Kommen jetzt die Daumenschrauben gegen Erdogan? Das fordert der ansonsten eher unbekannte Innenpolitiker Stefan Heck (CDU) laut Bild angesichts der neuen Asyl- und Rückführungsprobleme mit dem Nato-Land und EU-Beitrittskandidaten Türkei. Dem Land sollen demnach hunderte Millionen an Aufbauhilfe nach dem Erdbeben in der Südosttürkei gestrichen werden – die allerdings schon längst geflossen sind. „Erdogan nimmt finanzielle Hilfen aus Europa gerne an, weigert sich aber beharrlich, eigene Staatsbürger zurückzunehmen“, meint Heck. Das passe nicht zusammen.
In den letzten Jahren haben die Asylanträge von türkischen Staatsbürgern in Deutschland stark zugenommen, von einst unter 10.000 im Jahr erst auf 24.000 im vorletzten Jahr (2022), dann auf über 61.000 im letzten Jahr. In diesem Jahr ist man auf dem besten Weg zu einer ähnlichen Zahl, mit bisher 15.000 Antragstellern.
Zoff ohne Folgen
Laut Bild sorgen diese Dinge „auch auf Regierungsebene für Zoff“. Mal wieder. Und wie üblich bleibt das ohne erkennbare Folgen. Innenministerin Faeser (SPD) könnte ja einmal ihren Kollegen Süleyman Soylu anrufen. Oder ist ihr der zu rechts? Ach so, nein, beim letzten Besuch 2022 äußerte Faeser kaum Kritik und lobte besonders die „gute Zusammenarbeit deutscher und türkischer Sicherheitsbehörden bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität und der illegalen Migration“ So ein Statement berührt beinahe ironische Sphären. Und welche Daumenschrauben hätte Faeser schon parat für Erdogan oder andere Autokraten mit undichten Landesgrenzen? Ihre Kabinettskolleginnen Baerbock und Schulze kämpfen ja gerade um den Erhalt der Entwicklungstöpfe, die man gerne gratis und ohne Gegenleistung verteilt.
Eine zweiköpfige Hydra aus „Repression und Inflation“ wird nun am Bosporus und in Anatolien ausgemacht. „Die Erdoğan-Migranten“ heißt es unheilsschwanger in der Zeit, ein Beitrag von Can Dündar, der allerdings über Waffenlieferungen der Erdogan-Türkei an radikale Milizen in Syrien berichtet hatte und in der Folge einige Probleme mit der türkischen Justiz (oder dem Staat) bekam. Aber dieser Ausnahmefall dürfte auf die wenigsten der neuen Asylbewerber zutreffen. Laut verfügbaren Zahlen liegt ihre „Anerkennungsquote“ als irgendwie Flüchtlinge bei 8,4 Prozent. Mehr als 60 Prozent der Anträge gelten sogar deutschen Behörden laut Bild als „offensichtlich unbegründet“.
Dündar malt ein Bild der emigrierenden Zivilgesellschaft
Natürlich findet Dündar eine Menge Anlässe, aus denen man die Türkei auch aus irgendwie weltanschaulichen Gründen verlassen kann oder konnte: die Militärputsche von 1960 bis 1980, Verfolgung religiöser Minderheiten (neben Aleviten gehören hier auch orthodoxe und andere Christen zu den Verfolgten und Drangsalisierten) und dann natürlich noch das ungelöste Kurdenproblem. Werden diese Gründe gerade mehr oder stärker? Eher sind sie zurückgegangen. Die eigenständige Macht des Militärs scheint kaum mehr gegeben, die legitimen Interessen von Christen werden zwar weitgehend ignoriert, aber um Leib und Leben müssen sie heute weniger fürchten als noch im Pogrom von 1955 gegen die Christen (Griechen und Armenier) Konstantinopels. So sieht auch Dündar die Motive der neuen Türkei-Emigranten vor allem als „sozial“, weniger als politisch an.
Daneben hält der EU-Rechnungshof auch den bisher sechs bis zehn Milliarden Euro schweren Türkei-Deal für nicht nachhaltig. Anscheinend sind hier eine Menge Gelder für Bildungsmaßnahmen oder auch Unternehmensgründungen verbucht worden, nur überprüft wurde das nie. Gibt es also die Schulen für die Flüchtlinge wirklich? Man kann es vermutlich kaum wissen. Das ist freilich noch nicht der größte Nachteil der „gemeinsamen Erklärung“ für die EU. Gravierender ist: Entgegen den anfänglichen Behauptungen, dass illegal aus der Türkei einreisende Migranten in das Land zurückgeschickt werden sollten, machten die Migrationsströme aus der Türkei auch in den vergangenen Jahren einen Großteil der deutschen Asylstatistik aus, teils über Griechenland, dann auch wieder über die Flughäfen von Belgrad oder Minsk. Millionen kamen so ins Land und wenige Tausend wurden zurückgeführt.
AfD will Rückführungen von Syrern mit Erdogan organisieren
Die Vizechefin der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU), kritisierte die neueren Gesetzesprojekte und Kommunikations-Stunts der Bundesregierung. „Ein zusätzlicher Pull-Faktor“ sei die von der Ampel beschlossene doppelte Staatsbürgerschaft, mit der „die Bundesregierung ja auch aktiv“ werbe. „Frau Faeser und die Ampel reden zwar von Begrenzung, handeln aber nach wie vor völlig unzureichend und kontraproduktiv.“ In der Tat versucht die Ampel schon jetzt, die erleichterte Einbürgerung als Argument für weitere Zuwanderung etwa aus dem arabischen Kulturkreis zu nutzen (TE berichtete, übrigens noch vor anderen Medien wie Nius oder Bild).
Derweil strebt die andere große Oppositionspartei eine gänzliche Neuordnung der deutschen Türkeipolitik an. AfD-Spitzenkandidat Maximilian Krah hatte schon im letzten Jahr davon gesprochen, dass Erdogans Politik durchaus im Interesse der Türkei sei, dass die AfD aber im Falle einer Regierungsübernahme mit der türkischen Führung über eine „Rückführung syrischer Geflüchteter“ sprechen wolle. Daneben hat die AfD-Fraktion im Bundestag sich kritisch zum Vorgehen der Türkei in Syrien und dem Irak geäußert und dort Schutzzonen gefordert.
Der Chef der Bundespolizei-Gewerkschaft, Heiko Teggatz, hält die aktuellen Zahlen für „mehr als alarmierend“. Es handle sich doch um ein sicheres Herkunftsland, einen Nato-Partner und EU-Beitrittskandidaten. Da gebe es „keinen plausiblen Grund dafür, dass die Türkei insbesondere Sammelrückführungen“ im Charterflieger ablehnt. Teggatz rät zu einer dreifachen Abwehrstrategie: „EU-Grenzschutz weiter ausbauen, Pull-Faktoren ausmerzen und Ausreisepflichtige konsequent abschieben.“ Aber an allen drei Dringen hapert es, seit Olaf Scholz im Kanzleramt sitzt, nicht nur im Kontext der Türkei – auch wenn der Kanzler es gelegentlich anders klingen lässt.