Vor einigen Wochen hatte Bundeswirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) trotz der sich in Deutschland weiter verfestigenden wirtschaftlichen Stagnation und der zügig voranschreitenden Deindustrialisierung „etwas Ungewöhnliches und Gutes zu verkünden […], nämlich den Erfolg des Klimaschutzes“. Denn den Projektionen des Umweltbundesamtes (UBA) zufolge sei Deutschland aufgrund seiner Klimapolitik „zum ersten Mal überhaupt […] auf Kurs“. Die Zahlen zeigten zudem: Deutschland könne die Treibhausgasemissionen bis 2030 so stark senken, dass die Klimaschutzziele erreicht würden. Dazu müssen die Treibhaushausgasemissionen innerhalb der nächsten sieben Jahre um 35 Prozent gegenüber dem Stand von 2023 sinken, also knapp 5 Prozent jährlich. Denn im Klimaschutzgesetz ist festgelegt, dass diese Emissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 um 65 Prozent vermindert sein müssen.
Habeck nutzte die Verkündung dieser frohen Botschaft mit einer Adresse an die Kritiker der Klimapolitik, denn sie verbänden „diese Anstrengungen mit einer Erzählung des Niedergangs unseres Landes“. Das sei jedoch „falsch“. Denn die Tatsache, dass Deutschland mit Blick auf die Treibhausgasemissionen voll auf Kurs sei, zeige, „dass Klimaschutz und Wertschöpfung und Wachstum und Produktion und eine klimaneutrale Wirtschaft zusammengehen und zusammengehören.“
Bunderechnungshof und Klimarat haben Habeck zwar bescheinigt, dass Energiewende und Klimaziele mit geeigneten Nachbesserungen möglich seien. Demnach könnte der eine der beiden diametral entgegengesetzten Pole der Klimapolitik, nämlich Treibhausgasneutralität mit obendrein ausschließlich erneuerbarer Wind- und Solarenergie bis 2045 zu schaffen, zwar erreichbar sein. Dadurch entfernt sich die Klimapolitik jedoch immer mehr von dem gegenüberliegenden Pol, der Sicherung von Wachstum und Wohlstand – ganz im Gegensatz zu Habecks gebetsmühlenartig wiederholtem Narrativ, dass beides miteinander vereinbar sei.
Klimapolitik und Wohlstand unvereinbar
Den besten Beleg dafür hat Habeck bei der Verkündung seiner Klimabotschaft selbst geliefert. Denn der im vergangenen Jahr stärkste Rückgang der Treibhausgasemissionen seit der deutschen Vereinigung 1990, der nun in Habecks Worten die Klimaziele „greifbar“ macht, geht schlichtweg auf einen gesunkenen Energieverbrauch zurück. Und dieser hat nichts mit der von Habeck insinuierten sprunghaften Verbesserung der Energieeffizienz zu tun, wodurch aus weniger Energie die gleiche Arbeitsmenge herausgeholt würde, noch geht er mit einem spürbaren Anstieg des Beitrags der erneuerbaren Energien zur Deckung des deutschen Primärenergieverbrauchs einher. Denn 2023 stieg deren Beitrag nur um ein Prozent auf 2103 Petajoule.
Deutschland auf Deindustrialisierungskurs
Seit dem Beginn der ökologischen Klimapolitik vor mehr als zwei Jahrzehnten geht von steigenden Energiekosten eine schleichende Deindustrialisierung aus. Dies zeigt sich insbesondere in den energieintensiven Branchen. Im konjunkturellen Aufschwung kurz vor der Finanzkrise 2008 erreichte die Wertschöpfung der energieintensiven Industrien ihren bisherigen Höhepunkt. Seitdem geht es abwärts. Bis zum Beginn des Ukraine-Kriegs war die Produktion bereits um zehn Prozent geschrumpft. Wegen der vorübergehend drastisch gestiegenen Energiepreise, vor allem für Gas und Strom, ist die Produktion seitdem um weitere knapp 20 Prozent eingebrochen und hat sich nicht wieder erholt.
Ganz im Gegenteil geht es trotz der Wiederannäherung der Energiepreise auf das Niveau vor dem Beginn des Ukrainekriegs nicht wieder aufwärts. Die Unternehmen haben die Produktion zurückgefahren oder stillgelegt, und sind, wo dies aufgrund vorhandener Kapazitäten möglich war, auf andere Standorte im Ausland ausgewichen. Somit liegt das derzeitige Produktionsniveau etwa 30 Prozent niedriger als noch vor der Finanzkrise 2008. Und so wird es weitergehen, sofern an der gegenwärtigen Klimapolitik nicht Grundsätzliches geändert werde, wie Martin Brudermüller – bis vor kurzem noch BASF-Chef und großer Befürworter der sozial-ökologischen Transformation in Richtung Klimaneutralität – gegenüber der F.A.Z erklärt hat. Neben umfangreichen Produktionskürzungen sind die Kapazitäten zur Ammoniakproduktion am BASF-Standort Ludwigshafen wegen gestiegener Energiekosten inzwischen halbiert, aber man werde „wahrscheinlich weitere Anlagen schließen müssen […], die wir in der Dekarbonisierung nicht mehr wirtschaftlich betreiben können“, so Brudermüller. Die Klima- und Energiepolitik führe dazu, dass „die Industrie künftig von einem mittleren einstelligen Centbetrag je Kilowattstunde auf fast 20 Cent“ für Strom komme. Bei diesem Strompreis, so Brudermüller „braucht sich die deutsche Industrie zur Dekarbonisierung gar nicht mehr aufzumachen. Da ist sie mausetot, bevor sie damit begonnen hat.“
Besseres Klima mit weniger Industrie
Die durch Desinvestition voranschreitende Deindustrialisierung macht sich typischer- und tückischerweise erst zeitverzögert bemerkbar – durch rückläufige Produktion. Nun jedoch ist diese Phase der Deindustrialisierung erreicht, so dass die Unternehmen durch sinkende Wertschöpfung und dadurch sinkenden Energieverbrauch einen erheblichen und zudem unverzichtbaren Beitrag zur Erreichung der Klimaziele liefern. So hat der von der Klimapolitik ausgehende energiekostengetriebene Rückgang der Industrieproduktion, um etwa 20 Prozent im Zeitraum von 2018 bis 2023, den gesamten deutschen Energieverbrauch um mehr als 6 Prozent vermindert. Da die Treibhausgasemissionen im gleichen Zeitraum um etwa 18 Prozent gesunken sind, lässt sich grob überschlagen, dass etwa ein Drittel der Treibhausgasreduktion ausschließlich auf die gesunkene Industrieproduktion zurückgeht.
Eine Erholung der Industrieproduktion würde die heile Klimawelt des Robert Habeck aus den Angeln heben. Aber auch eine Stabilisierung der Industrieproduktion auf dem inzwischen erreichten Niveau würde die Erreichung der Klimaziele bis 2030 und darüber hinaus verunmöglichen. Dies hat der Präsident des Ifo-Instituts, Clemens Fuest, in einigen Stellungnahmen sehr deutlich gemacht und dabei vor der Fortführung dieser Klimapolitik völlig zurecht eindringlich gewarnt. Denn die ökologischen Prämissen der Klimapolitik bestehen in einer möglichst drastischen Senkung des Energieverbrauchs, so dass der verbleibende Bedarf vollständig mit Hilfe erneuerbaren Energie – in Deutschland in erster Linie Wind- und Sonnenenergie – gedeckt werden kann. Die Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren ist jedoch limitiert, so dass die Verminderung der Treibhausgasemissionen von mehreren Faktoren abhängt. Erstens vom steigenden Anteil erneuerbarer Energie am Primärenergieverbrauch. Zweitens von gesamtgesellschaftlichen Energieeffizienzverbesserungen, also der Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) im Verhältnis zum Energieverbrauch. Drittens jedoch vergrößert ein Anstieg des BIP die Treibhausgasemissionen.
Schädlich wohl, aber Unsinn? Denn Fuests Ansatz wirft die Frage auf, wie der Lauf der Dinge in den energieintensiven Industrien beschleunigt werden müsste, damit die gesamte Last des sinkenden Energieverbrauchs und sinkender Treibhausgasemissionen alleine von diesen geschultert werden könnte. Legt man zugrunde, dass auf die energieintensiven Industrien etwa 23 Prozent des gesamten deutschen Primärenergieverbrauchs entfällt, würde ein Produktionsrückgang dort um etwa 80 Prozent bis 2030 reichen, damit Habeck auch dann wieder frohe Klimabotschaften senden könnte. Die energieintensiven Industrien tragen direkt nur mit etwa 4 Prozent zur gesamten Wertschöpfung in Deutschland bei und beschäftigen direkt nur etwa eine Million Menschen – bei derzeit etwa 46 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland. Man muss man kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu behaupten, dass die Erreichung der Klimaziele auch weiterhin über die möglichst geräuschlose Abwicklung der energieintensiven Industrien erfolgen soll.
Mehr von Alexander Horn lesen Sie in seinem aktuellen Buch „Die Zombiewirtschaft – Warum die Politik Innovation behindert und die Unternehmen in Deutschland zu Wohlstandsbremsen geworden sind“ mit Beiträgen von Michael von Prollius und Phil Mullan.