Wenn die Politik die Zeitenwende verkündet, kann die Autoindustrie als mit der wichtigste Industriezweig auf dem Globus natürlich nicht nachstehen. Gegenwärtig legt sie sich mächtig ins Zeug. Fast täglich kommen Meldungen über neue Allianzen oder geplatzte Kooperationen, über Rekordgewinne, Pleiten, Pech und Pannen.
Am 31. Mai war wieder so ein Tag. Da platzte mitten in die Diskussion um mögliche EU-Strafzölle gegen subventionierte chinesische Elektroautos die überraschende Meldung über die Gründung eines neuen Verbrenner-Konzerns als Joint-Venture des französischen Autobauers Renault und des chinesischen Multi-Automarken-Konzerns Geely: „Horse Powertrain – Renault und Geely gründen Verbrenner-Konzern“.
- Renault als europäische Traditionsmarke ist bekannt, sein italienischer CEO Luca De Meo ebenso. Wenn auch nicht durch spektakuläre Produktinnovationen, so doch durch den Ende März veröffentlichten „Brief an Europa“, in dem er von der Politik – passend vor der Europa-Wahl – für die Autoindustrie eine europäische Industriepolitik nach Vorbild des Airbus Konsortiums forderte, einen „Airbus der Automobilindustrie“.
- Der chinesische Autokonzern Geely (auf Deutsch: „Glück“) wurde erst 1986 von Li Shufu gegründet, baute zunächst Kühlschränke, danach Autos. Nach raketenhaftem Wachstum ist der chinesische Autohersteller heute unter anderem die Muttergesellschaft von Volvo, Lotus, Proton, Polestar, Lynk&Co, Zeekr, London Taxi, Maple, Smart, Radar, Geoem und Geometry.
Zudem ist Li Shufu wie auch die staatliche Beijing Automotive Group (BAIC) jeweils mit rund zehn Prozent am Daimler-Konzern beteiligt. In Kooperation mit Geely lässt Daimler den Smart ab Mitte 2024 nur noch als E-Auto bei seinem Großaktionär Geely in China bauen: zu haben mit einem 49-kW-Akku, einer Reichweite von maximal 160 Kilometer, zum Startpreis von 37.490 Euro.
Zunächst versuchte De Meo, sein Kooperationsglück auf europäischer Ebene mit dem VW-Konzern umzusetzen (Hinweis: andere Partner – außer direktem Wettbewerber Stellantis – gibt es für Massenhersteller in Europa nicht mehr). Vergeblich, die Gespräche scheiterten. Und nun also die Meldung in der Automobilwoche, dass Renault und Geely zum 31. Mai 2024 den Verbrenner-Konzern „Horse Powertrain Limited“ gründen.
Der Name Horse Powertrain ist Programm. Das französisch-chinesische Joint Venture scheint völlig aus der „Elektro-Zeit“ gefallen und will mit dem Bau von Verbrennungsmotoren und Hybrid-Antrieben Weltmarktführer werden. Heute baut das Gemeinschaftsunternehmen weltweit bereits rund fünf Millionen Antriebsstränge für Verbrenner-Fahrzeuge und Hybrid-Fahrzeuge. Auch das bisherige, ehemals Volvo gehörende, Aurobay-Motorenwerk im schwedischen Skövde gehört nun dazu. Aurobay produziert bereits seit der Übernahme von Volvo 2021 Motoren und Getriebe für die Geely-Tochtermarken Volvo, Polestar, Lynk & Co sowie Proton. Ab März 2023 kamen die Aurobay-Antriebe auch in Modellen von Renault, Dacia und Co. zum Einsatz, nachdem Renault von Geely einen 50 vH-Anteil erworben hatte.
Das französich-chinesische 50:50-Joint Venture ist nicht im eigentlichen Sinne neu, sondern besteht aus der Zusammenführung der Verbrennersparte von Renault, die unter der Bezeichnung „Horse“ vom Elektrogeschäft Ampere der französischen Gruppe abgetrennt worden war, sowie der Verbrenner-Sparte von Geely, die sich zuletzt als „Aurobay“ aufgestellt hatte
In der Welt-Autoindustrie entsteht mit „Horse Powertrain“, kurz Horse genannt, ein neuer Auto-Gigant zur Entwicklung und zum Bau von Verbrennungsmotoren, Hybrid-Antrieben und den dafür erforderlichen Getrieben. Das Unternehmen verfügt über 19.000 Mitarbeiter, 17 Werke und fünf Entwicklungszentren weltweit. Diese Werke stehen in China, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden, Türkei, Großbritannien, Argentinien und Brasilien.
Horse soll nach dem Willen der Gründungsväter bereits im ersten vollen Kalenderjahr seines Bestehens einen Jahresumsatz von 15 Milliarden Euro erzielen und rund fünf Millionen Antriebsstränge für Verbrenner- und Hybridfahrzeuge bauen, gut 6 vH der heutigen globalen Autoproduktion. Das Unternehmen verfüge vom ersten Tag an über ein vollständiges Portfolio von Verbrennungsmotoren, elektrischer Hybrid-Technik und den für die Hybrid-Antriebe notwendigen Batterien. Das Unternehmen will nicht nur alle Marken von Renault und Geely beliefern, sondern auch weitere Hersteller. Nissan und Mitsubishi gehören zu den ersten Kunden.
Renault-Chef De Meo strebt mit „Horse“ eine weltweite Führungsposition an. Mit Horse Powertrain könne die Renault-Gruppe in einem Sektor, der mehr als 80 Prozent ihres Geschäfts ausmache, eine „weltweite Führungsposition einnehmen und sich vergrößern“.
Wichtiger noch für die Zukunft der Branche ist sein Bekenntnis zum Verbrenner. Für De Meo ist die Partnerschaft mit einem führenden Unternehmen wie Geely Voraussetzung, um mit einem Partner, der über die Fähigkeit und das Know-how verfügt, extrem emissionsarme Verbrennungsmotoren und hocheffiziente Hybridtechnologien zu entwickeln. Das sei „der Schlüssel für die Zukunft“. Eine Kombination verschiedener Antriebstechnologien sei nötig, um bei der Dekarbonisierung in einer Welt voranzukommen, in der 2040 wohl immer noch die Hälfte der verkauften Fahrzeuge Verbrenner-Autos seien.
Der Geely-Vorsitzende Eric Li erklärte: „Horse Powertrain Limited wird über das Portfolio, die Größe und die Kapazitäten verfügen, um die emissionsarmen Lösungen anzubieten, die die Automobilindustrie von morgen benötigt. Der heutige Start markiert ein neues Kapitel in der nachhaltigen Mobilität, und wir bei Geely sind stolz darauf, einen Beitrag dazu zu leisten.“
Damit ist die Kooperation zwischen Renault und Geely aber noch nicht zu Ende. Renault will zusammen mit Geely auch einen Elektro-Twingo bauen – mit Hilfe der Chinesen.
Nachdem die Kooperation mit Volkswagen gescheitert ist, plant Renault als Einstiegsmodell die Elektrovariante seines erfolgreichen Kleinwagens Twingo nun mit Geely auf den Markt bringen. Renaults E-Auto-Sparte Ampere gab an, die Projektführung und den größeren Anteil an Entwicklung und Design zu tragen. Im Jahr 2026 soll der Renault Elektro-Twingo auf den Markt kommen; Partner Geely helfe dabei, schneller und günstiger zu werden, sagte ein Ampere-Sprecher, die Entwicklung des E-Twingo komme rasch voran. Für rund 20.000 Euro soll der E-Twingo dann zu haben sein.
Das Ganze hat eine Vorgeschichte. Zunächst hatte De Meo – folgend seiner Airbus-Doktrin – mit Volkswagen verhandelt, um in einem Joint Venture gemeinsam ein Elektroauto im Einstiegssegment zu entwickeln. VW hatte sich jedoch zurückgezogen und wollte ein billiges Elektroauto in Eigenregie bauen. Als ID.1 soll das Volkswagen E-Auto allerdings erst 2027 auf den Markt kommen und – genau wie der E-Twingo – etwa 20.000 Euro kosten.
Ein sehr anspruchsvolles Ziel für beide Konzerne, denn Allianz Trade hat für 2022 einen Preisvorteil von durchschnittlich gut 20.000 Euro für chinesische E-Autos gegenüber den europäischen errechnet. Der Grund für diese Kostendifferenz ist altbekannt: lokal verfügbare preiswerte Rohstoffe und Vorprodukte, vor allem Batterien, sowie Skaleneffekte. So lassen sich gerade bei Elektroautos, wo allein die Speicher-Batterien etwa ein Drittel der Produktionskosten ausmachen, die Kosten deutlich senken – liegen aber immer noch teilweise um ca. 50 Prozent über denen vergleichbarer Verbrennerautos.