Tichys Einblick
Deutschland im Mai 2024

Ein Land in zunehmendem Ausnahmezustand

Die Präsidentin der TU Berlin Geraldine Rauch hat Likes auf antisemitische Tweets inzwischen gelöscht, sich ein bisschen entschuldigt – nur um nahtlos und ohne Konsequenzen zur Tagesordnung überzugehen. Antisemiten blockieren und beschmieren Universitäten, auf den Straßen Berlins wird unverhohlen zur Vernichtung von Menschen aufgerufen – ebenfalls ohne Konsequenzen. Derweil jagen Politik und Medien die grölenden „Rich Kids“ von Sylt wie Schwerkriminelle.

Geraldine Rauch, Präsidentin der TU-Berlin

picture alliance/dpa | Christoph Soeder

Am Montag berief die Präsidentin der Technischen Universität Berlin, Geraldine Rauch, den Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität, Uffa Jensen, zum Antisemitismusbeauftragten der TU. Der Zentralrat der Juden kommentiert die Personalie als „große Enttäuschung“, wörtlich dazu:

„Die Benennung von Prof. Uffa Jensen als Antisemitismusbeauftragter der Technischen Universität Berlin ist eine große Enttäuschung. Prof. Jensen hat in der Vergangenheit nicht bewiesen, dass er die Situation von Jüdinnen und Juden versteht, er ist ein Gegner der IHRA Definition für Antisemitismus, die von der Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland aber auch weltweit befürwortet wird und von nahezu allen demokratischen Staaten in der Welt, inklusive der Bundesregierung, verabschiedet wurde. In der dramatischen Situation nach dem 7. Oktober 2023 hat es Prof. Jensen nicht geschafft, glaubwürdig die Gefahren des muslimisch geprägten Antisemitismus zu benennen. Schon zuvor ist er mit Relativierungen aufgefallen, unter anderem in Bezug auf BDS oder die Hamas-Parole ‚From the River to the Sea‘. Die Benennung durch die TU-Präsidentin und ihr Statement grenzen an Ignoranz gegenüber den jüdischen Studenten und Studentinnen. Wir hätten mehr Empathie und Fingerspitzengefühl bei der Auswahl einer Person für diese wichtige Position erwartet. Hiermit wird Linksextremen und Hamas-Sympathisanten der rote Teppich ausgerollt.“

Die Arbeitsdefinition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance) lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“ Dagegen steht die fragwürdige Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, mit der sich auch die antisemitische Israel-Boykott-Bewegung BDS verteidigen lässt. Die FAZ schreibt: „Stolz ist Jensen auf die Mitarbeit des Zentrums an der Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die er als Alternative zur Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) bewirbt.“

Während die Tür des Büros des Mitarbeiters des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Humboldt-Universität, der sich mit muslimischem Antisemitismus beschäftigt, während der Besetzung des Instituts übel zugerichtet wurde, macht Jensens Zentrum „um den israelbezogenen Antisemitismus und den islamischen Antisemitismus … für gewöhnlich einen weiten Bogen. Das ist erstaunlich, denn an der Virulenz des islamisch geprägten Antisemitismus gibt es innerhalb der Antisemitismusforschung keinen Zweifel“, schreibt der gutinformierte Thomas Thiel in der FAZ. Doch für Jensen drohe Gefahr immer nur von rechts.

In einer Redewendung heißt es: „Wie der Herr, so das Gescher“, es existiert eine ähnliche, in der es um den Kopf des Fisches und den Fisch geht. Einen Tag nach der Ernennung von Jensen wurde bekannt, dass seine Präsidentin, Geraldine Rauch, die Nancy Faeser in ihrem Kampf gegen Rechts noch zu überholen trachtet, ein deutlich antisemitisches Bild von Benjamin Netanyahu mit einem „Gefällt mir“ likte. Der Post, der Rauch so ausnehmend gut gefiel, könnte auch als Bebilderung des Slogans „Kindermörder Israel“ dienen, der gestern auf Berliner Straßen verbreitet wurde. Circa 1400 Menschen zogen vom Oranienplatz zum Hermannplatz.

Aus den Reihen der Demonstranten erschollen so liebevolle, den Respekt für das Land, das viele der Demonstranten aufgenommen hatte, dokumentierende, Dankbarkeit, Toleranz und Achtung vor Demokratie und Freiheit ausdrückende Parolen wie „Kindermörder Israel“ oder „From the river to the sea“, also die Auslöschung Israels oder den Aufruf zum Terror: „there’s only one solution-intifada revolution“, oder wurden Schilder mit der Aufschrift „Berlin shall burn“ (Berlin soll brennen) und „Fuck you Germany“ (Fick dich, Deutschland) mitgeführt.

Laut SPIEGEL soll Rauch außerdem Beiträge auf X mit ‚Gefällt mir‘ markiert haben, in denen unter anderem der Krieg in Gaza als Völkermord oder Israel als Kriegsverbrecher bezeichnet wird. Geraldine Rauch hat den Tweet inzwischen gelöscht, sich etwas Asche aufs Haupt gestreut, sich ein bisschen entschuldigt, um in unakademischer, politisch aktivistischer Weise weiterzumachen.

Wie Hohn klingt es, wie eine billige Instrumentalisierung, wenn Rauch verspricht, in den Austausch mit Antisemitismusforschern und jüdischen Menschen zu gehen. Für dieses Vorhaben steht der Präsidentin Uffa Jensen gern zur Verfügung. Zwar kam Jensen nicht umhin, den Tweet als „eindeutig antisemitisch“ einzuordnen, doch was soll’s, sie hat sich schließlich dafür entschuldigt und die anderen beiden Tweets, über Israel als „Kriegsverbrecher“ und über den Völkermord im Gaza, denen Rauch zugestimmt hat, findet Rauchs Antisemitismusbeauftragter Jensen schließlich „aus wissenschaftlicher Sicht nicht per se antisemitisch“ – und verweist – worauf wohl? – auf die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus.

Während Rauch für diese Entgleisungen keine Konsequenzen drohen, erteilt die Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaft einer Studentin Hausverbot, „das sich auch auf die Teilnahme von Lehrveranstaltungen erstreckt“. Weiter heißt es im Post der Hochschule: „Auf Grundlage des Hamburgischen Hochschulgesetzes wird aktuell geprüft, ob ein Exmatrikulationsverfahren eingeleitet werden kann.“ Hatte die Studentin antisemitische Posts geliked und retweetet oder mit der Berufung der Position des Antisemitismusbeauftragten an der Universität den „Linksextremen und Hamas-Sympathisanten den roten Teppich ausgerollt“, wie der Zentralrat der Juden bemängelt? Nein. Die Studentin hatte nichts weiter verbrochen, als ein geschmackloses Lied auf einer Party mitzusingen.

Die Studentin wird mit Exmatrikulation bedroht, die Präsidentin bleibt im Amt – Ampel-Deutschland im Mai 2024. Man muss das verstehen, schließlich habe die Präsidentin nicht erkannt, dass das Bild antisemitisch war, während die Studentin der volksverhetzende Charakter der Liedzeile gleich zu einem Anruf bei der örtlichen Antifa hätte treiben müssen.

Während am Montag Clan-Mitglieder mit schweren SUVs und Pick-up-Trucks Berliner Straßen blockierten, um die Abschiebung eines libanesischen Clanchefs zu verhindern, konnte am Freitag zuvor gottseidank in Magdeburg die Demokratie gerettet werden, denn wie heißt es im Polizeibericht: „… Ein Zeuge stand gegen 20:15 Uhr am Magdeburger Dom, als ein PKW mit lauter Musik an ihm vorbeifuhr. Aus der geöffneten Scheibe der Beifahrertür konnte man dabei gut wahrnehmbar laute Musik hören, wo unter anderem zu einem Lied von Gigi D’Agostino ‚Deutschland den Deutschen, Ausländer raus!‘ gesungen wurde. Der Zeuge informierte daraufhin die Magdeburger Polizei, welche kurz darauf den beschriebenen PKW mit zwei Insassen im Breiten Weg feststellen und kontrollieren konnte. Der PKW sowie die beiden männlichen Insassen wurden daraufhin nach möglichen Tonträgern durchsucht, woraufhin die Mobiltelefone als mögliche Tatmittel beschlagnahmt wurden. Gegen die beiden Fahrzeuginsassen, zwei Magdeburger im Alter von 22 und 27 Jahren wurde zudem ein Ermittlungsverfahren zum Verdacht der Volksverhetzung eingeleitet.“ Glücklich das Land, dass so aufmerksame Bürger und so aufmerksame Präsidentinnen von Universitäten und Hochschulen und so großartige Antisemitismusbeauftragte wie die TU hat.

Und was passierte sonst noch? Nichts, was der Rede wert wäre: Der deutsche Chemieriese BASF will sein Engagement wegen der hohen Energiepreise in Deutschland reduzieren und in China erweitern. Ach ja, und der Stahlriese Arcelor-Mittal wird erst Mitte 2025 entscheiden, ob er Habecks Subventionen will, oder doch lieber nach Belgien zum günstigen Atomstrom zieht. Und der bekannte Möbelhersteller Hülsta ist insolvent.

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