Die Nachkriegsgeneration, die in der Bonner Republik politisch sozialisiert wurde, hatte es nicht leicht, das Grundgesetz, das Parteiengesetz und die freiheitlich-demokratische Grundordnung insgesamt zu verstehen. Viele Gymnasiallehrer und Universitätsdozenten waren noch von der alten Schule und nicht hilfreich.
Ich hatte Glück mit einem engagierten Klassenlehrer und SPD-Mitglied, der über sein Fach Deutsch hinaus auch politische Themen mit uns diskutierte, dazu ein interessiertes Elternhaus. Trotzdem blieben die meisten Debatten im Bundestag auf einer entrückten Ebene, etwa die vehementen Auseinandersetzungen zwischen Adenauer und Schumacher. Schillernde Gestalten wie Mende oder Globke erregten Aufmerksamkeit, aber das demokratische System als solches wurde als gegeben wahrgenommen, zumal im Kontrast zur SED-DDR offensichtlich alles besser war.
Die Westbindung war für uns kein kontroverses Thema, die USA galten als leuchtendes Vorbild für fast alles. Emotionaler wurde die Wiederbewaffnung diskutiert, auch von meinem Vater, aber meine Klassenkameraden hatten zum Abitur keine Probleme mit dem Wehrdienst.
Die Bundesrepublik hat mit den Landeszentralen und der Bundeszentrale für politische Bildung sowie den parteinahen Stiftungen institutionell und finanziell viel für die politische Bildung getan. Allerdings fehlt unter anderen Defiziten die Aufgabe am Ende des § 1 Absatz 2 des Parteiengesetzes, dass die Parteien „für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen“.
Sie haben stattdessen eine insiderorientierte Exklusivkultur entwickelt, die sich in sinkenden Mitgliederzahlen manifestiert. Auch die immer stärker steuer- und spendenabhängige Parteienfinanzierung gehört zu den massivsten Defiziten. Im Rausch des Wirtschaftswunders und des besten und moralischsten Deutschlands der Geschichte wurden wichtige Eckpunkte des demokratischen Systems vernachlässigt. Ob Nachbesserungen erfolgversprechend sind, darf in der 2024 gegebenen Situation bezweifelt werden.
Wolfgang Sachsenröder war fast 25 Jahre als Politikberater international tätig. Seit 2009 lebt er wieder in Singapur und forscht und publiziert zu vielen Themen.