Irgendwann wünschten sich diejenigen, die am liebsten über Bildschirm und Tastatur kommunizieren, wenigstens einmal im Jahr auch einen anderen Menschen zu sehen – so entstand die re:publica, eine Konferenz, wo Menschen viele Worte und wenig Kluges über Medien, Kultur, Politik und Technologie äußern, am liebsten darüber, wovon sie am wenigsten verstehen. re:publica ist im Grunde das Treffen von Menschen, die sich in ihrer postmodernen Welt nicht stören lassen wollen und inzwischen gern ihr schöner Leiden am Klimawandel zelebrieren. Das dürfen sie übrigens gern tun, denn andernorts setzen sich Leute auf ein Nagelbrett und finden das, wie man in Berlin sagt, schlau.
Allerdings – und da beginnt das Problem – fließen in diese Veranstaltungen öffentliche Gelder. Jeder kann machen, was er will, meinen zwar nicht Carolin Emcke und Claudia Kemfert, aber ich würde es weiterhin mit diesem Grundsatz Friedrichs des Großen halten, der bekanntlich gesagt hat, dass jeder nach seiner Fasson selig werden soll.
Nicht so sehen es allerdings Carolin Emcke und Claudia Kemfert auf dem von uns allen mitfinanzierten Event von re:publica, für die Dialog, Diskussion und Meinungsstreit Teufelszeug zu sein scheint. Unter großem Beifall verkündete Emcke, bei der man, wenn man ihr zuhört, in große Sorge gerät, dass sie sich beim Reden das Zungenbein bricht oder die Wirbelsäule verrenkt:
„Ich würde wirklich dazu aufrufen, dass niemand, der eingeladen wird, in einer Rahmung, die Pro und Kontra heißt, teilzunehmen, ich würde wirklich inständig darum bitten, das ist einfach, es muss, es muss aufhören, wir müssen aufhören, diese Rahmung zu bedienen, ja, es wird uns beständig vorgemacht, es gäbe zu allen Fragen gleichermaßen wertige, gleichermaßen vernünftige einander widersprechende Positionen – das ist mit Verlaub einfach Bullshit.“
Es gibt nur eine Meinung – und die vertritt Carolin Emcke, wer wagt da schon zu widersprechen, wenn schon das Publikum auf der re:publica dazu begeistert wie ein Duracell-Hase klatscht. Es ist wirklich ganz und gar nicht re:publikanisch, eine andere Meinung zu haben. Es ist schlicht verantwortungslos und Verantwortung, vor allem die von Emcke zugewiesene, ist wichtiger als Freiheit. Glücklicherweise erleuchtet Carolin Emcke die Anwesenden weiter über die Schädlichkeit anderer Meinungen:
„Nein wir müssen es abschaffen, es führt genau zu dem, was dann anschließend als Spaltung der Gesellschaft thematisiert wird und wiederum von denselben Talkshows thematisiert wird, die vorher es kreiert haben. Also jeder, der eingeladen wird, wirklich, jeder, der dazu eingeladen wird, übrigens auch noch aus einem anderen Grund, ja, weil in dem Moment, in dem Frau Kemfert eingeladen wird pro oder contra zu ganz egal welcher Frage sich zu äußern, wird sie anfangen, nicht nur darüber nachzudenken, was sie eigentlich denkt zu einer bestimmten Frage. Sie wird nicht nur einfach erörtern und darin möglicherweise auch Selbstzweifel, Ambivalenzen, Unsicherheiten mitthematisieren, sondern sie wird die ganze Zeit nur gegen die andere Position arbeiten. Es ist auch ’ne Form von Selbstverdummung.“
Gespräch ist Dummheit, andere Meinungen sind schädlich, Disput ist Selbstverdummung, denn „Unwissenheit ist Stärke“, wie der gute Orwell schon wusste. Halten wir kurz fest das sokratische Prinzip, das Gespräch, der Dialog ist Volksverdummung, und logischerweise, wenn man selbst denkt, kommt noch Selbstverdummung hinzu.
Emcke weiter: „Wenn wir in diesem Pro und Contra Format uns vereindeutigen müssen, wo Dinge komplizierter sind. Also bitte lesen sie den Kram nicht, gehen Sie bitte nicht in Formate, lassen Sie sich nicht einladen zu diesen Formaten … es ist wirklich eine systematische Zerstörung von vernünftigem, rationalem, differenziertem Diskurs … Man muss es abschaffen.“ Klar, abschaffen! Gespräch ist kein Dialog, die Diskussion keine rationale Methode und „Unwissenheit ist Stärke“.
Was Carolin Emcke unter Diskurs versteht, bleibt ihr Geheimnis, allerdings leitet sich der Begriff aus dem Lateinischen her und bedeutet Umherlaufen und eben ein hin und her gehendes Gespräch. Mit anderen Worten existiert dort kein Diskurs, wo es kein Pro und kein Contra gibt. Die erste Operation des Denkens besteht darin, Unterschiede wahrzunehmen. Es ist dem Menschen eigen, dass er sich austauscht, dass er streitet, dass er in den Wettbewerb tritt. Die Abneigung gegen den Diskurs, gegen das dialogische Prinzip, gegen den offenen Streit, kennen nur Diktaturen, nicht aber freie Gesellschaften. Emcke plädiert dafür, den Streit der Meinungen und Ideen abzuschaffen, sie plädiert dafür, dass die Menschen nicht mehr lesen, sich nicht mehr eine eigene Meinung bilden sollen, sie argumentiert gegen die Aufklärung, gegen die Freiheit und für den Obskurantismus, für das Dunkelmänner, Dunkelfrauen- und Dunkeldiversentum, in vulgo für die Diktatur – und wenn es auch nur die Diktatur ihrer Anschauungen ist.
Immanuel Kant hingegen schreibt: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“
Emcke sagt: „Aber bitte lesen sie den Kram nicht, gehen Sie bitte nicht in die Formate …“. Immanuel Kant widerspricht: „Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen.“ Emcke sagt: „… lesen Sie den Kram nicht, gehen Sie bitte nicht in die Formate … Man muss es abschaffen.“ Was muss man abschaffen, wer muss, was abschaffen, und wer wählt aus, was abgeschafft wird? Wird so aus der re:publica die ty:rannis?
Emcke behauptet: „…es wird uns beständig vorgemacht, es gäbe zu allen Fragen gleichermaßen wertige, gleichermaßen vernünftige einander widersprechende Positionen – das ist mit Verlaub Bullshit.“ Zu Emckes, zu Kemferts Vorstellung darf es keinen Widerspruch geben, dürfen keine anderen Meinungen existieren.
Ach, aber so neu ist das alles gar nicht, wir kennen den Totalitarismus aus ideologisch definierten Diktaturen, wir kennen diesen Totalitarismus, in dem das Argument durch den Glauben, die Freiheit durch die Haltung, die Wissenschaft durch die Doktrin ersetzt wird. Emcke echauffiert sich über die „wahnwitzigen Diffamierungskampagnen gegen die Letzte Generation“ und meint damit sicher den Chef des Bundesverfassungsschutzes Thomas Haldenwang, der tatsächlich Ende November 2022 die Letzte Generation mit den Worten tadelte, dass die Letzte Generation eigentlich zur Regierung gesagt habe: „He, Regierung, ihr habt so lange geschlafen, ihr müsst jetzt endlich mal was tun.“ Und weiter: „Also, anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“
Es lohnt eigentlich nicht, über den neuen Irrationalismus zu reden, über den Verrat an der Aufklärung, der sich auf diesen Veranstaltungen und in bestimmten Kreisen breitmacht, die Lust am Zwang, am Verteufeln, an der Auflösung der Diskussion, des Pro und Contra, der Einforderung eines plumpen Gehorsams, der Verordnung einer totalitären Doktrin. Denn es existieren ja keine „zu allen Fragen gleichermaßen wertige, gleichermaßen vernünftige einander widersprechende Positionen“. Wer bestimmt, welches die vernünftigen und welches die unvernünftigen Positionen sind. Carolin Emcke? Claudia Kemfert? Die Veranstalter der re:publica?
Doch um die richtigen oder zumindest eine Zeitlang richtigen Antworten herauszufinden, hat die europäische Kultur ein Wissensprinzip gefunden, ein Prinzip zur Generierung und Prüfung von Wissen, das dialogische Prinzip, das Pro und Contra, Thesis und Antithesis, Verifikation und Falsifikation, Überprüfbarkeit im Experiment oder an Evidenzen, es ist an der Wirklichkeit ausgerichtet und eben nicht wie für Kemfert und Emcke und andere auf der „re:publik 24“ am Glauben an ideologischen Lehrsätze, an Dogmen. Kemfert behauptet, dass sich die Wissenschaft, und meint damit die mit sich selbst identische Kemfert-Wissenschaft, einig ist in der Frage des Klimawandels.
Kemfert behauptet, dass es zum Klimawandel keine Gegenposition gäbe – und schreitet, weil es sie offenbar doch gibt, zur billigsten, aller billigen Verleumdungen, dass diejenigen, die gegen die Kemfert-Wissenschaft auftreten, bezahlt seien. Schön zu hören, dass Claudia Kemfert an dem zum großen Teil von der öffentlichen Hand finanzierte DIW ehrenamtlich tätig ist. Wie viel bringt denn das „Ehrenamt“ im Monat ein? Dass andere wissenschaftliche Ansätze, Forschungen und Thesen in den Medien – selten genug – zuweilen dann doch „durchkommen“, ärgert Kemfert und sie hat auch allen Grund, sich über das Grundprinzip der Wissenschaft, nämlich Zweifel, zu erregen, sich darüber zu erregen, dass „Zweifel gesät“ werden, denn selbst der SPIEGEL schreibt über Kemfert: „Mir scheint, Claudia Kemfert ist nicht nur die bekannteste Energieexpertin Deutschlands, sondern auch die mit den meisten Fehlprognosen.“
Mit von der öffentlich geförderten re:publica-Sause in diesem Jahr waren Geistesriesen wie Luisa M. Neubauer, Maja Göpel, Harald Lesch, also all jene, die seit Jahren das probate Erfolgsrezept verfolgen, ihren Zuhörern zwar nichts Neues zu erzählen, das aber mit wachsender Überzeugung. Verlässlichkeit ist schließlich auch ein Wert. Und man geht ja auch nicht zur re:publica, um etwas Neues zu erfahren, man geht dorthin, um sich dort zu zeigen und bestätigt zu werden in seinen urban legends.
Und ist es nicht ein schaurig-schönes Gruseln, das den Klimaverschreckten überkommt, wenn Claudia Kemfert über den armen verkannten Christian Drosten berichtet, um den größten Feind ihrer Wissenschaft, den Streit, zu verdammen: „Auch die Virologen sind wirklich entsetzt, auch in der Zeit, wo ja Corona lief, wie die Medien damit umgegangen sind, dass es immer dieses Pro und Contra überall gab und ein Christian Drosten dann da sitzt und sagt, was passiert hier mit mir, was ist denn da los und mich auch mal gefragt hat, so nach dem Motto bei den Klimawissenschaftlern ist es ja schon immer so, also und er das nicht kannte, dass er plötzlich angezweifelt wird in seiner Kompetenz, ja der weltweit führende Forscher, Virologe, den wir weltweit haben, wird dann irgendwie in den Medien angezweifelt usw. Der kannte das alles nicht. Ist alles total absurd.“
So etwas geht natürlich in der Drosten-Kemfert-Ehmke-Welt nicht, deshalb zog der heilige Drosten der Masken und Einsperrungen den Schluss daraus, wie er auf dem World Health Summit Congress in Berlin im Oktober 2023 der dankbaren Welt verkündete: „Wir sollten niemanden mit irgendeinem akademischen Grad haben, der inmitten der Pandemie über das Thema redet. Wir müssen die wissenschaftlichen Institutionen auffordern, eine Selektion unter Wissenschaftlern vorzunehmen, die wirklich Experten sind.“