Auf der Kurznachrichtenplattform „X“ wird bekanntlich gern und viel gestritten. Aus einem unerfindlichen Grund haben auch die ARD-Anstalten irgendwann beschlossen, auf „X“ mit den Zuschauern zu diskutieren.
Man kann trefflich darüber streiten, ob der Austausch von Bonsai-Botschaften mit den Zuschauern über einen privaten Internet-Anbieter wirklich zur medialen Grundversorgung zählt, auf die sich die Anstalten zur Rechtfertigung ihres obszönen Finanzbedarfs ja immer wieder berufen. Aber auch, wenn man das verneint (was der gesunde Menschenverstand nahelegt), so hat die ARD-Aktivität auf X-Twitter mindestens eine unzweifelhaft positive Seite.
Denn natürlich mussten für die sinnlose Bespielung dieses Kanals nicht nur viele neue, teure Planstellen geschaffen werden. Die ARD-Granden sind außerdem zwar nicht ganz so alt wie ihr Publikum, aber doch auch schon ziemlich alt und arriviert. X-Twitter ist nicht so ihr Ding. Die Online-Redaktionen der ARD-Anstalten werden deshalb, erstens, vor allem von jüngeren Mitarbeitern bevölkert. Und zweitens werden sie, anders als das TV-Programm, mangels Interesses und Kompetenz der Altvorderen nur oberflächlich beaufsichtigt.
Für den geplagten Zwangsgebührenzahler hat das den unschätzbaren Vorteil, dass auf X-Twitter immer wieder mal brutal ungefiltert durchkommt, welcher inhaltliche, politische und journalistische Geist tatsächlich in den Luxus-Redaktionsstuben der ARD weht.
Da beginnt der Skandal. Und es ist ein unfassbarer Skandal.
In einer dieser Diskussionen auf X-Twitter meint ein NDR-Zuschauer nämlich, statt sich wie blöde auf die fünf vorher völlig unbescholtenen jungen Leute zu stürzen, die sich stark betrunken auf Sylt danebenbenommen haben, sollte der Sender sich mehr um die Opfer von Gewalt durch Ausländer in Deutschland kümmern:
„Lasst uns lieber über Massenvergewaltigungen und die Migrantenkriminalität derer sprechen, denen wir Schutz gewähren.“
Die offizielle Reaktion des NDR, einer von allen Bürgern und Bürgerinnen) zwangsfinanzierten Anstalt des öffentlichen Rechts, ist – ein gähnendes Emoji. Übersetzt: langweilig, interessiert niemanden.
In Berlin scheint an 106 Tagen im Jahr die Sonne. Das zeigt die meteorologische Statistik. Im vergangenen Jahr gab es in Deutschlands Hauptstadt 111 Gruppenvergewaltigungen. In Worten: einhundertundelf. Das zeigt die offizielle Kriminalstatistik. Es gibt inzwischen also mehr Gruppenvergewaltigungen als Sonnentage.
Der bestens ausgestattete Norddeutsche Rundfunk im feinen Hamburg im edlen Stadtteil Rotherbaum hat dafür nur ein Gähnen übrig. Vergewaltigte Frauen? Uninteressant. Männer, denen wir Schutz gewähren, machen sich brutal über schutzlose Mädchen her? Uninteressant. Gewalt von Ausländern gegen Deutsche? Uninteressant. Lasst uns lieber weiter die fünf betrunkenen jungen Leute von Sylt fertigmachen.
Das ist der Geist, der beim NDR tatsächlich weht.
Dass es möglicherweise nicht unbedingt opportun ist, alles, was man beim NDR so denkt, auch für alle Welt sichtbar zu machen: Das ist dann wohl doch noch irgendjemandem beim Sender aufgefallen. Also hat man die unglaubliche Verhöhnung von vergewaltigten Frauen, das gähnende Emoji, irgendwann und (erst einmal) ohne weitere Kommentierung wieder gelöscht.
Dass das im Internet nix nutzt, sollten sie inzwischen auch beim NDR wissen. Jedenfalls gab es einen amtlichen Aufschrei. Wohl selten dürfte der Sender so viele empörte Kommentare eingesammelt haben. Auf Nachfrage gab die Anstalt eine Erklärung ab: Der Beitrag sei gelöscht worden, „weil er unangemessen ist und nicht den Social-Media-Vorgaben des NDR entspricht“.
Das macht alles natürlich nur noch schlimmer. Wenn ein Quasi-Staatssender das demonstrative Desinteresse an den Opfern von Vergewaltigungen nur für „unangemessen“ hält, dann haben sie da endgültig nicht mehr alle Latten am Zaun. Und gelöscht wurde der Skandal-Post auch nicht etwa, weil er ein Schlag ins Gesicht jedes anständigen Journalisten ist – sondern weil er gegen die Social-Media-Vorgaben verstößt?
Im Ernst jetzt?
Immerhin konnte man noch hoffen, dass der Sender mit dem Verfasser des Posts zumindest halb so unerbittlich umspringt wie mit den fünf Syltern. Diese Hoffnung erweist sich aber leider als unbegründet: Man habe den verantwortlichen Mitarbeiter mittlerweile identifiziert, verkündet der NDR. Er werde „eine vertiefende Community-Management-Schulung erhalten“.
Ich glaube, es hackt. Fünf junge Leute, die sich privat betrinken, dann dummes Zeug singen und dabei gefilmt werden: Die werden nach allen Regeln der Kunst (auch vom NDR) medial, sozial und beruflich vernichtet. Sie verlieren ihren Job, ihre Uni will sie zwangsexmatrikulieren.
Aber ein gut bezahlter Mitarbeiter, der im Namen des NDR und auf einem öffentlichen Kanal seines Arbeitgebers wirklich menschenverachtende Dinge von sich gibt – der bleibt anonym, bekommt allenfalls einen erhobenen Zeigefinger, ein „du, du, du“ und eine „vertiefende Community-Management-Schulung“ (die er vermutlich auch noch als Zusatzqualifikation in den Lebenslauf schreiben kann).
Wie könnte ein öffentlich-rechtliches System wohl reformiert werden, in dem erst so ein Post möglich ist – und das dann so reagiert? Ich sag’s, wie es ist: Es fällt schwer, sich das vorzustellen.