Tichys Einblick
EU-Wahl in Italien

Meloni räumt in Italien ab – und schaut jetzt nach Brüssel

Die italienische Rechte übertrumpft ihr Ergebnis von der Parlamentswahl. Melonis Fratelli verbuchen ein Rekordergebnis, das nach Brüssel ausstrahlt. Ihr Glück ist Salvinis Leid. Zugleich muss sich die Ministerpräsidentin nun entscheiden, wie sie es mit Brüssel hält: ob mit von der Leyen oder Le Pen.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Roberto Monaldo

Italienische Regierungen werden üblicherweise nicht bestätigt, sondern abgestraft. Doch auch in dieser Beziehung schreibt die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Geschichte. Rund zwei Jahre nach der italienischen Parlamentswahl verbessern die Fratelli d’Italia ihr Ergebnis. 2022 hatten die Nationalkonservativen 26 Prozent erreicht, bei den EU-Wahlen sind es 28,8 Prozent. Noch deutlicher fallen die Zugewinne im Vergleich zu 2019 aus: damals errangen die Fratelli 6,4 Prozent. Meloni sprach von einer Nacht, die noch schöner gewesen sei als die Wahlnacht vor zwei Jahren.

Dass die EKR-Fraktion im EU-Parlament ein gewichtiger Faktor wird, dürfte damit auch auf die EKR-Chefin Meloni zurückzuführen sein. Europaweit liegt das Bündnis nämlich nur knapp (10,1 Prozent) hinter der liberalen Renew-Gruppe (10,9 Prozent). Sollten Meloni und Marine Le Pen tatsächlich den Schulterschluss wagen, wäre die EKR die drittstärkste Fraktion im EU-Parlament. In Ungarn zeichnet sich ab, dass die Fidesz ebenfalls auf eine Aufnahme in die EKR spekuliert. Weitere Parteien aus dem ID-Umfeld könnten folgen.

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Apropos ID: deren stärkste Partei, die Lega von Matteo Salvini, ist der eigentliche Wahlverlierer. Das hatte sich allerdings bereits seit Monaten abgezeichnet. Das starke Ergebnis von 34 Prozent bei den Wahlen 2019 ist lange her. Eine freundlichere Wende der Geschichte für Salvini hätte dazu geführt, dass nicht Meloni, sondern er heute im Palazzo Chigi säße. Dass die Lega mittlerweile wieder dort steht, wo sie vor Salvinis Antritt stand, hängt wohl nicht zuletzt mit der schicksalhaften Teilnahme der Lega an der Regierung der „Nationalen Einheit“ zusammen, bei der sie die Covid-Maßnahmen und anschließend Mario Draghi stützte. Bei den Nationalwahlen erhielt sie nur noch 8,8 Prozent, bei der EU-Wahl sind es 9 Prozent.

Das hat innenpolitische wie europapolitische Folgen. Der ID fällt eines der wichtigsten Zugpferde weg. In Italien kann Salvini von Meloni nun noch mehr an die Leine gelegt werden, auf EU-Ebene dürfte Le Pen die neue Führungsgestalt sein. Die Lega ist nicht mehr gleichberechtigter Partner, sondern Beiboot. Sollte Le Pen mit Meloni zusammenarbeiten, würde Salvini in einer geschrumpften ID-Fraktion bleiben, wo er mit der erstarkten FPÖ auf Augenhöhe wäre. Oder er würde sich gleich mit Le Pen auch auf EU-Ebene Meloni anschließen – und Profil verlieren. Salvini ist damit in einer strategischen Zwickmühle.

Die Sozialisten vom Partito Democratico konnten leichte Zugewinne verbuchen (von 22 auf 24 Prozent), die von der linken Presse gefeiert werden, aber im Schatten von Melonis Einzelerfolg und dem weiterhin dominierenden gesamtrechten Lager stehen. Der Abstieg des Movimento 5 Stelle (M5S) setzt sich weiterhin fort: einst mit über 30 Prozent die stärkste Kraft der vorangegangenen Legislaturperiode des italienischen Parlamentes, erreichen sie nur noch rund 10 Prozent. Die beiden „populistischen“ Parteien von links und rechts teilen also ein gemeinsames Schicksal.

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Für eine kleine Überraschung sorgte die Forza Italia (FI). Um diese zu begreifen, muss man auf das europäische Parkett blicken. In Schweden, Portugal und den Niederlanden wurden die Sozialisten, in Dänemark die Grünen die stärkste Kraft. Den Rest des europäischen Kuchens schneiden EVP, EKR und ID unter sich auf. Freilich steht häufig zur Debatte, inwiefern die EVP einer zentristischen oder konservativen Strömung angehört. Die Antwort unterscheidet sich bereits von Land zu Land. Die französischen Republikaner und die italienische FI stehen klar rechts von der deutschen CDU.

CDU/CSU mögen sich bei der EU-Wahl nur stabilisiert haben. Angesichts der Einbrüche von Grünen und Liberalen in Europa ist das aber der bekannte Sieg im Schlafwagen. Ursula von der Leyen mag unbeliebt sein, doch sie bekam keine Quittung. Die Rechten haben Punktsiege in Europa errungen, doch der Gesamtsieg geht ohne Frage an die EVP. Aus genau diesen Gründen ist das FI-Ergebnis mindestens genauso interessant wie das der Fratelli.

Lange Zeit stellte sich nämlich die Frage, ob die FI sich mit dem Tod ihres Gründers Silvio Berlusconi erledigt hatte, und mit einer anderen Rechtspartei fusionierte, oder gar den Weg in die Bedeutungslosigkeit ging. Seit diesem Wahlsonntag hat sich diese Frage beantwortet. Die FI ist zweitstärkste Kraft (9,6 Prozent) rechts der Mitte und nur knapp hinter dem M5S auf Platz vier gelandet. Ihr Chef, Antonio Tajani, ist ehemaliger Präsident des EU-Parlaments. Als Außenminister macht er eine gute Figur als „elder statesman“. Und er wäre auch einer jener berühmten „Kompromisskandidaten“ auf EU-Ebene, sollte es mit Ursula von der Leyen doch nicht so klappen, wie man sich das wünscht. Melonis Unterstützung hätte er.

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Die schillernden Jahre von Berlusconi, Renzi, Grillo und Salvini sind offenbar vorbei. Nicht nur Melonis Fratelli, sondern das gesamte rechte Lager geht trotz der Einhegung Matteo Salvinis gestärkt aus der Wahl hervor – satte 16 Prozentpunkte liegt das rechte Lager vor dem linken Lager; selbst unter Zurechnung des M5S sind es immer noch sechs Prozent Vorsprung. Auch das ist in der volatilen italienischen Politik eine Seltenheit. Die Italiener schätzen Persönlichkeiten wie Meloni und Tajani deswegen: sie symbolisieren Verlässlichkeit, Zurechnungsfähigkeit und langsamen Wandel.

Im Vergleich zu den anderen großen Ländern Europas erscheint Italien deswegen wie ein ruhender Gegenpol. Der Job des Italienberichterstatters ist in den letzten Monaten – sieht man von der Lampedusa-Krise im September 2023 ab – merkwürdig langweilig geworden. Offenbar haben die Italiener auch keine Lust mehr darauf, die ihnen früher zugedachte Rolle zu übernehmen: Regierungskrisen können Franzosen und Briten mittlerweile besser, EU-Diktatur gibt es in Polen, sich unversöhnlich gegenüberstehende Landesteile in Spanien, und hemmungslose Inkompetenz gepaart mit Nepotismus und Wirtschaftskrise haben die Deutschen übernommen. Wer braucht da eigentlich noch Italien?

Es ist diese Ruhe, die Melonis Joker ist. Sie muss nicht gegen dieselben Widerstände kämpfen wie Matteo Salvini oder Silvio Berlusconi vor Jahren. Sie hat sehr lange deutlich gemacht, dass es erst nach dieser Wahl zu einer „Phase 2“ ihrer Regierung kommen würde. Berlusconi ist von der Troika abgesägt worden, weil er nicht nach dem Willen von Paris, Berlin und Brüssel agierte; Salvinis Regierung sah sich im ständigen Kampf mit Brüssel und stand auch deswegen unter permanenten Druck. Meloni hat diese Konfrontation bisher gescheut und die zahme Kooperation vorgezogen, um sich selbst nicht angreifbar zu machen. Auch deswegen sitzt sie so fest im Sattel.

Jetzt stehen Meloni und ihre Regierung am Scheideweg. Die nationalen und europäischen Parameter standen für Italien seit Jahrzehnten nicht mehr so gut wie heute. Die Frage stellt sich, ob Italien diese Chancen nutzt und auf EU-Ebene risikobereiter agiert, oder ob man weiterhin den vorsichtigen Weg der Nichteinmischung geht und lediglich die Unannehmlichkeiten nach Brüssel abschiebt, um von hauseigenen Problemen abzulenken. Nicht nur die Italiener sind gespannt, ob die „Phase 2“ ein Plan oder eine Phrase ist. An dieser Frage entscheidet sich dann auch, ob in Meloni mehr Machiavelli oder mehr Merkel steckt.

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