Tichys Einblick
Kern statt Kohle

Warschau setzt weiter auf Kernenergie

Trotz Regierungswechsel bleibt Polen bei seinem Plan, die Kernenergie auszubauen. Nahe der deutschen Grenze sollen modulare Reaktoren entstehen. Auch drei große Kernkraftwerke sind geplant, damit das Land unabhängiger von umweltschädlichen Kohlekraftwerken wird. Von Wolfgang Kempkens

Screenprint: Industria.eu

Polen produziert 70 Prozent seines Stroms in oft älteren und damit besonders umweltschädlichen Stein- und Braunkohlekraftwerken. Das wollte die frühere Regierung mit Ministerpräsident Mateusz Jakub Morawiecki ändern, und das will auch die heutige Regierung unter Donald Tusk. Gerade hat das Ministerium für Klima und Umwelt den Plan des polnischen Industriekonzerns Świętokrzyska Grupa Przemysłowa INDUSTRIA S.A. in Kielce im Südosten Polens genehmigt, einen modularen Reaktor (Small Modular Reactor/SMR) von Rolls-Royce zu bauen (siehe Video). Es wird in der Sonderwirtschaftszone Kostrzyn-Słubice in Westpolen errichtet, die sich in Nordpolen an der Grenze zu Deutschland entlangzieht. Ein Lager für abgebrannte Brennelemente soll parallel zum Bau des Kernkraftwerks gebaut werden.

Das Kernkraftwerk wird eine Leistung von 470 Megawatt (elektrisch) haben, also erheblich kleiner sein als die derzeit größten nuklearen Anlagen, die auf gut 1600 Megawatt kommen. INDUSTRIA will den Strom unter anderem zur Herstellung von beinahe grünem Wasserstoff nutzen.

Im Dezember vergangenen Jahres hatte das Ministerium bereits dem polnischen Mineralölkonzern Orlen in Plock und Synthos Green Energy in Warschau, einem Unternehmen, das emissionsfreie Energielösungen entwickelt, die Erlaubnis erteilt, 24 Kernkraftwerksblöcke vom Typ BWRX-300 an sechs Standorten zu bauen. Diese SMR mit einer elektrischen Leistung von jeweils 300 Megawatt haben das US-Unternehmen GE (General Electric) und sein japanischer Partner Hitachi Nuclear Energy entwickelt.

Noch kleiner sind die Anlagen, für die der Kupfer- und Silberproduzent KGHM Polska Miedź SA in Lubin eine Genehmigung bekommen hat. Die SMR des US-Unternehmens NuScale haben eine elektrische Leistung von 77 Megawatt. In der Nähe des niederschlesischen Orts, rund 90 Kilometer entfernt von Deutschlands südöstlichster Stadt Görlitz, sollen gleich sechs dieser Module errichtet werden. Das Unternehmen will den Strom selbst für seine energieintensive Produktion nutzen.

Polen plant zudem auch große Kernkraftwerke. Mit dem US-Hersteller Westinghouse gibt es bereits einen Vertrag über den Bau von drei Kernkraftwerken mit einer elektrischen Leistung von jeweils 1110 Megawatt. Das erste soll in Choczewo 75 Kilometer nordwestlich von Danzig an der Ostsee gebaut und 2033 fertiggestellt werden. Er wird ganz in der Nähe des Kernkraftwerks Żarnowiec errichtet, das niemals fertiggestellt wurde. Nach Protesten der Bevölkerung, die sich nicht gegen Kernenergie richteten, sondern gegen Russland, wurde der Bau 1990 eingestellt. Es handelt sich um Ruinen von vier Blöcken des russischen Typs WWER 400. Die beiden anderen Blöcke von Westinghouse sollen ebenfalls in Nordpolen errichtet werden.

Für die emissionsarme Stromversorgung der Mitte Polens sollen zwei Anlagen vom Typ APR1400 gebaut werden. Diese haben eine elektrische Leistung von jeweils 1455 Megawatt. Entwickelt worden ist er vom südkoreanischen Unternehmen Hydro & Nuclear Power in Naju.

Das alles reicht zum Ersatz aller fossilen Kraftwerke jedoch keineswegs. Diese haben eine Leistung von fast 24.000 Gigawatt. Die Lücke soll vor allem mit Wind- und Solarkraft geschlossen werden.


Wolfgang Kempkens studierte an der Techni­schen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aache­ner Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwer­punkte sind Energie und Umwelt.

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