Bei der Familie Pagel scheint das auf den ersten Blick noch so zu sein, in ihrem in die malerische Landschaft eingebetteten ziegelgedeckten Hof, wo man Winters wie Sommers ohne Wärmepumpen und zusätzliche Fassadendämmung auskommen könnte. Wo noch selbst erlegte Wildsäue von der Garagendecke baumeln, gleich neben dem waidmännisch lackierten G-Modell mit dem Stern auf dem Kühler. Im Schlafzimmer dreht sich ein Deckenventilator und die gute Stube wird mit dem Holzofen beheizt.
Grober Klotz und grobe Keile
Aber trotz dieser idyllischen Zustände fiel Papa Hansi Pagel (Rüdiger Klink) wegen gewalttätiger Ausbrüche, Vergewaltigung seiner Ehefrau Andrea (Angelika Richter) sowie dauernden Drohungen, Demütigungen und Erpressungen seiner Familie gegenüber auf und wurde gerichtlich in eine geschlossene Anstalt (gedreht wurde auf dem Gelände und in der Forensischen Psychiatrie Calw) eingewiesen.
Und wirklich, der Hansi ist schon ein arg gewöhnungsbedürftiger Typ: Wie ein Cowboy stiefelt er die Gänge der „Geschlossenen“ entlang, macht einen auf rebellischer Macho und will diesen „Puff“ am liebsten schnell wieder verlassen, schmiedet mit seinem Zimmernachbarn Milan Vujicic (Bekim Latifi) Fluchtpläne. Die externe Gutachterin, die ihm mit einer neuen Einschätzung seiner Gefährlichkeit („besonders schwere seelische Abartigkeit“) dabei helfen soll, heißt Lisa Schieblon (Reiki von Carlowitz) und hat offenbar einen Narren an dem Hansi gefressen, macht schon mal einen Ausflug mit ihm unter der Nase seines Bezugspflegers Matthias Brehme (Christoph Glaubacker). Denn der Hansi, so seine Ex-Frau über ihn, „kann schon auch charmant sein, wenn er will“.
Die resolute Retterin
Jedoch: Von einem dieser Ausflüge zum markantesten Aussichtspunkt im Schwarzwald, dem „Schauinsland“, kehrt Frau Schieblon nicht zurück. Tage später wird die Leiche der als sehr beharrlich bekannten Psychologin im Kofferraum ihres Wagens gefunden. Hansi Pagel rückt, weil seine registrierte DNA im Wagen der erdrosselten Gutachterin gefunden wurde, ins Zentrum der Aufmerksamkeit der beiden Freiburger Ermittler Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner).
Allerdings tritt Berg Hansi gegenüber wenig feinfühlig auf (hält ihn für ein A-…, provoziert) und löst bei dem zunächst eigentlich nur als Zeuge Vernommenen so einen Tobsuchtsanfall aus. Dieser wütende, von wilden Flüchen begleitete Ausbruch führt Pagel direkt in eine Einzelzelle, wo er „fixiert“ (sprich unter Bewachung mit Fesselbändern festgeschnallt) wird. Auch sonst scheint man wenig zimperlich in der Forensischen zu sein, Hansi beschwert sich über Rauchverbote, Stubenarreste und Isolation.
Schein und Sein
Den ermittelnden Beamten bietet sich ein ganz anderes Bild: Die Einrichtung liegt inmitten satter Wiesen wohl eingezäunt und videoüberwacht am Waldesrand und scheint von kompetenten Händen geleitet: Dr. Thorsten Günnewig (Falilou Seck) und Frau Oberärztin Gisela Tausendleben (Ulrike Arnold) kümmern sich um die Patienten in der geschlossenen Psychiatrie und um ihr Team aus Pflegern und Wärtern. Hier gibt es jede Menge Freizeitaktivitäten (Internet, Schach, Trimm-Dich, Billard und Tischtennis, Sportgeräte und Spielfelder), Freizeitzimmer und eine offene Küchenzeile. Von Frau Schieblons Bemühungen um die Freilassung des Patienten Pagel war man in der Klinikleitung jedoch wenig begeistert, der habe zwar die Vergewaltigung in der Ehe gestanden, nicht aber die Übergriffigkeiten gegenüber seinen Familienangehörigen; überhaupt sei er ein Narzisst und als solcher „bagatellisiere er seine Taten und könne mit Enttäuschungen nur sehr schwer umgehen“.
Zu Hause auf seinem Hof war man wenig erfreut über das geplante neue Gutachten und die mögliche Rückkehr des rabiaten Vaters (Sohn Leo – der, der die Wildsau jagt – gespielt von Anton Dreger) und Ex-Ehemanns. Einzig Tochter Isabelle (Lara Koller) findet nichts an ihrem Papa auszusetzen und hätte ihn gern wieder bei sich. Mama und Leo, wegen deren Aussagen Hansi verurteilt wurde, haben offenbar Grund, sich gegenseitige Verschwiegenheit zuzusichern, raunen sich zu: „Des ziehen wir durch!“ Ob Jägersmann Leo aber so weit gegangen wäre, seinen rabiaten Erzeuger oder dessen vermeintliche Komplizin, Gutachterin Schieblon, wie Problemwölfe dieser Welt zu entnehmen, wie Ermittler Berg zeitweise annimmt, ist unklar.
Der zottige Kriminalbeamte, selbst Eigentümer eines ererbten Schwarzwaldhofes, muss sich mit schadhafter Dacheindeckung und hereintropfendem Regenwasser herumärgern. Und das, wo doch so düstere Erinnerungen an die eigene Kindheit, den möglichen Suizid der Mutter und den seelisch erkrankten Bruder daran hängen. Kollegin Tobler würde das Haus an seiner Stelle gleich verkaufen. Sie ist es auch, die den Kommissarskollegen davor bewahrt, ohne Absturzsicherung zur Dachreparatur zu schreiten.
Tausend Leben – aber noch mehr Identitäten
Aber nun überschlagen sich die Ereignisse in der geschlossenen Psychiatrie und erfordern eine umfassende, wenn auch in diesem Fall unergiebige weitere Untersuchung des Falls. Hansi Pagel bricht plötzlich zusammen und muss auf die Intensivstation verlegt werden. Wie ihm offenbar tödliche Substanzen beigebracht wurden, ist unklar. Die Ausgabe und Kontrolle der Medikamente in der Klinik fällt in schlechtes Licht, trotz der Beteuerungen von Dr. Günnewig, das man „alles streng kontrolliere“. Der Doktor hat auch selbst offenbar ein Drogenproblem, streckt sich am hellichten Tag auf der eigenen Behandlungsliege aus, um seinen Rausch auszuschlafen, nur Frau Tausendleben kümmert sich um ihn. Kurz darauf verschwindet er spurlos. Als die Polizei die Räume durchsucht, entdeckt sie das Handy der ermordeten Gutachterin.
Günnewig wird tot auf einem Parkplatz in seinem Wagen aufgefunden, in einem Abschiedsbrief scheint er zu gestehen: „…ich kann nicht nochmal neu anfangen“. Nun läuft Frau Tausendleben, die eigentliche Haupttäterin, zur Höchstform auf. Sie ist eine Hochstaplerin, die sich ohne jegliche medizinische oder psychologische Ausbildung mit gefälschten Zeugnissen und Diplomen 10 Jahre auf ihrem Posten hat etablieren und dank der Drogenabhängigkeit ihres Chefs auch halten können. Sie beharrt darauf, dass sie sich ja „gegen 105 Bewerberinnen habe durchsetzen können“, zeigt kein Unrechtsbewusstsein.
Als ihr Frau Schieblon auf die Spur kam, räumte sie sie rücksichtslos aus dem Weg und legte Spuren zu Hansi Pagel. Nun bezichtigt sie ihren toten Chef des Mordes und kommt, weil es den Kommissaren an Beweisen mangelt, auch damit durch. Da der Staatsanwalt keine Untersuchungshaft verhängt, setzt sich Frau „Tausendleben“ per Anhalter ab, neuen freien Stellen entgegen, bei denen ein kreativer Umgang mit dem Lebenslauf unschädlich ist.
Hansi Pagel wird wieder und darf für die Familie ein „Ofenhuhn“ zubereiten – ein Happy End?