Tichys Einblick
Ungarn und China

Nein, Xi Jinping will die EU nicht spalten

Es gibt Kritik an der Europareise des chinesischen Präsidenten: Xi wolle Europa spalten. In Wirklichkeit ist es die EU, die eine neue Abschottungspolitik betreibt. Dem will Xi entgegenwirken.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Vivien Cher Benko

Am Mittwochabend landete Chinas Staatspräsident Xi Jinping in Budapest mit drei Flugzeugen und einer Mammut-Delegation von 400 Mitgliedern. Für sie wurde das komplette Hilton Hotel reserviert.

Es war der Auftakt eines dreitägigen Staatsbesuchs, der für Xi selbst den Höhepunkt seiner Europareise darstellte – die erste seit fünf Jahren. Zuvor war er in Paris von Staatspräsident Emmanuel Macron empfangen worden, auch EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hatte sich die Mühe gemacht und war nach Paris gereist, um Xi dort zu treffen. Das war schon protokollarisch bemerkenswert: Der chinesische Staatschef ging nicht nach Brüssel, sondern von der Leyen kam zu ihm.

Danach besuchte er Belgrad, wo er mit Staatspräsident Alexandar Vucic verhandelte. Und schließlich Budapest, auf Einladung von Staatspräsident Tamás Sulyok, um das 75jährige Bestehen diplomatischer Beziehungen zwischen (dem damals kommunistischen) Ungarn und China zu feiern.

Wirklich gefeiert wurde aber etwas anderes: Xi bezeichnete die ungarisch-chinesischen Beziehungen als ein Modell dafür, wie Beziehungen zwischen der ganzen EU und China aussehen könnten.

Ungarn als Vorbild für die EU: Ganz so sieht man es in Brüssel nicht. Obwohl objektiv gesehen in so mancher Frage Positionen, die zuerst Ungarn als politische Innovation einführte, schließlich mehr oder minder von der EU und vielen Mitgliedstaaten übernommen wurden, etwa in der Migrationspolitik. Orbán zu loben ist dadurch aber nicht salonfähiger geworden.

Dass Xi nur zwei EU-Länder besuchte, Frankreich und Ungarn, hat einen einfachen Grund. Macron war der erste, der – bereits 2017 – das Konzept einer „strategischen Autonomie” für die Europäische Union lancierte. Das Echo aus Deutschland blieb bescheiden, Orbán aber horchte auf und die beiden Staatsmänner tauschten mehrfach dazu ihre Gedanken in recht langen Gesprächen aus. Einander lobten sie öffentlich als Politiker mit zivilisatorischer Vision.

In einer internen Rede vor Fidesz-Anhängern erläuterte Orbán 2021, wie Macrons Konzept zu verstehen sei: Es mache nur Sinn vor dem Hintergrund der Annahme einer dauerhaften Schwächung Amerikas in der Welt. Aus diesem Grunde müsse die EU sich von den USA emanzipieren und – bei Wahrung enger Verbundenheit mit Washington – eigene Wege gehen, ihre eigenen Interessen vertreten.

Es geht also um den Platz Chinas, der EU und der einzelnen europäischen Länder in einer neuen Weltordnung, die nicht mehr von den USA dominiert wird.

Die USA – so die ungarische Analyse – haben ihren relativen Niedergang und auch den der EU erkannt, und eine Antwort darauf gefunden: Abschottung. Die Eliten des Westens, bislang als „Globalisten” bekannt, wollen heutztage entglobalisieren. Das ist nicht gut für China, nicht gut für Ungarn und Frankreich, und wenn man es recht bedenkt: auch nicht gut für Deutschland und die EU.

„Die Globalisten haben den Freihandel per se nie ernst gemeint”, sagte mir Balázs Orbán, der Strategieberater Viktor Orbáns, in einem Gespräch vor einigen Monaten. Der Transparenz halber: Er ist mein Chef beim Mathias Corvinus Collegium in Budapest.

Balázs Orbán zufolge sei es den Globalisten nie um Freihandel an sich gegangen, sondern sie „sahen es als ein Instrument, um ihre Machtpositionen in der Welt zu stärken”. Das habe aber nicht funktioniert: Die Globalierung „hat nicht den Westen gestärkt, sondern die Rivalen des Westens.” China stieg auf zur wirtschaftlichen Supermacht.

Nun also findet eine Kehrtwende der westlichen Strategie statt: Zunehmende Abkopplung der EU, der USA und ihrer Verbündeten von den aufstrebenden Rivalen wie China und Russland. Man nennt es freilich nicht so, sondern „de-risking”, Risiko-Abbau. „Damit verbunden ist politischer Druck auf alle Verbündeten: Sie sollen entscheiden, ob sie dazu gehören wollen oder außen vor bleiben”, meint Balázs Orbán.

Für Ungarn kann das nicht gut sein, es will weiter globalen Handel betreiben mit so vielen Partnern wie möglich. „Konnektivität” nennt Orbáns Berater das Konzept. Dem Druck der EU und westlicher Mächte, sich von China abzukoppeln, will man widerstehen.

Das ist es, was Xi Jinping mit seinem Besuch sichtbar machen möchte: Ungarns „Konnektivität” und Frankreichs „strategische Autonomie” sind andere Worte für „globale Öffnung” jenseits der geopolitischen Interessen der USA.

Xi will die EU in diesem Sinne nicht spalten, Chinas Interesse ist vielmehr ein Verhältnis zur ganzen EU nach ungarischem Modell.

Offen gesagt, es war früher einmal das deutsche Modell, nur dass – typisch für die deutsche Politik – man dafür keinen auffallenden Begriff prägte. Dabei war Deutschland ein Vorreiter dieser „Öffnung nach Osten”, wie mir der damalige türkische Außenminister Ahmet Davutoglu 2011 in einem Interview für „Die Welt” sagte – Vorreiter für „besondere Wirtschaftsbeziehungen mit China, mit speziellen Mechanismen, die viel verfeinerter sind als unsere”.

Dieses deutsche Vorbild war auch ein Vorbild für Ungarns Chinapolitik. (Wie auch Ungarns Russlandpolitik ursprünglich dem deutschen Vorbild folgte.) Nun wird Ungarn dafür in Deutschland kritisiert.

Natürlich gilt der Besuch des chinesischen Präsidenten dem Ausbau der sowieso bereits sehr engen Beziehungen, es soll noch mehr Direktflüge geben zwischen Budapest und chinesischen Großstädten – schon jetzt gehören chinesische Touristen weit mehr zum Alltagsbild in Budapest als etwa muslimische Migranten. Rund 2.500 chinesische Studenten studieren an ungarischen Universitäten. Es gibt eine ungarisch-chinesische Schule – relativ einzigartig in der EU.

Schon seit langem betrachtet China Ungarn als seine logistische Drehscheibe in der EU. Vom griechischen Hafen Piräus gelangen chinesische Waren per Eisenbahn nach Budapest, von wo aus sie weiter verteilt werden in andere EU-Länder. Dafür läuft seit Jahren die Modernisierung der Trasse Belgrad-Budapest, finanziert über chinesische Kredite. Ein relativ neuer Schwerpunkt sind Elektroautos und Akkumulatorenfabriken. Bei Szeged wird eine Großfabrik des chinesischen E-Autobauers BYD errichtet – dort entstehen 3.000 Arbeitsplätze. Nicht zuletzt dank dieser Kooperation wächst der Anteil von E-Autos auf dem ungarischen Markt derzeit schneller als in fast jedem anderen EU-Land. Darüber hinaus werden Xi und Orbán mehrere neue Großprojekte ankündigen.

Aber nicht darum geht es Xi, sondern um das Zukunftsmodell einer dynamischen Kooperation mit Europa, statt einer europäischen Abkehr von China.

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