Vor rund einem Monat ist das Magazin Frontal21 auf einen Millionen-, wenn nicht Milliardenbetrug bei Klimazertifikaten gestoßen. Tichys Einblick hat über dieses „Geschäft mit Klimaattrappen“ bereits frühzeitig berichtet. Der Skandal hat nun offenbar ein Nachspiel. Denn die Verantwortlichen – das Bundesumweltministerium unter Steffi Lemke und das Umweltbundesamt (UBA) von Dirk Messner – sind offenbar nicht ihrer Verantwortung bei der Prüfung von fragwürdigen Klimaprojekten nachgekommen.
Zur Erinnerung: als Sprungbrett für den Schwindel dienten UER-Zertifikate, die von Ölkonzernen genutzt werden, um Klimaschutzvorgaben zu erfüllen. UER steht für „Upstream Emission Reduction verification“ und soll dazu führen, dass der Sektor seine Emissionen zurückfährt. Die Kosten für diese Reduzierung geben die Mineralölkonzerne wiederum an den Verbraucher ab. Der Knackpunkt: Viele Konzerne haben die Spritpreise mit Hinweis auf UER erhöht, doch die vermeintlichen Projekte zur Emissionsverminderung sind eine Fata Morgana.
So errichtete man vermeintliche Umweltprojekte in der chinesischen Taklamakan-Wüste. Dort sollten auf ökologische Art und Weise Gas und Öl gefördert werden. Doch einige Projekte existierten bereits vor dem vermeintlichen Bau. Andere gibt es gar nicht. Die Chinesen hatten sich in Deutschland sogar selbst gemeldet, dass irgendetwas nicht stimmte. Ein chinesischer Konzern schrieb dem zuständigen Umweltbundesamt (UBA), dass all diese Projekte genehmigt hatte: „Wir vermuten, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gibt, dass Dokumente gefälscht wurden und wir bitten dringend, dass Ihre Behörde dazu ermittelt.“
Das UBA behauptete, die Vorfälle intensiv zu überprüfen, wollte aber nicht von „vorgetäuschten Projekten“ sprechen. Der Eindruck verfestigte sich, dass das UBA Aufträge ohne Prüfung verteilt hatte. Die Tageszeitung Welt am Sonntag hat den Ball aufgenommen und stellt fest, dass dieser Verdacht begründet ist. So hätte schon eine Überprüfung der Geodaten der vermeintlichen Klima- und Umweltprojekte über eine kurze Prüfung von Google Maps gezeigt, dass sich diese in der unbebauten uigurischen Wüste befanden.
Hatte Frontal21 vor allem den Mineralölkonzernen den Schwarzen Peter zuschieben wollen, sieht die Welt vornehmlich die Exekutive in der Verantwortung. Shell sagte gegenüber der Welt am Sonntag, dass es keine Nachprüfungen der eigenen Projekte gegeben hätte. Eine „Intensive Prüfung“, wie Messner behauptete, sei deswegen fraglich.
Zumindest in einer Hinsicht korrigiert sich das UBA: hatte es vor einem Monat noch von „vorgetäuschten Projekten“ nichts wissen wollen, so vermutete Messner nunmehr ein „Betrugsgeflecht“. Zwei deutsche Gutachterbüros hätten sich dabei fragwürdige Zertifizierungen gegenseitig bestätigt. Laut Welt am Sonntag ist nur ein einziges von 75 UER-Projekten bisher unverdächtig. Das Hauptstadtbüro Bionergie geht von einem möglichen Schaden von bis zu 4,5 Milliarden Euro aus.
Auch in der Politik bewegt sich etwas. „Durch fehlerhafte Zertifizierungen und schlampige Kontrollen deutscher Behörden ist nicht nur ein horrender finanzieller Schaden entstanden, sondern auch ein massiver Vertrauensverlust in Klimaschutzprojekte im Ausland“, kritisiert Anja Weisgerber, klimapolitische Sprecherin der Union im Bundestag. „Das Umweltbundesamt und das Bundesumweltministerium haben völlig versagt“, stellt Christian Hirte fest, Berichterstatter für Umweltrecht in der Unionsfraktion: „UBA-Präsident Messner und die zuständige Ministerin Lemke haben diese Zustände entweder stillschweigend hingenommen oder sie haben ihren eigenen Laden nicht im Griff.“