Die CDU hat ihren Parteitag sehr gut vorbereitet – das können sie dort: auf Einigkeit zu machen, wo wenig Einigkeit ist. Als Friedrich Merz am 6. Mai 2024 um 11.48 Uhr mit 32 Minuten Verspätung ans Rednerpult tritt, brandet ihm Applaus entgegen. Um Einigkeit geht es, zumal Daniel Günther kurz vor dem Parteitag noch einmal die Rückkehr zu Merkels Politik angemahnt hatte. Und genau hierin wird ihn Friedrich Merz in seiner Rede nicht enttäuschen.
So viel lässt sich bereits sagen: Die Delegierten können aufatmen, die Partei ist wieder bei sich angekommen, bei Angela Merkel. Merz, für einige der Schrecken, für andere die Hoffnung, hat sich eingemeinden lassen. Man kann es auf den Punkt bringen: Die Schrecken waren so grundlos wie die Hoffnungen.
Natürlich greift Merz in seiner Rede die Ampelregierung an, natürlich behauptet er, dass die CDU in der Lage wäre, sofort die Regierung zu übernehmen. Sie würde ja auch grundsätzlich wenig anders machen – in der Form schon, im Inhalt kaum – als die Ampel. Sie würde die gleiche falsche Klimapolitik als Wirtschaftspolitik wie die Grünen machen. Kein Wort dazu, wie Robert Habeck im AKW-Skandal getäuscht und getrickst und die Unwahrheit gesagt hat, keine CDU, die sich als Opposition erweist, nur eine inzwischen ergraute Kritik am sogenannten ,Heizungsgesetz‘ (GEG) hört man von Merz.
Über allgemeine Floskeln wie: „Wir glauben nicht an den Staat, der alles lösen kann und soll. Wir glauben an die Menschen. Wir denken vom einzelnen Menschen her, nicht vom Kollektiv. Das unterscheidet uns fundamental vor allem von Sozialdemokraten und Grünen“, kommt Merz nicht hinaus. Das ist die Methode wasche mir den Pelz, aber mache mich nicht nass – schließlich will Merz mit den Grünen regieren. Deshalb kommt auch viel Lob aus der grünaffinen ARD zu Merzens Rede: „Auf populistische Angriffe verzichtete Merz. Seine deutlichste Kritik galt der AfD.“ Man könnte kommentieren, wenn die ARD dich lobt, weißt du, wo du stehst.
Merz ist also auf Linie oder besser: eingebrandmauert, was heißt, dass er nur mit der SPD oder den Grünen oder mit beiden eine Regierung zustande bringen kann, je nachdem, wie die Wahlergebnisse ausfallen. Doch hinter der Brandmauer sind alle Parteien grün. Eine staatstragende Rede wird ihm attestiert, eine, die also wenig Konkretes aussagt. Merz scheint über weite Strecken vom Blatt abzulesen.
Was würde denn mit der Union wirklich besser – und nicht nur ein bisschen anders werden, wenn sie sich in eine Koalition mit den Grünen begibt? Ein Blick auf NRW, auf Baden-Württemberg oder gar auf Schleswig-Holstein lässt wenig Hoffnung zu. Dass ein Mann, der Bundeskanzler werden möchte, lieber heute als morgen das Amt von Olaf Scholz übernehmen möchte, dürfte kaum erstaunen. Dass er deshalb ein wenig die SPD und etwas weniger die Grünen angreift, auch nicht.
Es klingt schön, wenn Merz die „Agenda für die Fleißigen“ durchsetzen will und das Bürgergeld wieder abschaffen möchte, doch was er stattdessen machen möchte, verschwindet im Nebel der Phrasen. Er feiert sich und die CDU für die Einführung des Kindergeldes, für den Kündigungsschutz und den ersten Mindestlohn. Das Wort Lohnabstandsgebot, dessen Einhaltung eine der wichtigen Schlüsselsätze für eine „Agenda der Fleißigen“ wäre, kommt weder im Grundsatzprogramm der CDU vor, das vom Parteitag verabschiedet werden soll, noch in der Parteitagsrede. Dass die zum Jahreswechsel angekündigte Anhebung des Bürgergeldes um rund zwölf Prozent das „Lohnabstandsgebot“ verletzen würde, hat Merz wohl zum letzten Mal 2023 geäußert, jedenfalls nicht auf dem Parteitag. Der tiefe Kotau vor dem mächtigen Chef des Arbeitnehmerflügels der CDU, vor Karl-Josef Laumann, oder die kleine Referenz an Gitta Connemann, der Chefin der Mittelstandsvereinigung der CDU, wird zum Lob führen, dass Merz die Flügel der CDU zusammengeführt habe.
Auch wenn man im Grundsatzprogramm den konservativen Flügel erwähnt, so kann das nur Nostalgie sein, denn einen konservativen Flügel gibt es in der CDU nicht mehr. Wer soll das sein? Daniel Günther? Lustig, dass der ÖRR plötzlich das Konservative im neuen Grundsatzprogramm entdeckt und es lobt, denn es ist so konservativ, wie Angela Merkel konservativ war. Nachdem man die Konservativen aus der Partei gedrängt hat, nimmt man ihnen nun auch noch den Namen weg.
Zwar kritisiert Merz die Demonstrationen, auf denen gefordert wurde, dass Deutschland zu einem Kalifat werden müsse, doch folgt er Nancy Faeser darin, dass er den Islamismus mit dem Rechtsextremismus framt: „Wir alle müssen uns heute zu Recht sagen und sagen lassen, dass wir den Rechtsextremismus in Deutschland jahrelang unterschätzt haben. Und zahlreiche Menschen in Deutschland haben diese politische Fehleinschätzung mit ihrem Leben bezahlt, mit Walter Lübcke aus Kassel auch einer aus unseren eigenen Reihen.“ Damit ist das Thema Islamismus entschärft. Das kann man auch Brandmauer-Syndrom nennen.
Merz kritisiert, dass die irreguläre Migration die Integrationsfähigkeit Deutschlands überfordern würde. Doch dass es so nicht weitergehen könne, hören wir auch von Nancy Faeser. Im neuen Grundsatzprogramm heißt es dazu: „Wir wollen mehr Humanität bei der Aufnahme von Schutzbedürftigen schaffen. Aus diesem Grund setzen wir uns für einen grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts ein.“ Zwar will man das EU-Konzept der sicheren Drittstaaten, gleichzeitig aber: „Das Konzept der sicheren Drittstaaten soll nicht dazu führen, dass Europa sich aus seiner humanitären Verantwortung stiehlt. Wir sprechen uns deshalb dafür aus, dass nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzeptes eine Koalition der Willigen innerhalb der EU jährlich ein Kontingent schutzbedürftiger Menschen aus dem Ausland aufnimmt und auf die Koalitionäre verteilt.“ Und besonders willig dürfte weiterhin Deutschland sein. Das erinnert auch an Nancy Faeser, markig zu reden, statt konsequent zu handeln. Und wie Nancy Faeser ist auch Friedrich Merz ein Hintertürenartist.
Grenzschutz kommt im Grundsatzprogramm nur im Zusammenhang mit dem Schutz der EU-Außengrenzen vor. Nicht einmal hier wagt Merz den Bruch mit Merkel, denn schließlich ist Merkel und ihre Entourage dafür verantwortlich, dass es nun notwendig ist, „die Kontrolle über die Migration“ zurückzuerlangen, wie es im Grundsatzprogramm heißt. Aber wie hat es vor nicht allzu langer Zeit Hendrik Wüst noch betont: „Für die deutsche Kanzlerin war klar, Gewalt an innereuropäischen Grenzen darf es nicht geben. Die Grenzen bleiben offen. Außer Zweifel aber steht, es war eine Entscheidung aus Führung und Verantwortung und ein großer Akt der Humanität.“
So arbeitet sich am Blatt bleibend Friedrich Merz durch die unterschiedlichen Politikfelder durch, langweilt die Delegierten, formuliert statt konkreter Vorstellungen geschliffene, aber häufig leere Floskeln, die in jedes CDU-Poesiealbum passen würden, und meidet vor allem eins: die Kritik an Angela Merkel und die Aufarbeitung zweier wichtiger Politikfelder, in denen die CDU schwere Schuld auf sich geladen hat – die Pandemiediktatur und die Turbomigration in die deutschen Sozialsysteme.
Sicher, hätte Merz hier Kante gezeigt, hätte seine Wiederwahl in Frage gestanden. So wird seine Wiederwahl auf einem faulen Kompromiss beruhen.
Scharf wird Friedrich Merz erst, als es gegen Ende und zum Höhepunkt seiner Rede gegen die AfD geht. AfD-Politiker nennt Merz „Typen“. Nicht die Grünen, die AfD ist der Hauptfeind der CDU. Wer also schwarz wählt, wird grün bekommen.
Laut Merz sind es Parteien wie die AfD, die „viel unserer Werte, aber auch unser Europa ablehnen, verspotten und von innen zerstören wollen“. An dieser Stelle läuft Merz zum ganz großen Oppositionsführer auf, als Führer der Opposition gegen die AfD. Es ist bezeichnend für die Funktionärs-CDU, für die Merkel-CDU, dass erst ab dieser Stelle, erst nach einer Stunde Redezeit wirklich großer Beifall aufbrandet. Von dieser Zustimmung getragen, taumelt er in ein geradezu wilhelminisches Pathos: „Wir leben heute in Freiheit, in Wohlstand, im Frieden.“
Die Freiheit wurde durch die CDU bereits in der Pandemie-Politik aufgehoben, sie wird stärker durch Wüsts Meldestellen und Haldenwangs Beobachtungsbereich „Delegitimierung des Staates“ bereits unter der Strafbarkeitsgrenze in Frage gestellt, und in einem Land, das zunehmend deindustrialisiert wird und in dem nur die NGOs und die Subventionen wachsen, kann man wohl kaum von Wohlstand sprechen.
Und Frieden? Aber Merz ist sich sicher: „Das zu bewahren, das weiterzugeben, vielleicht noch besser weiterzugeben: Das ist unsere Aufgabe. Das ist unsere Pflicht. Als Väter. Als Mütter. Als Demokratinnen und Demokraten. Als Europäerinnen und Europäer. Als Deutsche. Als Volkspartei und als die CDU Deutschlands.“ Für die Attacke auf die AfD, für die sich selbst bloßstellenden Phrasen bekommt Friedrich Merz fast 10 Minuten Beifall, anderthalb Minuten mehr als Angela Merkel bei ihrem letzten Parteitag. Man fühlt sich also wohlig an Angela Merkel erinnert.
Doch die fast 10 Minuten Applaus reichen am Ende doch nur für 89,8 Prozent der Stimmen. Erwartet hat man parteiintern wenigstens 90 Prozent. Bei der letzten Wahl hatte Merz noch 95,3 Prozent der Delegierten von sich überzeugen können. Selbst sein Generalsekretär Carsten Linnemann überflügelte ihn mit 91,4 Prozent. Linnemann hatte im Vorfeld die Rede, die Merz halten wird, charakterisiert: „Ich erwarte eine staatsmännische Rede, eine in die Zukunft gerichtete. Und eine Rede, die diesem Land endlich mal einen Plan gibt. Friedrich Merz ist der Mann mit dem Plan. Olaf Scholz hat keinen Plan.“
Das mag sein, aber auch der Plan von Friedrich Merz changiert an wichtigen Stellen grün. Eine Delegierte aus Bremen bringt die Stimmung der Merkel-Merz-Partei auf den Punkt, wenn sie meint, dass trotz der Kriege, die die äußere Sicherheit gefährden, der Klimakrise und der Schwierigkeiten, die sozialen Sicherungssysteme zu erhalten, die CDU zuversichtlich sein kann, „weil unser Grundsatzprogramm die Lösungen bietet für diese Probleme“.
Noch demonstrieren die Landesfürsten Einigkeit. Daniel Günther sagte dann auch: „Lieber Friedrich, ich will das ausdrücklich respektieren: Du bist ein hervorragender Partei- und Fraktionsvorsitzender.“ Und Boris Rhein lobte, dass die Partei unter Merz so viel Profil gewonnen habe. Man fragt sich unwillkürlich: welches? Und Hendrik Wüst ließ sich sogar dazu hinreißen, den Parteitag aufzufordern, Merz den Rücken zu stärken und ein Signal der Geschlossenheit zu senden. In den Rücken fallen kann man ihm schließlich immer noch, wenn sich die Zeiten ändern.
Doch ein Gesinnungswandel steckt nicht dahinter. Der Kanzlerkandidat ist noch nicht bestimmt und er wird auch erst nach den Wahlen in Ostdeutschland auserkoren. Einer muss schuld sein für die Klatsche, die die CDU in Ostdeutschland erhalten wird. Merz weiß das, deshalb sendet er auch ein Stoßgebet in den CDU-Himmel: „Wenn wir uns auf dem nächsten Parteitag wiedersehen, dann möchte ich besonders herzlich begrüßen den wiedergewählten Ministerpräsidenten Michael Kretschmer in Sachsen, den neuen Ministerpräsidenten von Thüringen, Mario Voigt, und den neuen Ministerpräsidenten von Brandenburg, Jan Redmann.“
Dazu wird es wohl nicht kommen, es sei denn Voigt, Kretschmer und Redmann lassen sich von den Linken in Thüringen, vom BSW in Sachsen wählen – und für Redmann wird es so oder so nicht reichen.