Tichys Einblick
Staftatbestand für Attacken auf Politiker

Bald Zwei-Klassen-Justiz für Bürger und Politiker?

Auf der Innenministerkonferenz soll ein eigener Straftatbestand für Attacken auf Mandatsträger eingeführt werden. Die Zeiten seien unsicherer geworden. Für die Bevölkerung, die schon länger unter der Erosion des Rechtsstaats leidet, kann das nur purer Hohn sein.

IMAGO / Marten Ronneburg

Kehrt das Privileg im Rechtssystem zurück? Zumindest wabert eine bemerkenswerte Idee durch den Nebel der Bundespolitik. Die heute stattfindende Innenministerkonferenz (IMK) soll sich mit Schutzmaßnahmen angesichts einer „neuen Dimension“ der „antidemokratischen Gewalt“ beschäftigen, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Diese Schutzmaßnahmen sollen den „demokratischen Kräften“ im Land gelten.

Bereits da könnte man hellhörig werden. Denn Gewaltexzesse betreffen seit vielen Jahren die ganz normalen Bürger. Ob nun zu Silvester, im Freibad oder auch auf dem Weihnachtsmarkt: Der Unsicherheitsfaktor ist gestiegen. In vielen Fällen steht der Rechtsstaat schulterzuckend daneben. Täglich entstehen neue Barrikaden und Festungszüge. Indes fürchtet die Politik vornehmlich um ihre eigene Sicherheit. Stichwort: der Burggraben vor dem Bundestag.

Das Burggrabendenken äußert sich nicht nur darin. Denn wenn Feaser die besonderen Schutzmaßnahmen andeutet, dann folgt konsequenterweise die Frage: warum eigentlich nur die Politiker? Sind „demokratische Kräfte“ wertvoller als die der Unsicherheit ausgelieferten Bürger? Wohlhabenden können Gates Communities hochziehen und private Sicherheitsleute engagieren. Was ist mit jenen „sozial Schwachen“, um die einst die SPD so innig warb? Ein böses Wort aus Orwells Animal Farm kommt in den Sinn.

Den besonderen Schutzstatus von Politikern bringt auch Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) ins Spiel. Es brauche einen „neuen Straftatbestand“ für die Bedrohung von Mandatsträgern, Amtsträgern und Ehrenamtlern. Schuster gibt zwar selbst zu, dass es zwar einen politischen Hintergrund beim Täter im Fall Matthias Ecke gäbe, aber eben keine politisch nachweisbare Motivation. Dennoch nutzt man mittlerweile jedes rauchende Streichholz, um eine versuchte Brandstiftung am Parlament herbeizureden.

Moderator Ingo Zamperoni spinnt die Geschichte fort: Könne man denn überhaupt den Wahlhelfern empfehlen, Wahlkampf zu machen, in diesen Zeiten? Ein Hauch von Rathenau weht durch die Tagesschau. Da ist er wieder, der Weimar-Sound. Die Nazis haben in Potsdam dieses Mal sogar schon Wannsee vor der Machtergreifung vorbereitet, da braucht man nun noch die Atmosphäre der politischen Attentate. Dass die AfD selbst von solchen Attacken bedroht ist, dass diese auch aus dem linken Milieu kommen – nun denn, man will die Gruselstimmung nicht stören.

Doch das bleibt hängen: Ein eigener Straftatbestand muss her. Während noch vor wenigen Jahren die Linke die Unzeitgemäßheit des Paragrafen zur Beleidigung hoher Amtspersonen kritisierte – etwa bei der Beleidigung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan –, pocht nun dieselbe politische Ecke darauf, es bräuchte eine Sonderbehandlung von Attacken auf Amtsträger. Ein ganz ähnlicher Geist ruht im Demokratiefördergesetz, ruht in der Delegitimation des Staates. Was dem einen erlaubt ist, ist dem anderen noch lange nicht erlaubt. Wie ein X-User schon richtig sagte: Wie kann man das anders nennen als Zwei-Klassen-Justiz?

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