Früher nannte man sie „Sowjets“. Doch mit dem Niedergang der Sowjetunion hat dieser Begriff deutlich an Strahlkraft verloren. Es benötigte ein Rebranding. Was war da naheliegender, als einfach auf die deutsche Übersetzung zu setzen und zu hoffen, dass niemand mitkriegt, dass die Begriffe synonym sind.
So erfreuen sich neuerdings wieder die Bürgerräte (oder auch Gesellschaftsräte) großer Popularität. Auf diesen Zug sprang nun auch die Bertelsmann-Stiftung auf und berief einen solchen Bürgerrat für ihr Projekt „Forum gegen Fakes – Gemeinsam für eine starke Demokratie“ ein. Der Presseaussendung zufolge handelt es sich beim Bürgerrat um eine „Gruppe von 120 Bürgerinnen und Bürgern aus ganz Deutschland, die nach der Zufallsmethode ausgewählt und vielfältig zusammengesetzt ist.“
Das klingt erstmal vielversprechend, auch wenn man mittlerweile dazu konditioniert wurde, beim Reizwort „vielfältig“ instinktiv zusammenzuzucken. Diese Angst ist aber, bei genauerem Hinsehen, nicht unbegründet. Denn auf der Webseite des Forums gegen Fakes liest man, dass der zufällige Kontakt zu den Bürgern nur im ersten Schritt stattfindet. „Um Vielfalt zu gewährleisten, werden in einem zweiten Schritt die potenziell Teilnehmenden für den Bürgerrat nach bestimmten Kriterien und Quoten analysiert“, heißt es dort. Was genau diese Kriterien sind, erfährt man nicht. Aber man kann es sich denken. Allerdings bedeutet das im Umkehrschluss wohl auch: Wer sich dazu etwas denkt, entspricht wohl nicht mehr den Kriterien.
Des Weiteren erfährt man über den Auswahlprozess, dass dabei die Bürger angerufen und „bei passenden Kriterien eingeladen“ werden, sich zu bewerben. Auf die verbliebenen Plätze können sich daraufhin interessierte Bürger bewerben. Nochmals betont die Bertelsmann-Stiftung, dass überprüft werde, „ob die interessierten Personen den vorab festgelegten Kriterien entsprechen“.
Man mag es ermüdend finden, auf diesem Aspekt derart zu beharren, doch zehrt die ganze Mär vom Bürgerrat ja von der vermeintlichen Repräsentanz der zufällig ausgewählten Bürger. Die Realität ist vielmehr, dass nur die erste Kontaktaufnahme zufällig erfolgt, die Auswahl aber anhand nicht näher festgelegter Kriterien erfolgt.
Alte Bekannte und ihre Eigeninteressen
Dazu kommt erschwerend, dass dem Bürgerrat im eigentlichen Prozess dann Experten vorgesetzt werden, die die Bürger zum Thema Desinformation beraten. Die Auswahl dieser Experten obliegt – selbstverständlich – dem Träger und dem Projektbeirat. Womit eine zweite Ebene vermeintlicher Objektivität entzaubert wäre. Anstatt aus einem zufälligen Querschnitt der Bevölkerung, der sich breit und möglichst vielfältig zu einem Thema informiert, besteht der Bürgerrat aus einer handverlesenen Gruppe von Bürgern, die Tipps von ebenso handverlesenen Experten erhalten.
Selbstverständlich wird auch bei den Experten hoher Wert auf „Diversität“ gelegt, sowohl was deren „Denkschulen und Positionen“ angeht, als auch deren persönliche Attribute, wie z.B. das Geschlecht.
Wer aber steckt hinter dem entscheidenden Projektbeirat? Das wird nur zum Teil beantwortet. Neben der Bertelsmann-Stiftung selbst gehören auch das Bundesministerium des Inneren sowie die „Stiftungen und Unterstützer“ des Projekts dem Beirat an. Zu letzteren zählen vor allem die Stiftung Mercator (TE-Lesern bekannt als Mitbegründer der Agora Energiewende) und die Michael Otto Foundation for Sustainability des gleichnamigen Vorstandsvorsitzenden der Otto Group.
Pikant an Ottos Beteiligung ist, dass dieser bereits 2011 aufgrund der prekären Arbeitsbedingungen bei der Tochterfirma Hermes Europe in die Kritik geriet. Gleichzeitig ist Otto bereits seit Jahrzehnten aktives Mitglied diverser philanthroper NGOs. So hält er nicht nur den Ehrenvorsitz des Stiftungsrates des WWF Deutschland inne, sondern auch Präsident der Stiftung KlimaWirtschaft, war bis 2014 Aufsichtsratsmitglied der Axel Springer SE, rief 2016 das IPSO Projekt zur psychologischen Unterstützung Geflüchteter ins Leben und war mit einer Anschubfinanzierung hauptverantwortlich dafür, dass der Weltzukunftsrat die Heimatstadt Ottos, Hamburg, als sein Zentrum auserkor.
Wer hinter Ottos Bestrebungen aber reine Philanthropie vermutet, der irrt wohl. Denn bereits 2015 verlautbarte Otto, einen Großteil seines Vermögens in eine gemeinnützige Stiftung übertragen zu wollen, mit der Otto kulturelle, ökologische und soziale Projekte förderte. Dieses Konstrukt solle, so berichtete damals das Handelsblatt, sicherstellen, dass „die Familie langfristig den Einfluss über den Otto-Konzern behält und die Mehrheit an dem Unternehmen nicht an fremde Investoren veräußert wird.“
2019 titelte die NZZ, Otto habe als einziges Versandhaus Europas den digitalen Wandel überlebt. In diesem Interview bekannte Otto bereits in den 70er-Jahren „Die Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome gelesen zu haben. Seitdem habe er – unter anderem mit der Gründung der „Foundation 20“ – sich als wirtschaftlicher Großlobbyist etabliert, der Druck auf Regierungen weltweit ausübt um jene Nachhaltigkeit einzufordern, die seinem Konzern zu einer de facto Monopolstellung im Versandhandel verhalf.
Auftraggeber, Berater und Empfänger in Personalunion
Weitere Unterstützer des Projekts sind das Nachrichtenportal T-Online, der Verein Deutschland sicher im Netz e.V., die Initiative #UseTheNews, sowie der bereits erwähnte Projektbeirat. Folgt man allerdings der Eigendefinition des Beirats, so setzt dieser sich aus just denselben Stiftungen und Unterstützern zusammen, die er berät. Mit anderen Worten: Man berät sich selbst, womit der Kreislauf der Kontrolle, der sich auch schon bei der Zusammensetzung des Bürgerrats und dessen Experten zeigte, sich fortsetzt
Besonders interessant ist dies im Hinblick auf die Beteiligung des BMI, denn dieses ist nicht nur Kooperationspartner des Projekts und in beratender Funktion Teil des Beirats, sondern darüber hinaus auch endgültiger Empfänger der Resultate des Projekts. Denn nach einer (noch bis zum 12. Mai laufenden) Online-Abstimmung über die Vorschläge des Bürgerrats, sollen das resultierende Gutachten mit „Politikempfehlungen“ im September an das BMI, die Bertelsmann-Stiftung, sowie an „weitere Ministerien, Bundestagsausschüsse sowie Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker aus Bund und Ländern“ weitergeleitet werden. Das BMI würde die „darin enthaltenen Politikempfehlungen“ dann „zur Erarbeitung der Strategie zum Umgang mit Desinformation“ nutzen.
Was also bewusst den Anschein einer basisdemokratischen Initiative erwecken soll, entpuppt sich als gesteuertes Schauspiel um die eigenen Politpläne voranzutreiben. Das BMI organisiert ein Projekt, bei dem Bürger nach nicht näher spezifizierten Kriterien vorselektiert werden, die danach von vom BMI und seinen Handlangern ausgewählten Experten dem BMI genehme Ansichten präsentiert bekommen, und die abschließend ein Gutachten entwickeln, das dem BMI und anderen Ministerien als Handlungsanweisung mit dem Stempel „Volkeswille“ vorgelegt wird.
Sehr viel Aufwand, nur um den Schein des Modeworts „Demokratie“ zu wahren.
Worum geht es eigentlich?
Ach ja, nur zur Information: Das Projekt „Forum gegen Fakes“ hat das Ziel, „eine bundesweite Debatte zum Umgang mit Desinformation anzustoßen“. Zu weiteren hohlen Phrasen aus der Projektbeschreibung zählen:
- „Stärkung des demokratischen Dialogs“
- „Kompetenzen zur verantwortungsvollen Nutzung unterschiedlicher Medien steigern“
- „Qualitätsjournalismus“
- „Widerstandsfähigkeit gegen manipulierte Information“
- „Einflussnahme durch fremde Staaten, z.B. auf unsere Wahlen“
- „Gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken
Man könnte an dieser Stelle den Prozess aber auch abkürzen und die ohnehin feststehenden Ergebnisse bereits jetzt verkünden:
- Die Demokratie ist bedroht von Extremisten, vor allem von rechts
- Linke NGOs müssen noch mehr Geld bekommen um Faktenchecker und ähnliche Propagandaorgane zu finanzieren
- Unliebsame Wahlergebnisse sind das Resultat von Putins Trollfabriken
- Alternative Medien sollte man am besten verbieten
- Die AfD natürlich auch
- Tagesschau kucken, hier wird ihnen informiert
Diese kosteneffiziente Analyse möge dem BMI Anlass sein bei der nächsten Gefälligkeitsumfrage die Gelder lieber direkt an den Autor dieser Zeilen zu überweisen. Kontonummer erhältlich über info@tichyseinblick.de.
Wer aber, abseits von jedem Spott, die Vorschläge des Bürgerrats noch kommentieren möchte, bevor diese den Weg zurück zum BMI finden, der kann dies online unter folgendem Link tun.