Erst kam die Razzia, dann das Verbot, und nun folgt die Diskussion darüber. So gesehen hat Innenminister Reul die korrekte Reihenfolge eingehalten und sich nicht wie Scholz und Faeser im Voraus verquatscht. Das war nämlich durchaus geschehen, als Kanzler und Bundesinnenministerin das Verbot der Hamas und ihrer zudem linksextremen Unterstützer von Samidoun im Bundestag ankündigten und erst ein bis zwei Monate später durchsetzten. Das war ein Umgang mit offenbar verfassungsfeindlichen Gruppen, die in verschiedener Gestalt eine islamische Theokratie befördern, der wenig Vertrauen in die obersten Entscheidungsträger dieses Landes weckte.
Laut Bild wurden am frühen Donnerstagmorgen drei Mehrfamilienhäuser im Duisburger Norden und ein Gebäude in der Nähe der Universität durchsucht, in denen verschiedene Führungsfiguren der Gruppe leben. Das Vereinsvermögen, Unterlagen und Datenträger wurden beschlagnahmt. Mindestens eine Hundertschaft der Polizei war beteiligt, eine Zahl der beteiligten Beamten wird nicht genannt. Auch der Staatsschutz sei dabei gewesen. Angeblich verlief die Operation ruhig.
Der Verein, den es nun nicht mehr geben soll, heißt „Palästina Solidarität Duisburg“. Er wurde verboten und aufgelöst, nicht weil aus ihm heraus Straftaten begangen wurden oder er sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtete, sondern „da er sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet“. Das ist wohl der am einfachsten zu begründende Verbotsfall. Denn wer kann schon gegen den Wert der Völkerverständigung sein? Wer es ist, gehört laut Reul raus. Da braucht es auch keine weiteren Argumente.
Dass der Verein verfassungsfeindlich agiert, wäre vielleicht schwerer nachzuweisen gewesen. Allerdings gab es durchaus eine strafrechtliche Verurteilung, die erst vor einem Monat erfolgte. Doch darauf nimmt das Ministerium keinen Bezug. Mit dem Verbot sind selbstredend auch die Internetauftritte des Vereins „abzuschalten“. Das Vereinsvermögen wird beschlagnahmt und kommt dem Land NRW zugute. „Ersatzorganisationen“ zu bilden oder „bestehende Organisationen als Ersatzorganisation fortzuführen“, ist laut dem Innenministerium ebenfalls verboten. Das sollte klar genug sein, nur scheint aus ähnlichen Formulierungen nicht immer etwas zu folgen.
Harmloser Name – harsche Positionen
Der Name des Vereins klingt so harmlos wie die Namen vieler Organisationen im Gazastreifen. Scheinbar setzen sie sich für Frauen, Kinder oder Landwirte ein, in Wahrheit unterstützen sie den Terror, indem sie Spenden sammeln, um gefangene Hamas-Terroristen zu befreien und Ähnliches. In Gaza ist alles auf dieses Ziel ausgerichtet: auf den Kampf, die Durchsetzung gegen den Feind Israel. Und es kann vielleicht nicht anders sein in einem Gemeinwesen, das nur mit viel Wohlwollen als irgendwie demokratisch zu beschreiben wäre, vermutlich eher eine gleichgeschaltete Schreckensherrschaft ist. Aber auch die haben oft eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung.
Auch die Vereinsbeschreibung von „Palästina Solidarität Duisburg“ liest sich harmlos. Laut NRW-Innenministerium war es „eine Vereinigung, die es sich zur Aufgabe gemacht habe, schwerpunktmäßig in Duisburg, aber auch überregional Palästina-Solidaritätsarbeit zu leisten“. Dieses „Palästina“ soll allerdings, geht es nach dem aufgelösten Verein, in den Grenzen von 1947 wiederhergestellt werden. Aber damals gab es weder ein Land Palästina noch Israel. Gemeint ist daher ein offenbar arabisch geprägtes Territorium „vom Fluss bis zum Meer“, wie es immer wieder auf Demonstrationen und anderswo heißt.
Hinter dem scheinbar harmlosen Vereinsnamen steckt deshalb die Billigung „jeder Form des palästinensischen Widerstands“, auch in Gestalt des geschehenen Terrorangriffs der Hamas auf jene Israelis, die unglücklich genug waren, in der Nachbarschaft des Gazastreifens zu leben. Reul weiter: „In vielen Fällen verbirgt sich hinter der Solidarität mit Palästina nichts anderes als Judenhass, so wie bei der heute verbotenen Organisation. Wir nutzen alle juristischen Möglichkeiten, um Antisemitismus und ideologische Terrorunterstützung auszutrocknen.“ Der Staat habe damit „klare Kante gegen Extremismus gezeigt“.
Die Fakten sind seit dem 9. Oktober bekannt
Allerdings waren jene von Reul bemühten Fakten schon etwas länger klar: Nur zwei Tage nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober ging die „Palästina Solidarität“ in Duisburg auf die Straße, um – was sonst? – ihre „Solidarität mit Palästina und auch der Hamas“ zu zeigen, wie es nun ein WDR-Reporter zusammenfasst. Der Anführer der Gruppe, ein gewisser Leon Wystrychowski, hat sich auf einer Kundgebung und in den sozialen Medien dazu bekannt, „vollumfänglich hinter der Hamas“ zu stehen. Dafür wurde er vor erst einem Monat „wegen Billigung von Straftaten vom Duisburger Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt“.
Nichts ist einzuwenden gegen ein bedächtiges und solides Vorgehen gegen die wirklichen Verfassungsfeinde in Deutschland, die gegen die Opfer eines Terrorangriffs agitieren und damit Zwietracht und Gewalt in der deutschen Gesellschaft säen und das Straßenbild nicht nur für hier lebende Juden merklich verändern. Nur wurde auch Herbert Reuls „rote Linie“ schon viel eher überschritten. Offenbar hat man den Prozess gegen Wystrychowski abgewartet, auch wenn man die Straftat nicht im Verbot anführt. Vielleicht kommt ja noch eine Revision.
Dennoch: Eine frühere Vereinsauflösung wäre ohne Frage eindrucksvoller und konsequenter gewesen, zumal die Fakten seit Oktober letzten Jahres klar waren. Worauf hat also Reul gewartet? Vielleicht darauf, dass auch er wegen einer Affäre – Stichwort Schleuser-Skandal – ins Gerede kommt?
Schuster in Sachsen kann umgehend übernehmen
Auch ob das neue Betätigungsverbot dauerhafte Folgen zeitigt, bleibt abzuwarten. Es muss dann auch wirklich konsequent gegen etwaige Ersatz- und Nachfolgeorganisationen vorgegangen werden.
Aber erst einmal kann Innenminister Reul den Staffelstab umgehend an seinen sächsischen Partei- und Amtskollegen Armin Schuster übergeben. Auch in Dresden wird aktuell gefordert: „Nieder mit dem Imperialismus, Kampf der Besatzung, dem Siedlerkolonialismus und der Apartheid. Solidarität mit dem Widerstand. Lang lebe Palästina.“ (Aber nicht: Lang lebe Israel.) Diese Rede verzichtet zwar auf oberflächliche Schärfen im Ton, ist aber in Wahrheit nicht weniger radikal als das, was in Duisburg gesagt wurde.