Im Grunde bedarf es keines parlamentarischen Untersuchungsausschusses mehr. Robert Habeck hat sich zuletzt im Talk bei Maybrit Illner als schuldig bekannt, die Energiesicherheit Deutschlands vorsätzlich und einzig aus Parteiinteressen heraus fahrlässig und grob gefährdet zu haben. Dass Illner, die im Talk mit dem Ehrgeiz einer stellvertretenden Pressesprecherin der Grünen schnell von dem Geständnis ablenkte und Friedrich Merz eine vollständig irrelevante Frage stellte, war zu erwarten. Dass aber Merz willig der Moderatorin folgte, anstatt Habeck in die Mangel zu nehmen, erhärtet den Verdacht, dass der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Kongress der Weißwäscher gerät. Man wird sehen, ob die Union einen Untersuchungsausschuss oder einen Vertuschungsausschuss ins Leben ruft.
Gleich zu Beginn macht Habeck bei Illner folgendes sensationelles Eingeständnis, das man sich sehr aufmerksam anhören oder lesen sollte:
„Denn natürlich wäre über das Jahr 2023 ein Weiterbetrieb mit neuen Genehmigungen und neuen Brennelementen über fünf oder zehn oder fünfzehn Jahre immer möglich gewesen … die waren natürlich funktionsfähig. Sie hatten schon seit 13 Jahren keine Funktionsprüfung mehr, aber das hätte man ja nachholen können, das ist ja unstrittig, das würde ich auch nicht abstreiten.“
Dass die AKWs sicher waren, würde Robert Habeck nicht abstreiten wollen? Heute. Doch wie sah das Habeck im Frühjahr 2022? Die Akten zeigen, dass man trotz des Russland-Überfalls auf die Ukraine und die Gefahr für Deutschlands Energieunsicherheit nach Argumenten suchte, die drei AKWs zum 31. Dezember 2022 abschalten zu können und prüfte vier Argumente, mit denen auch gespielt wurde:
- Die AKWs erfüllen die Sicherheitsstandards nicht.
- Die Brennelemente seien nur noch bis zum 31. Dezember 2022 verwendbar.
- Die Leistung, die drei AKWs erbrächten, sei nicht relevant.
- Die Wirkung der AKWs hätten keinen nennenswerten Einfluss auf die Energiepreise.
Alle vier Argumente, die teils bis beute von Habeck als Nebelkerzen verwandt werden, treffen nicht zu, wie die Akten und die Fakten zeigen.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke hatte den Leiter der Abteilung S „Nukleare Sicherheit“, denjenigen, der für die Sicherheit der AKWs verantwortlich ist, durch einen grünen AKW-Gegner namens Gerrit Niehaus ersetzt. Als die Fachleute seiner Abteilung ihm am 1. März 2022 einen Vermerk unter der Überschrift „Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke“ vorlegten, in dem es hieß, dass ein Weiterbetrieb der damals noch laufenden Atomkraftwerke „über mehrere Jahre“ als „mit der Aufrechterhaltung der nuklearen Sicherheit vereinbar“ sei, schrieb er ihn in sein Gegenteil um. Niehaus’ Dichtung mündete in die diamteral entgegengesetzte Schlussfolgerung: „Eine Laufzeitverlängerung ist aus Gründen der nuklearen Sicherheit abzulehnen.“
Nicht 2022, sondern im Jahr 2024 erklärt Robert Habeck plötzlich: „Natürlich wäre über das Jahr 2023 ein Weiterbetrieb mit neuen Genehmigungen und neuen Brennelementen, über fünf oder zehn oder fünfzehn Jahre immer möglich gewesen.“ Am 9. April 2022 hatte ich auf TE geschrieben: „Um in dieser Situation die Diskussion über die Kernkraft gar nicht erst aufkommen zu lassen, inszenierte Robert Habeck eine ‚Vorprüfung‘, doch wurden die Fachleute, weder die Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) noch die Reaktor-Sicherheitskommission (RSK), in die Prüfung einbezogen.“ Markus Krebber, Chef von RWE, der Robert Habeck nur allzu gern behilflich war, kam am 26. Februar 2022 über die Kraftwerkssituation zu dem Schluss: „Wie erbeten füge ich ein Papier bei, das die komplexen Aspekte beschreibt, die bei etwaigen Überlegungen zum Weiterbetrieb von Kernkraftwerken zu berücksichtigen wären. Wie man das Thema vor dem Hintergrund der skizzierten Herausforderungen und der aktuellen Versorgungs-Situation beurteilt, kann nur politisch entschieden werden.“
Intern war klar, dass es um eine rein politische Entscheidung, nicht um Sachfragen wie Sicherheit oder Potential der Brennstäbe ging. Zumal EnBW am 2. März 2022 folgendermaßen Stellung bezog: „Auf Grundlage des im Jahr 2011 beschlossenen Atomausstieges werden die letzten drei in Deutschland noch im Betrieb befindlichen Atomkraftwerke spätestens am 31.12.2022 ihr Recht auf Leistungsbetrieb gemäß Atomgesetz verlieren und abgeschaltet. GKN 2 allein deckt ca. ein Sechstel des Stromverbrauchs in Baden-Württemberg. Diese drei jüngsten, .s .g Konvoi Anlagen erfüllen bereits aufgrund ihrer Auslegung höchste Sicherheitsstandards. Die Reaktor-Sicherheitskommission hat darüber hinaus in der ‚Zusammenfassenden Stellungnahme der RSK zu zivilisatorisch bedingten Einwirkungen, Flugzeugabsturz‘ gerade erst Ende letzten Jahres (524. Sitzung am 20.10.2021) bestätigt, dass diese selbst einem gezielten Absturz eines großen Verkehrsflugzeugs aus sicherheits-technischer Sicht standhalten. Aus technischer Sicht wäre ein Weiterbetrieb der Anlagen denkbar.“
Wenn man allerdings die letzten AKWs am 31. Dezember 2022 unter den Bedingungen der Gefährdung der Energieversorgung abschalten wollte, dann benötigte man in der Öffentlichkeit kein politisches, oder gar ideologisches Argument, sondern ein Sachargument. Das musste gefunden werden, deshalb schrieb Niehaus den Vermerk seiner Beamten um. Nachdem Niehaus aus der Einschätzung seiner Fachleute, dass der Weiterbetrieb der AKWs „sicherheitstechnisch zu vertreten“ sei, in die Feststellung umdichtete: „Eine Laufzeitverlängerung ist aus Gründen der nuklearen Sicherheit abzulehnen“, schickte Steffi Lemkes Staatssekretär Stefan Tidow diesen Vermerk an Habecks Staatssekretär Patrick Graichen. Graichen fühlte sich nun berufen, diesen Vermerk zur Grundlage für ein fünfseitiges Elaborat unter dem Titel „Prüfung des Weiterbetriebs von Atomkraftwerken aufgrund des Ukraine-Kriegs“ zu machen. Am 4. März mailte Graichen um 21.32 Uhr seine fünf Seiten „viel Dichtung und wenig Wahrheit“ an Tidow.
Inzwischen hatte Graichen sein Werk auch seinem Chef Habeck gemailt: „Stefan Tidow wird noch ein paar Ergänzungen vornehmen, aber im Grunde kann das dann auch die Basis für die Kommunikation der beiden Häuser nächste Woche sein.“ Nicht minder als sein Verfasser zeigte sich Habeck von Graichens Entwurf beeindruckt, und dadurch angespornt setzte sich der Kinderbuchautor gleich hin und überführte nun Graichens fünfseitigen Text in eine ebenfalls fünfseitige Dichtung, die er an Graichen und Tidorf sandte. Der Text von Habecks Anschreiben spricht Bände: „Lieber Patrick, lieber Stefan, ich habe aufbauend auf Eurem famosen Papier ein FAQ gemacht, weil ich glaube, man muss das ERZÄHLEN. Wenn Ihr drüber lesen wollt – alle anderen auch. Ich würde vorschlagen, dass dann morgen 12.00 an die Betreiber zu mailen. Lg R“
Meine Feststellung damals, dass die „Vorprüfung“, die Habeck im „Bericht aus Berlin“ ankündigte, ein Fake, ein Schauspiel zur Irreführung der Öffentlichkeit war, scheinen die Akten zu bestätigen, denn die Fachleute kamen zu dem Schluss, dass der Weiterbetrieb die Versorgungssicherheit erhöhen und die Strompreise senken würde: „Da sich die Kernenergie mit sehr geringen variablen Kosten am unteren Ende der Merit-Order einordnet, verdrängt ihr Einsatz teurere Grenzkraftwerke aus der Merit-Order. Da die Residuallast vor allem in den Monaten Januar und Februar besonders hoch ist, ist zu erwarten, dass die Kernenergie häufig Gaskraftwerke verdrängt. Dadurch könnten die Strompreise in vielen Stunden sinken.“ Merit-Order bedeutet, dass die teuerste Art der Energiegewinnung, die teuersten Kraftwerke den Strompreis bestimmen. Gaskraftwerke sind teurer als Kernkraftwerke. Um auch hier gegen Habecks Legendenbildung vorzugehen: Die teuersten Kraftwerke sind die Gaskraftwerke, dann folgt in den Kosten die Steinkohle- und danach die Braunkohleverstromung, und als weit billiger als all diese Arten der Energiegewinnung erweisen sich die Kernkraftwerke.
Im Ausschuss Klima und Energie hatte Robert Habeck am 26. April 2024 behauptet und wiederholt es seitdem immer, „dass die Brennelemente bis zum Ende des Jahres 2022 zu Ende gefahren sein würden“, so Habeck. Die Betreiber der AKWs hätten erst im Laufe des Jahres 2022 ihre Einschätzung korrigiert und seien zu der Anschauung gekommen, dass die Brennelemente noch ein paar Monate länger gestreckt werden könnten. Doch in dem Schreiben vom 2. März 2022 schlug EnBW bereits die Streckung der Brennelemente vor, die Leistung der Kraftwerke im Sommer und Herbst zu drosseln, um dann mit den vorhandenen Brennelementen über den Winter 2022/23 Strom zu produzieren. Also haben die Betreiber eben nicht erst im Lauf des Jahres ihre Meinung korrigiert. Laut Handelsblatt bekam der US-Hersteller von Brennstäben Westinghouse eine Anfrage der Bundesregierung kurz nach Ausbruch des Ukrainekrieges, ob die Firma kurzfristig Brennstäbe liefern könnte. Das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesumweltministerium kamen zu dem Schluss, dass „selbst bei sofortiger Bestellung und beschleunigter Abwicklung sei mit einer Nutzung neuer Brennstäbe nicht vor Herbst 2023 zu rechnen“, wie das Handelsblatt schreibt. Statt einer Lieferfrist von 18 Monaten, wie die Bundesregierung behauptete, stellte Westinghouse eine Lieferfrist von 6 Monaten in Aussicht. Da sich die Bundesregierung jedoch nicht mehr meldete, mahnte Westinghouse: „Das Zeitfenster schließt sich nun schnell, eine Anfrage müsste rasch erfolgen.“
Daran waren, wie man nun weiß, BMWK und BMU nicht interessiert. Am 9. März 2022 unterbreitete ein Fachbeamter des Kernenergie-Referats II A 6 in Eigeninitiative einen Vorschlag, wie das Brennelementeproblem kurzfristig gelöst werden könnte. Er schlug vor, sich an die Franzosen zu wenden, weil die für ihre 58 Reaktoren mit Sicherheit eine Brennelemente-Reserve vorhalten würden, von der man noch vor dem Winter einige Elemente bekommen könnte. Doch auch dieser Vorschlag wurde kaum gemacht abgebügelt, diesmal vom Abteilungsleiter Christian Maaß, der am 9. März 2022 um 15.52 Uhr mailte: „Bitte abschließend regeln, keine weiteren Aktivitäten in Richtung Brennelementebeschaffung aus unserem Haus nötig.“
Auch bei Illner behauptete Robert Habeck: „Wir sehen heute, dass die Stromversorgung weiter sicher ist, die Strompreise auch nach dem Atomausstieg gefallen sind und die CO2-Emissionen ebenfalls runtergehen.“ Doch auch diese Behauptung stimmt bei näherem Hinsehen nicht. Die Emissionen sind gefallen, weil weniger produziert wird, sind im Wesentlichen nicht Folge von Einsparungen, sondern der Deindustrialisierung. Von 1990 bis heute konnten 40 Prozent der Emissionen eingespart werden, weil Anfang der neunziger Jahre die DDR-Industrie mit ihren Dreckschleudern heruntergefahren wurde. Die Stromversorgung ist nur sicher, laut Habecks Ministerium, wenn wir Netzflexibilität beweisen, also Strom verbrauchen, wenn Strom da ist, und wir akzeptieren, dass wir ein Nettostromimporteur werden. Das heißt, Strom ist sicher, wenn wir Strom aus dem Ausland dazukaufen.
Der Vermerk seiner Fachleute belegt, dass Habeck trickst und täuscht, denn der Strompreis hätte wirklich sinken können, wenn die Kernkraftwerke am Netz geblieben wären. Bei einem Verbrauch von 4000 KWh im Jahr liegt der Strompreis aktuell bei 37,73 Cent. Zwar lag er 2022 bei 43,02 Cent, doch wurde die EEG-Umlage ab Juli 2022 von der Stromrechnung genommen und wird nun vom allgemeinen Steueraufkommen bezahlt, damit die Bürger nicht mehr nachvollziehen können, dass diese Subvention für die Betreiber erneuerbarer Energien steigt. Würde man die EEG-Umlage weiter auf seiner Stromrechnung haben, müsste man noch 6 bis 8 Cent pro KWh auf den Preis draufschlagen.
Die Strompreise sanken also dadurch, dass die EEG-Umlage von der Stromrechnung der Bürger genommen wurde und sie sind im Vergleich zu den Jahren 2014 bis 2022, wo sie 28,03 Cent bei einem Jahresverbrauch von 4000 KWh betrugen, immer noch höher.
Habeck verwickelt sich in Widersprüche. Im Frühjahr 2022 wurde die Sicherheit der AKWs als Grund für die Abschaltung thematisiert, jetzt im Jahr 2024 bestätigt uns sogar Habeck, dass sie sicher waren und hätten weiterlaufen können. Im Jahr 2022 wurde behauptet, dass die Brennstäbe die Verlängerung der Laufzeit nicht hergäben, nun heißt es, die Betreiber hätten ihre Meinung Mitte 2022 geändert; auch das lässt sich so in den Akten nicht belegen. Robert Habeck behauptet, die AKWs wären nicht relevant für die Energiesicherheit, hier widersprechen die Akten dieser Aussage. Man kann jedes Blatt drehen und wenden, wie man will und mit anderen gewichten, was schwerfällt, denn über die Hälfte der Akten sind geschwärzt. Am Ende steht, dass, wie Markus Krebber schon am 26. Februar schrieb: „Wie man das Thema vor dem Hintergrund der skizzierten Herausforderungen und der aktuellen Versorgungs-Situation beurteilt, kann nur politisch entschieden werden.“
Die geplante Abschaltung der AKWs und schließlich die bis jetzt endgültige Abschaltung im März 2023 war eine rein politische Entscheidung, die nicht mit Blick auf die Verantwortung für Deutschland, sondern in Erfüllung der grünen Parteidoktrin getroffen wurde. Wer aus der Bundestagsfraktion der Grünen direkt mit dem BMWK in Verbindung stand, lässt sich aufgrund der Schwärzung der Akten nicht ermitteln. Das BMWK verweigert auch nach wiederholtem Nachfragen beharrlich eine Auskunft. Es wird einen guten Grund haben.