Tichys Einblick
In Lupuscastrum jubilo…!

Volkswagen feiert 50 Jahre Golf und 40 Jahre VW-China

In Wolfsburg feiert man zwei Jubiläen. Grund genug, selbst für kritische Begleiter des Zeitgeschehens über positive Meldungen aus der Wirtschaft, konkret aus der Automobilindustrie und noch konkreter über Volkswagen zu berichten.

picture alliance/dpa | Moritz Frankenberg

Der Ukraine-Krieg fast vor der Haustür, tägliche Berichterstattung und Talkshows in den Medien über politische Krisen, Bedrohungen und Verrohungen, über Klimakrisen, Überschwemmungen, Katastrophen jeglicher Art, verengen das Blickfeld und rücken häufig erfreuliche Ereignisse aus dem Blickfeld. Vor allem dann, wenn sie die Wirtschaft – Quelle allen Wohlstands – betreffen. Nachbars Baum und dessen Zweige im eigenen Garten oder die Pleite des drittgrößten Ferienreise-Konzerns, bei dem man gebucht hat, beanspruchen da mehr Aufmerksamkeit.

Doch diese seltenen, positiven Meldungen gibt es, der Volkswagen-Konzern liefert sie gerade. Er feiert den 50sten Geburtstag seiner Erfolgsmarke Golf und gleichzeitig das 40-jährige Bestehen von VW-China, ebenfalls eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen. Beide Ereignisse sind unique und zeugen von für damalige Verhältnisse weitsichtigen und vor allem mutigen Entscheidungen – gegen den Zeitgeist. Besonders wagemutige Laudatoren versteigen sich sogar zu Vergleichen mit der zurückliegenden Entscheidung der Konzernleitung, den Verbrennerkonzern VW nahtlos in einen Elektroauto-Konzern zu „transformieren“. Naja, dazu später mehr.

Der Golf ist als Verbrenner-Kompaktwagen das erfolgreichste Auto des VW-Konzerns, der meistverkaufte VW aller Zeiten – und eine Ikone. Er löste Anfang der 70er den luftgekühlten Verbrennungsmotor des Käfers ab und startete mit einem wassergekühlten 4-Zylinder-Verbrennungsmotor in eine neue Ära des VW-Konzerns. Grund zum Rückblick, und vor allem zum Ausblick: Wiederholt sich die Revolution von 1974, liegt die Zukunft des Golf in der Batterie statt im Verbrennungsmotor, wie es der heutige VW-Vorstand plant?

Gründungsvater war Rudolf Leiding (1914–2003), der als gelernter Kfz-Mechaniker 1971 den Vorsitz von Volkswagen übernahm und die entscheidenden Weichen für den Nachfolger Golf des inzwischen betagten Käfers stellte. Damals mit völlig neuem Motorkonzept und völlig neuer Karosse eine Revolution – eine Entscheidung gegen heftige Widerstände vor allem der Belegschaft und Teile der Fachpresse, und mit großen Risiken behaftet für das Unternehmen. Denn der VW Käfer war bis dahin das Symbol des deutschen Wirtschaftswunders („… und läuft, und läuft und läuft …“) schlechthin. Die ganze Nation wartete in den 50ern jährlich zu Jahresbeginn sehnsüchtig auf die Meldung, um wie viel Volkswagen die Preise für den Käfer wieder senken würde. Am 29. März 1974 erfolgte die Ablösung des Käfers durch den Golf, zum einen aus Baukostengründen und sicherheitstechnischen Notwendigkeiten heraus, zum anderen durch schrumpfende Nachfrage und wegen hoher Verluste des Konzerns.

Heute, nachdem der Golf seit 2019 in 8. Generation bereits doppelt solange läuft wie der Käfer – schon im Jahr 2003 wurde der Käfer-Produktionsrekord von 21 Millionen eingestellt –, ist der Golf eine Erfolgsstory ohnegleichen. Er wurde rasch ein echter „Volkswagen“, begründete die „Kompakt-“ oder „Golfklasse“. Er wurde für alle kommenden imitierenden Konkurrenzangebote weltweit zum Maß aller Dinge – oft kopiert, aber vom Image her nie erreicht, robust, bieder, wertbeständig.

Seit Baubeginn liefen bei Volkswagen vom Bestseller-Modell Golf bis heute 37 Millionen Einheiten vom Band, davon 20 Millionen im Stammwerk Wolfsburg (Volkswagen feiert 50 Jahre Golf – auch er wird künftig elektrisch | Automobilwoche.de). Und obwohl das Kompakt-SUV-Modell Tiguan dem Golf als jährlich meistverkauftes Modell der Marke Volkswagen global mittlerweile den Rang abgelaufen hat, setzt man in Wolfsburg auch in Zukunft weiter auf das Brot-und-Butter-Auto Golf. Diesmal jedoch mit Elektro- statt mit Verbrennungsmotor. Ob man sich da nicht geirrt hat?

Rein rechnerisch wäre jedenfalls der weltweit aufgelaufene Bestand an Golf-Fahrzeugen im Markt als Wiederkaufspotenzial eine Goldgrube und Absatzgarant erster Güte. Für jeden Autohersteller, es sei denn, die Geschäftsleitung macht gröblichste Strategiefehler in der Antriebs- und Modellpolitik und bringt diese Quelle zum Versiegen.

Der einzigartige Weltmarkt-Bestand an Golf-Alt-Fahrzeugen, der ausschließlich auf den millionenfach bewährten Benzin- und Diesel-Aggregaten des VW Konzerns beruht, sollte eigentlich eine tragende Säule des Wolfsburger Konzerns sein. Von wegen … Es blieb Ex-BMW-Vorstand und Ex-CEO Herbert Diess vorbehalten, während seiner kurzen Dienstzeit bei VW (2018 bis 2022) diese Säule durch ein plakatives öffentlich angekündigtes Aus für alle VW-Verbrennermodelle und -motoren und ersatzlosen Übergang des gesamten Konzerns ins von der Politik erwünschte Elektrozeitalter ab den 2030ern einzureißen. Die Gewerkschaften zogen mit.

So wurden die Weichen strategisch neu gestellt, unter anderem wurden so die VW-Traditionswerke Zwickau und Emden nach Diess’ Vorgaben auf die Produktion von ausschließlich Elektroautos umgerüstet. Herbert Diess musste im Herbst 2022 gehen, sein Nachfolger Oliver Blume behielt die einseitige Elektro-Strategie seines Vorgängers – zumindest für die Öffentlichkeit unverändert – bei. Obwohl man von Blume anderes erwartet hat. Diess’ eifriger Gefolgsmann und Ex-BMW-Vorstand Markus Duesmann, inzwischen ebenfalls Vorstandvorsitzender bei Audi, wollte das Verbrenner-Aus der Wolfsburger Mutter in Ingolstadt sogar auf 2026 vorziehen. Duesmann musste seinen Posten im Herbst 2023 räumen.

Aktuell schwächelt der VW-Elektro-Absatz erheblich, Schichten werden gestrichen, Tausende Mitarbeiter entlassen, Geld wird nur mit dem Verbrenner-Golf und Konsorten verdient. Gleichzeitig droht das Hauptabsatzgebiet China bei E-Autos an den dortigen low-cost Wettbewerb verloren zu gehen. Inzwischen hat im Wolfsburger Olymp Götterdämmerung eingesetzt. Gegen die einseitige Elektrostrategie regt sich Widerstand, allerdings noch verklausuliert, keiner möchte der Königsmörder sein. Nach außen hin verkünden alle Verantwortlichen während des Festakts zum Golf-Jubiläum am 3. Juni in Wolfsburg, dass die Zukunft des Golf elektrisch sei. „Der Golf muss bleiben“, sagte Thomas Schäfer, CEO von Volkswagen Pkw, die Antriebsart ließ er listig offen. „Eine solch etablierte Marke kann man nicht einfach aufgeben.“ Die typische DNA müsse aber auch jede zukünftige Golf-Generation verkörpern. (Volkswagen feiert 50 Jahre Golf – auch er wird künftig elektrisch | Automobilwoche.de)

Auch die immer streitlustige Konzernbetriebsrats-Chefin Daniela Cavallo (Betriebsversammlung bei VW: „Können auch Konflikt, wenn es sein muss“ | Automobilwoche.de) betonte während des Festakts die Relevanz des Golf für Marke und Werk. „Wolfsburg ohne den Golf funktioniert überhaupt nicht …Ich hoffe, dass wir mit dem dann elektrischen Golf weiter eine Erfolgsgeschichte schreiben können.“ Eine Festlegung wagte auch sie nicht. Cavallo zog Parallelen zur heutigen Transformation zu Elektromobilität und dem Übergang vom Käfer zum Golf vor fünf Jahrzehnten: Auch damals habe es in der Belegschaft Zweifel gegeben, ob der neue Kompakte an den Erfolg des Käfers anknüpfen könne. Eine ähnliche Mischung aus Ängsten und der Hoffnung auf Erfolg bestehe auch heute, so Cavallo.

Womit Cavallo nicht unrecht hat. Dennoch ist die Parallele zu damals falsch. Der Unterschied zur damaligen Ablösung des Käfers durch den Golf gegenüber der heutigen brachialen Ablösung des Verbrenners durch Elektro-Modelle ist grundsätzlich. Der damalige Wechsel vom Käfer zum Golf war eine VW-interne Veranstaltung, war der Ersatz des einen Antriebs- und Karossen/Fahrzeugkonstruktion-Konzepts durch ein anderes, der Verbrenner als Nukleus des Systems blieb. Und: Der Wechsel ging vom Markt aus. Diesmal findet jedoch ein kompletter Antriebssystem-Wechsel statt. Auf Wunsch der Politik, nicht der Kunden, also gegen den Markt.

Dieser Wechsel ist ein fundamentaler Unterschied. Umso dezenter und zurückhaltender hätte er in die Wege geleitet werden müssen, wollte man die Risiken beherrschen. Denn heute ist viel Überzeugungsarbeit für die neue Antriebsart zu leisten, da das Produkt Elektromobilität für den Kunden erfahrbare Nutzungsnachteile aufweist.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil, als Vertreter des Landes auch Aufsichtsrats-Mitglied des Volkswagen-Konzerns, hielt sich auf der Feierstunde politisch erwartungsgemäß bezüglich der Golf-Zukunft bedeckt und verweilte lieber in der glorreichen Vergangenheit als in der Zukunft. Er betonte auf dem Festakt zwar ebenfalls die Relevanz des Golf als „ein Auto für die Mitte der Gesellschaft“. Offenbar sind Rechte und Linke als Golf-Käufer demnach unerwünscht! Die Golf-Zukunft sei jedoch nicht immer sicher gewesen, so Weil in Anspielung auf die sogar zeitweise ungewisse Fortführung der Marke Golf unter Oliver Blumes Vorgänger Herbert Diess. „Ich bin Oliver Blume und seinem Team sehr dankbar, dass diese Diskussion mit dem richtigen Ergebnis beendet wurde“ (Volkswagen feiert 50 Jahre Golf – auch er wird künftig elektrisch | Automobilwoche.de).

Dazu sei angemerkt: Ministerpräsident Weil hat mit dieser Aussage einen wertvollen Hinweis zur Verbesserung der politischen Debattenkultur in Deutschland gegeben, gerade auch für kritische Medien. Statt immer nur politische Fehlentscheidungen zu kritisieren, sollte man mehr nicht getätigte politische Fehlentscheidungen loben.

Sicher ist das Überleben der inzwischen achten Golf Generation nicht, der Diesel-Skandal und der vor allem Konkurrenten mit imitierten Konzepten machen der VW-Kernmarke natürlich zu schaffen. Golf VIII soll nach langer zehnjähriger Laufzeit Anfang der 2030er-Jahre durch einen neuen Elektro-Golf endgültig abgelöst werden. Der nächste, dann vollelektrische Golf soll auf der SSP-Plattform stehen, auf die Volkswagen voraussichtlich 2028 erstmals ein elektrisches Serienmodell stellten wird. In der heute schnelllebigen KI-Zeit und der zunehmenden Anzahl vor allem chinesischer Wettbewerber kurz vor dem Markteintritt, ist das ein langer Produktlebenszyklus für den aktuellen Golf VIII. Ob das aber alles so kommt, wie von der obersten VW-Unternehmensführung geplant, ist fraglich.

In weltweit 13 verschiedenen Produktionsstätten wurde der Golf bereits schon mal produziert. Heute läuft er in Vollmontage ausschließlich in Wolfsburg vom Band, dort braucht Volkswagen in der berühmten Halle 9 nur noch 20 Stunden, um einen Golf fertig auf die Räder zu stellen. Produziert wird der „Goldene Veteran“ über die gesamte Fertigungskette vom Presswerk bis hin zur Endmontage. Rund 1500 Golf pro Tag kann Wolfsburg aktuell im Zweischichtbetrieb auf zwei Montagelinien produzieren – 750 Einheiten je Linie. Aktuell sind es laut Automobilwoche täglich allerdings nur etwa 1200 Stück.

Das, so Volkswagen, liege aber nicht an mangelnder Nachfrage. Vielmehr seien es die Zulieferer, die nicht genügend Teile für die volle Produktionskapazität liefern könnten, so der Tenor aus Wolfsburg laut Automobilwoche. Was aber für Branchen-Insider nichts anderes heißt als Fehlplanungen im VW Einkaufsressort, die wiederum eine gnadenlose Folge der strategischen Antriebs-Fehlentscheidungen im Vorstand sind. Mit anderen Worten, man hat in der VW-Konzernzentrale die Nachfrage nach E-Autos ebenso maßlos überschätzt, wie man die Nachfrage nach Verbrennern unterschätzt hat.

Und die Zulieferer müssen jetzt für die Fehlplanungen im VW-Einkaufsressort den Kopf hinhalten.
Ungeachtet der aktuellen Renaissance des Golf geht der Markttrend in eine andere Richtung, verändert sich die Beliebtheit der Kompakt-Fahrzeuge zugunsten der geräumigeren, für den Transport geeigneteren, aber dennoch kompakten Karossen: Der Trend geht weltweit zum SUV. Weltweit verkauft VW mittlerweile mehr Einheiten seines SUVs Tiguan als vom Golf. Den Tiguan baut Volkswagen in Wolfsburg derzeit auf zwei Montagelinien, von denen jede im Dreischichtbetrieb Potenzial für 700 Autos pro Tag bietet. Im Einschichtbetrieb werden allerdings gegenwärtig nur 230 Einheiten pro Tag produziert.

Auf der vierten Wolfsburger Fertigungs-Linie entsteht der SUV zusammen mit dem Touran. Im Dreischichtbetrieb beträgt dessen Kapazität hier 1050 Einheiten am Tag, produziert werden aktuell laut Automobilwoche etwa 1020. Für das vierte Quartal 2024 ist außerdem der Produktionsstart des Tayron mit bis zu sieben Sitzen geplant. Das SUV platziert sich als Nachfolger des Tiguan Allspace zwischen Tiguan und Touareg (Volkswagen feiert 50 Jahre Golf – auch er wird künftig elektrisch | Automobilwoche.de). Alle diese Modelle sind weiterhin mit Verbrennungsmotoren bestückt.

Neben dem Jubiläum. „50 Jahre Golf“, feierte der VW Konzern vor wenigen Wochen auch das Jubiläum „40 Jahre VW-China“. Auf Initiative des aus heutiger Sicht legendären VW-Vorstandsvorsitzenden Carl Hahn (1982-1993) wurde Volkswagen der Geburtshelfer der chinesischen Autoindustrie. Am 10. Oktober 1984 wurde die SAIC Volkswagen Automotive Co., Ltd., früher Shanghai Volkswagen Automotive Co., Ltd in Anting, Shanghai, als eigenständiges Unternehmen von SAIC Motor mit Junior-Partner Volkswagen gegründet. 1988 entwickelte sich das Unternehmen dann zu einem offiziellen Joint Venture mit den beiden Firmen Volkswagen AG und Volkswagen (China) Investment. Das Unternehmen stellt Fahrzeuge der Marken Volkswagen und Škoda her.

In der Wolfsburger Konzernzentrale beurteilt man das VW Engagement in China für die Zukunft natürlich positiv. In Kurzfassung liest sich die China Erfolgsstory von VW wie folgt: 40 Jahre, 39 Werke und rund 50 Millionen Kunden – Volkswagen hat ein starkes Fundament in China. Dazu im Einzelnen:

So viel zum Überblick. In den vergangenen vier Jahrzehnten war der Volkswagen-Konzern im kommunistischen China als westliches Autounternehmen zusammen mit seinen langjährigen chinesischen Partnern SAIC und FAW also Pionier. Mit Santana und Jetta wurde Millionen Kunden der Einstieg in die individuelle Mobilität ermöglicht. Später kamen die ersten China-spezifischen Modelle wie Lavida und Sagitar hinzu, die zu Millionen-Sellern wurden und heute noch als Verbrenner großen Erfolg im Markt haben. 2017 wurde die Elektrifizierungsstrategie in China gestartet. Starke Partnerschaften verbinden den Volkswagen Konzern mit den chinesischen High-Tech-Firmen Horizon Robotics (autonome Fahrfunktionen), Thundersoft (Infotainment) und ARK (User Experience). 90.000 Beschäftigte arbeiten für den Konzern in China. Das macht Volkswagen zum größten europäischen Arbeitgeber in China.

Aufs Ganze betrachtet kann man zu Recht behaupten: Volkswagen hat in Wolfsburg wie in China Automobilgeschichte geschrieben, in der Alten Welt wie in Asien, zeitweise auch in den USA. Ob sich das in 2074 zum 100-jährigen Jubiläum für die nächsten 50 Jahre auch noch sagen lässt, ist nicht sicher.

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