweile im Boykott zweier Bundestagsparteien ihren Niederschlag findet.