Es gibt Sätze, die jeder sagt und nichts bedeuten: Wie geht’s? Schönes Wetter heute oder die Bürokratie muss abgebaut werden. Hinter Letzterem steckt zwar durchaus ein dramatisches Problem. Die Unternehmer berichten etwa in der regelmäßigen Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer davon. Doch genau wie bei den Steuern, die eigentlich runter müssten, wird sich das Problem der ausgeuferten Bürokratie umso mehr verfestigen, desto öfter eine Besserung versprochen wird. Denn die jetzige Generation an Politikern ist nicht in der Lage, es zu lösen. Nicht ohne drastische Reformen.
Jeder Bundestagsabgeordnete erhält vom Steuerzahler im Monat eine Pauschale von knapp 26.000 Euro. Davon zahlt er die Bruttogehälter seiner Mitarbeiter. Deren Sozialabgaben übernimmt der Steuerzahler nochmal extra. Wie der Abgeordnete die 26.000 Euro verteilt, entscheidet er selbst. Er kann zum Beispiel zehn Leute einstellen, die 2.600 Euro brutto im Monat verdienen oder fünf, die 5.200 Euro im Monat verdienen. Häufig beschäftigt ein Abgeordneter von dem Geld sieben Mitarbeiter.
Aber es erschließt sich aus der Tendenz der Parteien, sich am Staat zu bereichern. 734 Abgeordnete sitzen derzeit im Bundestag. Das macht über 5.000 direkte Mitarbeiter von Abgeordneten. Dazu kommen nochmal die Mitarbeiter, die für die Fraktion arbeiten – ebenfalls vom Steuerzahler bezahlt. In allen 16 Landtagen kommt obendrein nochmal ein vergleichbares Heer an solchen Mitarbeitern zustande. So ist eine Armee „wissenschaftlicher Mitarbeiter“ entstanden, die ihren Abgeordneten auf Festen die Tasche tragen und ihnen im Parlament sagen, was der Vorsitzende gesagt hat, wann er die Hand heben solle.
„Wissenschaftliche Mitarbeiter“ nennt sich diese Parteiarmee, die der Steuerzahler direkt finanziert. Ihre Soldaten starten oft bereits während des Studiums für einen Abgeordneten oder eine Fraktion, bleiben über das Studium hinaus, bis sie dann selbst ein gut dotiertes Mandat erhalten. So bildet sich die politische Landschaft einen Nachwuchs heran, der hauptberuflich Politiker ist. Ein Studium der Sinologie, Soziologie, Politik- oder Theaterwissenschaft schließen sie oft nur pro forma ab. Und selbst ihre Studiengänge brechen sie immer häufiger ab, wie der Fall Ricarda Lang (Grüne) zeigt.
Es gibt in dieser Szene einen neuen Trend. Bei denen, die bereits ein Mandat haben, sowie bei denen, die über die Laufbahn eines „wissenschaftlichen Mitarbeiters“ ein solches Mandat erst noch anstreben: Sie melden in ihren Studentenjahren Betriebe an. Meistens im Bereich der IT-Beratung. Ihr größter Arbeitgeber ist oft ihre Mutter, die sich an Weihnachten von ihnen das Smartphone einrichten lässt. Aber mit diesem Unternehmen im Rücken können sie so tun, als ob sie eine Biografie hätten und nicht schon früh die Politbeamtenlaufbahn des „wissenschaftlichen Mitarbeiters“ eingeschlagen hätten. Sie haben selbst erkannt, dass sie zu einem dysfunktionalen Typus gehören, dessen Lebenszweck ist, da zu sein. Sie versuchen sich über den Umweg einer Pseudo-Betriebsgründung von dem Vorwurf freisprechen, zu diesem dysfunktionalen Typus zu gehören.
Das Wirtschaftsleben kennt ein Teil der „wissenschaftlichen Mitarbeiter“-Szene nur aus Start-up-Stammtischen, die von Stadt- und Landesregierungen gerne spendiert werden, um Wirtschaftspolitik vorzutäuschen. Doch ein Großteil kennt nicht einmal das. Für viele wissenschaftliche Mitarbeiter besteht Wirtschaft aus herausgeputzten Produktionshallen, in denen jeder auf sie wartet, alle freundlich den Abgeordneten grüßen und es in der Kantine einen Kaffee und einen Vortrag vom Unternehmer gibt.
Die Verfassung schließt Parteien aus, die nach dem „Führerprinizp“ geführt werden, wie zum Beispiel die NSDAP während der Weimarer Republik. Parteien müssen demokratisch organisiert sein, Vorsitzende sich innerhalb vorgeschriebener Fristen zur Wiederwahl stellen. Doch auf Parteitagen haben die eine Mehrheit, deren Karriere unmittelbar von Abgeordneten und Regierungsmitgliedern abhängt. Das hat die Parteibasen entmachtet zugunsten einer kleinen Gruppe innerhalb der Parteien, die über die Vergabe dieser Jobs entscheiden.
Wie das geht, zeigt das Beispiel Friedrich Merz. Der konnte nicht CDU-Vorsitzender werden, solange Parteitage darüber entschieden haben. Das von den Parteien finanziell abhängige Kartell verhinderte ihn. Erst als die Basis abstimmte, gewann Merz deutlich. Nun werden manche sagen, dass Merz nach seiner Wahl diese CDU-Basis inhaltlich verraten hat. Das stimmt, ist aber kein Gegenbeweis. Vielmehr belegt es die These vom Einfluss der „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ und anderen Abhängigen im Parteiapparat: Sie sind so mächtig, dass selbst ein Mann mit dem Blackrock-Hintergrund eines Merz sich einer Gruppe unmittelbar beugen muss, die ihn vorher offen bekämpft hat. Der Regierende Bürgermeister Berlins Kai Wegner ist ein weiteres Beispiel aus der CDU – innerhalb der SPD und der Grünen ist der Block der für die Partei Arbeitenden so stark, dass schon gar keiner mehr an ihnen vorbei eine Karriere versucht.
Aus Sicht der demokratischen Kultur sind die wissenschaftlichen Mitarbeiter also eine Katastrophe. Aber nicht nur aus der Sicht. Auch aus der wirtschaftlichen: Abitur, Studium, währenddessen bereits Engagement in der Jugendarbeit der Partei und als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Das ist der Karriereweg. Nur ein Umweg wäre da ein echtes Berufsleben, in dem theoretischer, vor allem aber praktischer wirtschaftlicher Sachverstand erworben werden kann. Schon jetzt sitzen im Bundestag laut Statista 83 Abgeordnete, für die es „keine verwertbaren Angaben“ zu einem Beruf gibt. Tendenz steigend. Ricarda Lang lässt grüßen. Sie könnte die erste Ministerin ohne Berufsabschluss werden, die sich nicht einmal mehr die Mühe macht, einen Lebenslauf zu erfinden oder zu frisieren.
Was Karrieren von wissenschaftlichen Mitarbeitern und ähnlichem befördert: sich an die Parteilinie halten, Plakate aufhängen, an Ständen stehen, sich an die Parteilinie halten, auf vielen Versammlungen sitzen, auf Facebook Beiträge posten, die der Parteilinie entsprechen, und sich sonst auch immer an die Parteilinie halten. Was Karrieren von wissenschaftlichen Mitarbeitern und ähnlichem schadet: eigene Meinungen haben, Ideen oder Lösungen präsentieren, die außerhalb des Parteidenkens liegen.
„Wissenschaftliche Mitarbeiter“ haben zwei berufliche Ziele: selbst Politiker werden oder in der Verwaltung gut bezahlt und einen unkündbaren Job haben. Eine Politik, die von ihnen beeinflusst wird, wird immer aus der Sicht der Verwaltung gedacht sein: immer mehr Regeln bringen, Auflagen und Erfassungspflichten sind aus dieser Sicht kein Problem, solange es nur den Bürger trifft. Eine Entlastung der Verwaltung um eine Sekunde ist demnach immer gerechtfertigt, egal, um wie viel dadurch der Bürger zusätzlich belastet wird. Eine Politik, die von Parteitagen getragen wird, auf denen wissenschaftliche Mitarbeiter die Mehrheit haben, wird weiter Heizhammer, Lieferkettengesetze oder Arbeitszeiterfassungsgesetze beschließen. Mit ihr wird die Politik immer lauter und heftiger einen Abbau der Bürokratie versprechen – und zeitgleich die Bürokratie immer weiter wuchern lassen.
Was ist zu tun, damit es zu einem Comeback Deutschland kommt? Die „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ der Abgeordneten müssten als Erstes rausgeworfen werden. Auf einen Schlag. Die Parlamente verfügen über einen „Wissenschaftlichen Dienst“, der tatsächlich akademisch fundierte Gutachten liefert. Die „wissenschaftlichen Mitarbeiter“ stellen nur eine überflüssige Partei-Armee, mit deren Auflösung der Steuerzahler bundesweit übers Jahr gut eine Milliarde Euro sparen könnte. Vor allem aber würden die Parteitage wieder zu einer echten demokratischen Kontrollinstanz.
Darüber hinaus muss der Einfluss der Parteien in der Verwaltung zurückgefahren werden. Das ist aufwendiger. Gremien müssten darüber wachen, dass Ausschreibungen nicht auf vorher ausgesuchte „Bewerber“ zugeschnitten werden und dass die fachliche Eignung tatsächlich das entscheidende Auswahlkriterium ist. Betriebsräte könnten diese Aufgabe übernehmen. Es könnten dafür aber eigens auch Gremien gegründet werden. Oder durch Direktwahl gewählt werden.
Darüber hinaus wären Direktwahlen für hohe Verwaltungsaufgaben denkbar. So wie in den USA. Warum nicht Richter oder Staatsanwälte vom Bürger bestimmen lassen? Bei Bürgermeistern und Landräten lässt sich eine direkte Wahl auch daran koppeln, dass die Bewerber die notwendigen beruflichen Voraussetzungen mitbringen. Das ginge also auch für Richter, Staatsanwälte oder Amtsleiter. Von Bürgern direkt gewählte Abteilungsleiter könnten in der Verwaltung die Richtung des Denkens verändern. Weg von den Interessen der Verwaltung, hin zu den Interessen der Bürger.
Erst dann lohnt es sich wirklich, Gesetze zu entstauben. Erst, wenn die Politik nicht mehr aus Sicht der Verwaltung, sondern aus Sicht der Bürger und der Wirtschaft denkt, ist eine Entbürokratisierung realistisch. Wenn dann die politische Landschaft entfeudalisiert wird und die Cliquen sich anderweitig ihren Lebensunterhalt sichern müssen, die jetzt Parteitage beherrschen, ist für die Demokratie viel gewonnen – und ein Comeback Deutschland wahrscheinlicher geworden.