Kurz vor den EU-Wahlen durchsuchen Behörden bundesweit deutsche Haushalte, um gegen „Hass und Hetze“ (so der Spiegel) vorzugehen. Nancy Faeser warnte aus einer „Spirale aus Hass und Gewalt“. Mehr als 70 Wohnungen wurden durchsucht und zahlreiche Beschuldigte festgenommen. Man denke sich: wegen reiner Gedankenverbrechen, die nicht immer ganz trivial sein müssen. Aber wann liest man schon einmal von der Festnahme eines Gewalttäters, der dann auch bis zu seinem Prozess hinter Schloss und Riegel geblieben wäre? Das hingegen war bei den jüngsten politischen Prozessen – etwa dem gegen Michael Ballweg – durchaus der Fall. Es kündigt sich immer mehr an, dass der Staat mit zweierlei Maß misst: Einmal ist da die reale Gewaltkriminalität, die Bürgerleben fordert, zum anderen ein Phänomen, von dem man auch nach der Berichterstattung nicht so recht weiß, was eigentlich dahintersteckt und ob dabei wirklich eine „harte Reaktion“ des Staates erforderlich scheint.
Nancy Faeser schlägt den Bogen vom einen zum anderen Phänomen, indem sie behauptet: „Der Hass, der im Netz verbreitet wird, ist der Nährboden für Gewalt.“ Der Eindruck entsteht, dass es vor allem gegen radikal-islamische und Anti-Israel-Hetze ging bei diesen Razzien, aber auch der Rechtsextremismus wird wieder einmal ins Spiel gebracht: „Hakenkreuze und andere NS-Symbolik“ seien den Ermittlern aufgefallen. Verfolgt wird nun aber auch der Satz „From the river to the sea, Palestine will be free“ – weil er eine deutliche Aussage zum Israel-Gaza-Konflikt ist und dabei auch Partei für den Terror ergreift.
„AfDler töten“: Weder beleidigend noch strafbar
Zum dritten wurden Androhungen gegen Politiker „bis hin zu konkreten Hinrichtungsszenarien“ von den politisch gelenkten Strafbehörden verfolgt. Das ist einerseits verständlich, kontrastiert aber doch mit der Einstellung der Ermittlungen wegen des Antifa-Plakats „AfDler töten“. Die Staatsanwaltschaft Aachen sah in dem Slogan weder eine Beleidigung noch die Aufforderung zu einer Straftat, was insgesamt erstaunt und nur auf Hilfskonstruktionen wie der Annahme eines Aussagesatzes – quasi „[Es ist bekannt, dass] AfDler töten“ – beruhen kann. Warum gilt das dann aber nicht als Beleidigung?
Für die Staatsanwaltschaft „handelt es sich um einen (noch) sachbezogenen Angriff im Rahmen der öffentlichen politischen Auseinandersetzung, der weder auf die persönliche Diffamierung bestimmter Personen abzielt noch aus Sicht eines unbefangenen Betrachters zu Straftaten gegen einzelne Personen aufruft“, wie RTL berichtete. So weit dies. Inwiefern es „sachbezogen“ ist, einer Partei, die noch keine politische Verantwortung oberhalb der Kreisebene trägt, eine Tötungstätigkeit zu unterstellen, bleibt im Dunkeln. Und natürlich lässt sich der Satz auch als Befehl im Infinitiv auffassen: „AfDler sind zu töten“, womit man wieder bei den Hinrichtungsphantasien wäre. Schön ist auch der Zusatz des Staatsanwalts: „Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass es sich um das Ergebnis einer Einzelfallprüfung handelt und daraus nicht ohne weiteres der Schluss gezogen werden kann, Äußerungen wie die vorliegende seien generell nicht strafbar.“
EU will Chats durchleuchten
Derweil plant die EU die Durchleuchtung und stärkere Überwachung aller ihrer „Bürger“ – die es eigentlich mangels EU-Staat gar nicht geben kann, nur Bürger der einzelnen Nationalstaaten. In einem vertraulichen Kommissionspapier werden laut T-Online „auf 28 Seiten 42 Punkte für eine verschärfte Überwachung vorgeschlagen“, während Datenschützer Alarm schlagen.
Es geht um die „Empfehlungen der hochrangigen Beratergruppe für den Zugang zu Daten für eine wirksame Strafverfolgung“. Eine solche hochrangige Beratergruppe oder „High Level Group“ der Kommission, wovon es verschiedene zu unterschiedlichen Themen gibt, arbeitet laut einer EU-Website „als zeitlich begrenzte öffentlich-private Denkfabrik, die völlig unabhängig ist“: „Sie legt ihre eigene Agenda fest und ist nicht an rechtliche Zwänge gebunden.“
Dienlich sein sollen die 42 Verschärfungen angeblich vor allem dem Vorgehen gegen organisierte Kriminalität und der frühzeitigen Erkennung von Terrorismus. Denn auch die Kriminellen und Terroristen agierten immer häufiger „im digitalen Raum“.
Konkret soll die vielfach beworbene „Ende-zu-Ende-Verschlüsselung“ von Anbietern wie WhatsApp geknackt werden. Erfasst werden soll daneben auch das „Internet der Dinge“, also von internet-verbundenen Objekten wie Autos, Alexa, Google Home oder einem Apple-Assistenten, ebenso von smarten Haushaltsgeräten – vom Kühlschrank bis zum Fernseher. Dabei sollen Daten abgegriffen und ermittlungstechnisch verwendet werden.
Piratenpartei: Rat speist die Vorschläge schon in den Prozess ein
Die Hersteller sollen gesetzlich gezwungen werden, sogenannte „Hintertüren“ einzubauen, wodurch dann verschlüsselte Chats aufgedeckt werden können, ohne dass die Ermittler ein Handy in Händen halten und entsperrt haben (was angeblich schwierig sein soll). Stattdessen sollen sie einen „Generalschlüssel“ zum Mitlesen bekommen. T-Online mutmaßt, dass für die Entschlüsselung ein richterlicher Beschluss nötig sein werde, aber das ist wohl noch nicht sicher. Große Mitspieler wie Apple, Google oder Meta (Facebook) sollen – wie schon im Digital Services Act (DSA) – gegebenenfalls durch Strafen gefügig gemacht werden.
Die rechtlich und politisch ungebundenen „hochrangigen“ Berater fordern daneben erneut die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, also Speicherung aller relevanten Daten über einen gewissen Zeitraum, egal ob ein Ermittlungsverfahren existiert oder nicht. Im vergangenen September erst hatte das Bundesverwaltungsgericht die anlasslose und flächendeckende Vorratsdatenspeicherung „endgültig“ als EU-rechtswidrig eingestuft. Die Berater wollen es anders haben.
Laut dem Abgeordneten der deutschen Piraten, Patrick Breyer, ist der Entwurf aktuell allerdings schon einen Schritt weiter. Er soll von der (institutionell ungebundenen) „hochrangigen“ Beratergruppe nun in den Ausschuss der Ständigen Vertreter der Mitgliedstaaten (AStV, auch vom Französischen her COREPER abgekürzt) gehen, wohin ihn nur die Kommission schicken kann. Dieser Ausschuss ist sozusagen der Vorhof des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs, also selbst eines der wichtigsten Gremien in der EU, in dem praktische Vorhaben auf ihre Tauglichkeit in den Einzelstaaten abgeklopft werden.
Geht es nur um Bildinhalte und Internetadressen?
In dem verbundenen Dokument schreibt der Ratspräsident, man wolle auf die Sorgen einiger Delegationen zur „Cyber-Sicherheit“ eingehen. So wolle man die Cyber- oder Internet-Sicherheit zwar ebenso wie die Datenverschlüsselung schützen (das ist ein wenig Quadratur des Kreises), aber zugleich die „Dienste mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung … im Bereich der Aufspürmaßnahmen“ belassen. Das soll wohl heißen, dass Ende-zu-Ende-verschlüsselte Dienste nun lesbar werden sollen, denn andernfalls könnte man in ihnen wohl nichts aufspüren. Dann aber wieder heißt es auch, dass Anbieter „nicht dazu verpflichtet“ werden sollen, Zugang zu Ende-zu-Ende-verschlüsselten Daten zu schaffen. Die für die Erfassung verwendeten Technologien müssten „hinsichtlich ihrer Wirksamkeit, ihrer Auswirkungen auf die Grundrechte und der Risiken für die Cybersicherheit überprüft werden“.
Was den Kampf gegen Kinderpornographie angeht, will man sich anscheinend auf das „Aufspüren“ (detection) von Bildmaterial und Internetadressen beschränken, wobei die individuellen Ende-zu-Ende-verschlüsselten Daten „geschützt“ werden sollen. Aber niemand weiß wohl noch so genau, was das letztlich für die Chatkontrolle heißt. Und was ist dann mit dem organisierten Verbrechen? Dabei geht es ja nicht nur um Bildinhalte und Web-Adressen. Sicher ist nur: Der Verfolgung beider Kriminalitätsarten wird wohl fast jeder zustimmen. Man kann also viel durchsetzen, indem man behauptet, hier tätig zu werden.
Laut Breyer (Piratenpartei) will „die Ratspräsidentschaft die Chatkontrolle schon kurz nach den Europawahlen und noch im Juni von den EU-Regierungen beschließen lassen“. Frankreich, das Fortschritte in dieser Richtung bisher blockiert habe, sei nun offen für eine „Uploadmoderation“ von Inhalten. Die belgische Ratspräsidentschaft wolle, dass „User von Apps mit Chatfunktion entweder der automatischen Durchleuchtung ihrer privat verschickten Bilder, Fotos und Videos zustimmen müssen oder überhaupt keine Bilder, Videos und URLs mehr verschicken oder empfangen dürfen.