Gottlob gibt es unterhalb der „medienaffinen“ Verfassungsschutz-„Promis“ namens Haldenwang und Kramer auch ehrenwerte Verfassungsschützer. Die „Schwäbische“ berichtet am 22. Mai von einem solchen, der sich kritisch um die zunehmende Übergriffigkeit des Verfassungsschutzes sorgt. Die „Schwäbische“, die in Reutlingen erscheint und eine Auflage von 140.000 hat, lässt hierzu den Verfassungsschützer Gregor S. zu Wort kommen.
Gregor S. (36; von der Redaktion geänderter Name) ist damit ein zweites Beispiel eines kritischen Verfassungsschützers, über den TE berichtet. Am 30. April 2024 hatte TE einen anderen Verfassungsschützer mit dessen Worten zitiert: „Wir beobachten Leute, die Grünen-Witze machen – aber nicht Islamisten.“
Gregor S. sagte nun der „Schwäbischen“: „Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten.“ Zwischenzeitlich wurde S. selbst vom Verfassungsschutz zum Sicherheitsrisiko erklärt. Weil er „die unglaublichen Zustände und Missstände in dieser Behörde angesprochen“ habe. S. hatte moniert, dass der Verfassungsschutz zunehmend unbescholtene Bürger ins Visier nehme. Gregor S. wörtlich: „Die Ängste vieler Menschen, dass hier derzeit ein Überwachungsstaat wie in der DDR aufgebaut wird, diese Ängste sind nicht ganz unberechtigt, ja.“ Und: Die aktuelle Praxis des Verfassungsschutzes „höhlt den Rechtsstaat sehr viel stärker aus, als es irgendein Skinhead oder irgendein Autonomer jemals schaffen könnten“.
Vergleiche mit der DDR
Die „Schwäbische“ hatte sich mit Gregor S. in einer Berliner Altbau-Wohnung in Friedrichshain getroffen. Gregor S. hat seine Anwältin Christiane Meusel (56) mitgebracht. Meusel stammt aus der DDR, sie wuchs in der Friedensbewegung auf und weiß aus eigener Erfahrung, wozu ein Überwachungsstaat fähig ist. Meusel hatte nach der „Wende“ als Juristin selbst sechs Jahre beim Verfassungsschutz gearbeitet; sie verließ den Dienst desillusioniert wieder.
Dass Gregor S. an die Öffentlichkeit geht, begründet seine Anwältin so: Der Gang an die Öffentlichkeit solle helfen, dass „nichts vertuscht und unter den Teppich gekehrt“ werde. „Die Menschen müssen erfahren, was da Tag für Tag passiert beim Verfassungsschutz“, wünscht sich Gregor S., der nach seiner Zeit bei der Bundeswehr beim sächsischen und beim hessischen Verfassungsschutz war und ein Studium beim Bundesamt für Verfassungsschutz mit dem Abschluss „Diplom-Verwaltungswirt, Fachbereich Nachrichtendienste“ absolviert hat.
Gregor S. sorgt sich: „Das Ausland lacht über unseren Verfassungsschutz.“ Grund: Das sei ein Behördenapparat, der mit einer endlosen Zahl an Vorschriften oft nahezu handlungsunfähig ist. Folge laut Gregor S.: Mit ernstzunehmenden Gegnern wie wirklich gewaltbereiten Links- oder Rechtsterroristen oder radikalen und teils kriegserfahrenen Islamisten könne man es nicht aufnehmen; man müsse sich eher um Leute kümmern, die eigentlich gar kein Fall für den Verfassungsschutz seien.
Wie man schnell zum Verdachtsfall wird
Ein Beispiel hierfür, so S., sei die neue Kategorie „verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“. Hier würden „durch eine Umdeutung und Pervertierung der Sprache“ neue Stichwörter geschaffen, durch die Menschen bereits zum Verdachtsfall würden. „Was gestern legale Kritik war, kann heute ein Grund sein, ins Visier des Verfassungsschutzes zu geraten“, so S. Und: „Plötzlich wird versucht, Menschen zu diskreditieren, zu dämonisieren und auszugrenzen, bei denen das vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar gewesen wäre. Bei denen man gesagt hat, das ist doch alles im verfassungsmäßigen Rahmen.“
Gregor S. berichtet: „Wir durchleuchten den Arbeitgeber, die Geliebte und die Kumpels, die zum Grillen kommen.“ Das könne jemanden treffen, der lediglich die Grünen nicht mag und ein angeblich den Staat delegitimierendes Plakat aufhänge, ein entsprechendes Schild bei einer Demo hochhalte oder einen entsprechenden Post in sozialen Medien absetze. Gregor S. weiter: Er sehe derzeit „die ganz große Gefahr, dass der Dienst instrumentalisiert wird, etwa für politische Zwecke“. Aber es gebe auch Informationen, die seien nicht erwünscht. Dies seien vor allem Informationen mit Bezug auf extremistische Tendenzen und auf radikale Strömungen innerhalb etablierter Parteien.
Die möchte man nicht sehen und nicht hören. Konkret würde es hier, so der Vorwurf von S., um „die SPD, die Grünen und die Linke gehen. So würde man „gewisse gewaltbereite Strömungen etwa bei der Linken“ nicht sehen wollen. Wörtlich: „Da traut sich der Verfassungsschutz schon gar nicht mehr ran.“ Offiziell sei der Verfassungsschutz zwar politisch neutral. „In der Realität ist es aber nun mal so, dass diese Behörde eine Behörde des Innenministeriums ist“, sagt S. Und hier gebe es wie in jedem größeren Unternehmen auch ein „sehr enges Geflecht an persönlichen Kennverhältnissen“.
Die „Schwäbische“ hat das Bundesamt für Verfassungsschutz zwischenzeitlich mit den Vorwürfen von Gregor S. konfrontiert und um Stellungnahme gebeten. Die Antwort war eine ignorant-arrogante Frechheit: „Ohne die von Ihnen zitierten Aussagen im Einzelnen bewerten zu wollen, verweisen wir auf den Namensartikel von Thomas Haldenwang vom 1. April 2024 in der FAZ zu diesem Thema.“
TE hatte dieses Haldenwang-Geschwurbel am 2. April seziert. Vor allem weil Haldenwang geschrieben hatte: „Jedoch auch unterhalb der strafrechtlichen Grenzen und unbeschadet ihrer Legalität können Meinungsäußerungen verfassungsschutzrechtlich von Belang sein.“ Das bedeutet doch: Wenn der Verfassungsschutz „unterhalb der Strafbarkeitsgrenze“ aktiv wird, heißt das nichts anderes, als dass jeder Rechtsweg ausgeschlossen ist.
Mit anderen Worten: Wenn der Verfassungsschutz ein Verfassungsschutz wäre, dann wäre Haldenwang (mit Faeser) wegen Delegitimierung des Rechtsstaates ein Fall für den Verfassungsschutz.