Tichys Einblick
studentische Sturmtrupps tragen Regenbogen

Breaking Bad im Hörsaal: giftige Lehren für die Gesellschaft

Die Extremisten der Gegenwart arbeiten heute an den Universitäten – in Deutschland sogar mit Beamtenstatus. Sie bauen Hochschulen in Labore für Ideen zur Delegitimierung des Westens um. Noch wäre Zeit, dieses Treiben zu stoppen.

IMAGO / SOPA Images

In früheren Zeiten, als der Glaube an die Übersichtlichkeit noch geholfen hatte, richtete sich der Blick auf die Parteien und ihre Vertreter, wenn es darum ging, die Breite des politischen Spektrums abzuschätzen. Es gab Extremisten und Radikale an beiden Rändern, daraus ergab sich die ungefähre Mittelposition. Historisch dominierte meist eine der beiden Seiten. Das verhält sich auch heute noch grundsätzlich so – nur mit dem Unterschied, dass die meisten radikalen politischen Ideen heute gar nicht im Bereich der Parteien entstehen. Wer nach Befürwortern extremistischer Überzeugungssysteme sucht, muss seinen Blick auf die Universitäten eines Landes werfen. Dann zeigt sich auch die zweite Neuerung gegenüber dem alten Streitschema: Dort, wo Begriffe, Dogmen und ganze gesellschaftsbestimmende Denksysteme entstehen, existiert kein Spektrum, das von links bis rechts reicht. Selbst eine Mitte lässt sich meist nur schwer ausmachen. Nicht, dass es sie gar nicht gäbe. Aber sie artikuliert sich im akademischen Betrieb der Gegenwart bestenfalls zaghaft.

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Wer die Definitionsmacht immer noch im klassischen partei- und regierungspolitischen Betrieb vermutet, versteht im Wortsinn die westliche Welt nicht mehr. Der gesamte Sinnproduktionsapparat, die Laboratorien für Ideen, Begriffe und die dafür unvermeidlichen Verpackungserzählungen, befinden sich heute in den Hochschulen, den damit verbundenen Instituten, locker angekoppelten Stiftungen und sonstigen Organisationen. Alle zusammen genießen den Vorteil, sich weder einer Wahl stellen noch vor der Öffentlichkeit verantworten zu müssen. Die westliche Ideologiegeschichte der letzten drei Jahrzehnte handelt von diesen Laboren und sie muss auf angemessene Weise erzählt werden. Nämlich als eine Variante von Breaking Bad, aufgefächert in mehrere Staffeln.

Dieser Text kann noch nicht einmal eine davon bieten, sondern nur einen kurzen und sehr unvollständigen Blick auf den Typus des verbeamteten Extremisten mit Lehrstuhl und großer Anhängerschaft. Wie sich Hochschullehrer in glühende Prediger und Studenten in Gläubige verwandeln, zeigt sich exemplarisch für viele andere Orte auf dem Campus der New Yorker Columbia University, den nicht alle Studenten, aber eine gut organisierte und entschlossene Truppe in das “Gaza solidarity encampment“ verwandelte, eine Landnahme mit Zelten auf dem Areal, das eigentlich allen Angehörigen und Kommilitonen offenstehen sollte. Ein Video zeigt, wie sich die Besetzer sammeln, um einem „zionistischen“ Studenten den Zutritt zu versperren.

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Als zionistisch gilt in ihrem Sprachgebrauch jeder, der die Hamas nicht für eine Befreiungsbewegung und deren Massaker vom 7. Oktober 2023 nicht für „militärischen Widerstand“ (Judith Butler) hält. Wer dort Solidarität mit Gaza ruft, der kümmert sich nicht ernsthaft um die Zivilisten dort (um die Geiseln sowieso nicht). Ihre Blockade richtet sich nicht nur gegen Mitstudenten, die beispielsweise einen Davidstern an ihrer Halskette tragen und sich weigern, in die „Viva viva intifada“- und „we are Hamas“-Gesänge einzustimmen, sondern beispielsweise auch gegen Shai Davidai, einen jüdischen Wirtschaftsprofessor der Universität, der angekündigt hatte, auf dem Campus eine Gegenkundgebung abzuhalten.

Eine Menge, die Davidai als „Pro-Hamas-Mob“ beschrieb, hinderte ihn am Betreten des Hochschulgeländes; die Universitätsverwaltung deaktivierte seine Zutrittskarte mit der Begründung, es sei nicht möglich, seine Sicherheit zu garantieren. Der Campus-Rabbi der Columbia University, Elie Buechler, riet jüdischen Studenten aus dem gleichen Grund, vorerst lieber zuhause zu bleiben. Im Zentrum der Campusbewegungen an der Columbia steht der neuerwachte, also woke Antisemitismus, verpackt in Postkolonialismusphrasen. Israel und Hamas dienen ihnen nur als Anknüpfungspunkte für ein Glaubenssystem, das schon lange vor dem 7. Oktober existierte.

Die postmodernen studentischen Sturmabteilungen tragen Regenbogenfarben.

Die Studenten im Staat New York und an vielen anderen Hochschulen folgen radikalen Stichwortgebern des Wissenschaftsbetriebs, etwa Russell Rickford, Professor für Geschichte an der Cornell University, der öffentlich bekundete, ihn habe die Nachricht von den Massakern des 7. Oktober „berauscht” und „energetisiert”. Sean Malloy, Professor für Geschichte und “Kritische Rassen- und Ethnien-Studien“ an der University of California repostetete unmittelbar nach der Ermordung von 1200 Zivilisten in Israel auf X, dessen Autorin das „tapfere Paragliding“ lobte – also Hamas-Terroristen, die mit motorisierten Gleitschirmen auf dem Gelände des Rave-Festivals landeten, um dort dutzende Unbewaffnete zu töten und zu verschleppen.

Opfer sind die neuen Helden
Aus den Untiefen des Postkolonialismus
Die eigentlich hochtoxische Mischung, die viele nur nachreden und weiterreichen, stammt aus einem ganz bestimmten akademischen Labor, aus einem Fachbereich, der zwar keinerlei Kriterien für Wissenschaftlichkeit erfüllt, sich aber trotzdem an den westlichen Universitäten nach dem Muster selbstverstärkender Wahnsysteme ausbreitet: Postcolonial Studies, zu deutsch Postkolonialismus. Postcolonial Studies beschäftigen sich ebenso wenig historisch-kritisch mit Kolonialgeschichte, wie sich die Kritische Rassentheorie eines Ibram X. Kendi mit tatsächlichem Rassismus befasst. Im Postkolonialismus geht es um nichts weniger als die Delegitimierung des Westens. Die Lehre mit linkem Dekor teilt die gesamte Welt in Unterdrücker und Unterdrückte ein, in ‚Siedler‘ und ‚Indigene‘, wobei ausschließlich letztere das Anrecht auf angestammtes Land besitzen, das alle Blut-und-Boden-Fremden folglich zu Unrecht bewohnen. Unterdrücker sind ausnahmslos westlich und weiß, Unterdrückte ebenso exklusiv nichtweiß, weshalb die Weißen in dieser Ideologie die einzige Gruppe bilden, die für sich nicht den Status von Indigenen beanspruchen darf. Sie gelten überall außerhalb Europas als ‚Siedler‘, ‚Okkupanten‘, kurz, Kulturfremde und damit als legitime Angriffsziele, aber selbst in Europa nicht als ideelle Eigentümer ihrer Länder.

Nach der Postkolonial-Doktrin fallen sämtliche Israelis sowieso in die Kategorie westlich und weiß, egal, ob ihre Vorfahren aus Osteuropa, dem Iran oder Äthiopien stammen. Neuerdings gefallen sich die Vorkämpfer des Postkolonialismus in den USA darin, den Begriff ‚Turtle Island‘ zu verwenden, also ‚Schildkröteninsel‘, eine Formulierung, die selbst viele Amerikaner ratlos zurücklässt, die sich für progressiv und vertraut mit dem jeweils vorletzten Schrei der erwachten Geister halten. „Mit der Unterstützung von 300 Palästina-Solidaritätsorganisationen quer durch die okkupierte Schildkröteninsel verfolgen wir das Ziel, eine Studentenbewegung zu entwickeln, die miteinander verbunden ist, diszipliniert und ausgestattet mit den nötigen Werkzeugen ist, um die Befreiung Palästinas zu erreichen“, heißt es beispielsweise auf der Webseite der Dachorganisation „Justice in Palestine“. (“Supporting almost 300 Palestine solidarity organizations across occupied Turtle Island, we aim to develop a student movement that is connected, disciplined and equipped with the tools necessary to achieve Palestinian liberation.”)

Ein kleiner Einschub in dem Text verrät, was der Inselname bedeutet: ein in Anführungszeichen gesetztes ‚North America‘. Bei dem Begriff „Turtle Island“, so die Herleitung der studentischen Aktivisten, die den Nahen Osten von Siedlern, also allen Juden befreien wollen, handle es sich um die Bezeichnung der ‚indigenen Bewohner‘ für den Halbkontinent. Nur sie dürfen sich nach der Doktrin als berechtigte Bewohner fühlen, alle anderen leben dort als illegale Okkupanten.

Schulterschluss linker Antisemiten mit Hamas
Harvard, Yale, Oxford etc.: Wie Elite-Unis reihenweise dem Hamas-Terror huldigen
Zwischen einem Juden in Tel Aviv und einem Nichtindigenen in New York besteht für sie folglich kein kategorialer Unterschied: Beide haben dort kein legitimes Aufenthaltsrecht. Wie die zumeist weißen, mittelschichtigen Verbreiter dieser Ansichten ihren eigenen Aufenthalt an Ivy-League-Universitäten und überhaupt in den USA rechtfertigen, und wie sie eigentlich Amerikaner mit afrikanischen Wurzeln in ihre Raum-und-Rassen-Theorie einpassen – längst nicht jeder Schwarze in den USA ist übrigens Nachfahre von Sklaven –, darüber schweigen sie sich eisern aus. Vermutlich lösen sie es für sich so auf: Den Umstand, dass sie selbst als Okkupanten auf Turtle Island leben, können sie durch Sensibilisierungskurse und politischen Eifer wieder einigermaßen ausgleichen, ihr Status fällt also in die Rubrik Konstrukt, also des Wir-tun-so-als-ob.

Dass aber ein jüdischer Professor als ganz besonders Raumfremder nicht auf den Campus darf, zumal, wenn er dort den Neorassisten widersprechen will, ist dagegen kein Als-ob, sondern exakt so gemeint, gewollt und exekutiert. Natürlich heißt die Bewegung Juden willkommen, wenn sie dabei helfen, postkoloniale Parolen zu verbreiten, etwa die Präsidentin der amerikanischen Grünen, Jill Stein, die ganz nebenbei allen sogenannten zionistischen Juden empfiehlt – eine Chiffre für alle, die in der Hamas keine Befreiungsbewegung sehen – , nach Polen zu gehen („jewish people have Poland“). Dieser Remigrationsvorschlag gehört auch zu den Slogans auf dem Campus: „Go to Poland.“ (Nach dem sehr begrenzten Weltwissen dieser Leute, die meist auch nicht sagen können, von welchem Fluss bis zu welcher See Israel dekolonisiert werden soll, handelt es sich bei Polen um das ursprüngliche Heimatreservat aller Juden.)

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Den direkten Zusammenhang zwischen der Postcolonial-Theorie, der Fantasie eines judenreinen Nahen Ostens und der globalen Aufteilung von Menschen in den erbschuldigen Westen und einen immer gerechtfertigten ‚globale Süden‘ stellten die Vertreter der Lehre selbst ausdrücklich her. Uahikea Maile beispielsweise, Professor für Indigene Politik an der Universität von Toronto, schloss seine eigene Herkunft aus Hawaii mit den Morden, Entführungen und Serienvergewaltigungen in Israel kurz, die für ihn selbstverständlich unter „antikolonialen Widerstand“ fallen. Maile erklärte auf X: „Da Hawaiianer durch die Nachrichten vom antikolonialen Widerstand in Gaza gegen den israelischen Siedlerkolonialismus erwachen, erinnert euch daran, dass – von Hawaii bis Palästina – Okkupation ein Verbrechen ist. Ein lāhui (Nation, aber auch Stamm) der für Dekolonisierung und Deokkupation steht, sollte auch hinter Freiheit für Palästina stehen.“

Der Professor für Sozialarbeit an der McMaster University im kanadischen Hamilton, Ameil Joseph, schrieb nach dem 7. Oktober: „Postkolonial, antikolonial und Dekolonialisierung sind nicht nur Begriffe, die ihr in eurem EDI-Arbeitskreis gehört habt“ (EDI steht für Equity, Diversity und Identity). Mahvish Ahmad, Assistenzprofessorin für Menschenrechte und Politik an der London School of Economics fasste sich auf X noch ein bisschen kürzer: „Dekolonialisierung ist keine Metapher“. Was nichts anderes bedeutet als: die Ideenmischung des Markennamens Postcolonial aus den Laboren der Universitäten schafft die theoretischen Grundlagen, das Niedermähen jüdischer Zivilisten stellt die bejubelte Praxis dar, die Einschüchterung von Juden und überhaupt allen auf dem Campus, die dem antiwestlichen Dogma widersprechen, die logische Fortsetzung.

Von den akademischen Schöpfern und Verteidigern der Postcolonial-Lehre führt mittlerweile ein solider Transmissionsriemen zu Studentengruppen, die nicht nur an der Columbia University die Machtfrage auf dem Campus stellen. Das Dogma dringt weiter in Medien und den politischen Betrieb vor. Aber selbst erwachte Politiker der Demokraten wie Ilhan Omar würden niemals offen aussprechen, sie fühlten sich durch die Hamas-Massaker berauscht. Kein Kommentator der Washington Post würde so weit gehen, zionistischen amerikanischen Juden zur Emigration nach Polen zu raten. Die wirklich einflussreichen Extremisten nicht nur in den Vereinigten Staaten sammeln sich heute unter dem Schutz der Wissenschaftsfreiheit. Sie verwandeln Universitäten erfolgreich in Bootcamps zur Ausbildung militanter Kader. Es handelt sich dabei um ein Elitenprojekt. Die Aufnahmerate der Columbia liegt bei 3,9 Prozent. Nicht alle, aber viele, die sie mit einem Diplom verlassen, rücken anschließend in einflussreiche Stellungen vor. Neolinke Politiker und Journalisten halten zwar einen gewissen Sicherheitsabstand zu den Breaking-Bad-Laboren und ihrer toxischen Produktion, stellen sich aber auch nicht gegen diese Entwicklung. Für die Washington Post etwa starteten die Studenten der Columbia University eine „nationale Protestbewegung”. Das Blatt beschreibt ähnliche Veranstaltungen in Yale und anderen Eliteuniversitäten, mischt einige kritische Stimmen in ihren Text, aber auch das Zitat eines Historikers, der die antiwestliche Raserei totalitärer Bürgerkinder zu einer der wichtigsten Bewegungen seit sechs Jahrzehnten erklärt, wofür durchaus einiges spricht, sie dann aber ernsthaft mit der weltweiten Kampagne zur Abschaffung der Apartheid in Südafrika vergleicht.

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Diese Mischung aus echter und vorgetäuschter Blindheit in großen Teilen der progressiven US-Intelligenzia erleichtert das Geschäft der Extremisten mit akademischer Tarnkappe ungemein. Nicht nur auf der anderen Seite des Atlantiks, sondern auch in Deutschland. So gut wie alle ideologischen Wellen mindestens der letzten drei Jahrzehnte stammten aus den Vereinigten Staaten. Sie treffen zeitversetzt, aber zuverlässig in Westeuropa ein. Sämtliche Gegengifte übrigens auch.

In Deutschland gehört der Historiker Jürgen Zimmerer zu den wichtigsten Vertretern des Postkolonialismus. Der Hamburger Professor widmet sich unter anderem der Aufgabe, den Holocaust neu zu kontextualisieren, weil dessen Geschichte seiner Meinung nach die Sicht auf europäische und speziell deutsche Kolonialverbrechen verstellen würde. In einem Zimmerer-Interview mit dem deutsch-arabischen Onlinemagazin Quantara, das lange zu Deutschen Welle gehörte, klingt das beispielsweise so:
„Unter dem Deckmantel einer kritischen Geschichtsaufarbeitung vollzieht sich seit geraumer Zeit ein konservativer, rechter, nationalistischer bis völkischer Rollback-Versuch. Wir reduzieren die Lehren aus den Verbrechen des Nationalsozialismus auf den Holocaust und auf eine bestimmte Form antisemitischer Verbrechen – und diese werden dann benutzt, um alle anderen Lehren im Grunde auszuklammern.“

In Tweets beschimpft er jeden, der die Asylmigration regulieren und begrenzen will, mit seiner Lieblingsvokabel „völkisch“; kürzlich machte er auf sich aufmerksam, als er für eine NZZ-Journalistin, die den hohen Nichtdeutschen-Anteil in der Kriminalstatistik aus seiner Sicht falsch, nämlich zahlenorientiert kommentierte, ein „politisches Betätigungsverbot“ und ein „Zuschaltverbot“ für den ARD-Presseclub forderte.

Der neue Ikonoklasmus
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Auch hier gilt: So weit würden rhetorisch noch nicht einmal die eifrigsten der eifrigen Funktionäre der Grünen Jugend oder der Linkspartei gehen, auch wenn der eine oder andere von ihnen vermutlich still zu Zimmerers Säuberungsfantasien nickt. Es gibt in den meisten Medien aber auch kaum eine kritische Auseinandersetzung mit diesem verbeamteten und pensionsberechtigten Befürworter eines Totalitarismus. Bei der Umwandlung von Universitäten in Laboratorien der Gesellschaftszerstörung hängen die deutschen Institutionen ihren amerikanischen Pendants noch deutlich hinterher. Aber die Muster gleichen einander. Auch hier geht die größte Radikalität von unkündbaren Akademikern aus, auch hier erklären viele wohlmeinende Journalisten die antiwestlichen Dogmen des Postkolonialismus für reine Theorieblüten am Elfenbeinturm, die keine praktische Auswirkung entfalten. Auch hier, in der Zeit, dem Deutschlandfunk und anderswo sitzen Mitarbeiter, die ernsthaft glauben oder sich einreden, bei der postkolonialen Lehre ginge es um die Aufarbeitung der Vergangenheit. In Wirklichkeit beschäftigt sich dieses Denksystem mit einer Zukunft, in der es keinen Westen und keine Bürgergesellschaft mehr geben soll.

Wie im echten Breaking-Bad-Labor stellen auch die Leute in den universitären Entsprechungen ihren Stoff nicht für sich selbst und Freunde her. Er soll hinaus in die Gesellschaft, um dort seine Wirkung zu entfalten. Und das tut er. Wie das in seiner ersten Phase praktisch aussieht, lässt sich an den Universitäten in Berlin beobachten. Als ein muslimischer Student der Freien Universität seinen jüdischen Kommilitonen Lahav Shapira aus antisemitischen Motiven krankenhausreif prügelte, erklärte die Hochschulleitung sich außerstande, den Täter zu exmatrikulieren. Formal trifft das tatsächlich zu: Im Jahr 2021 schaffte die damals noch rot-rot-grüne Koalition in der Hauptstadt die Möglichkeit ab, Studenten wegen groben Fehlverhaltens hinauszuwerfen. Zu den praktisch unantastbaren verbeamteten Professoren kommen also Schüler, die andere einschüchtern oder ihnen sogar die Knochen brechen können, ohne um ihren Studienplatz fürchten zu müssen. Dieses Signal geht zum einen an alle autoritären Kampftruppen auf dem Campus, aber auch an jeden, der überlegt, sich öffentlich gegen sie zu stellen. Gegen keinen der Studenten an der FU, die bei anderen Gelegenheiten ihre Macht demonstrierten, verhängte die Hochschulleitung bisher Sanktionen.

Zweifache Geschichtsklitterung
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In die andere Richtung machen sich Hochschulrepräsentanten durchaus bemerkbar. Nachdem das „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“, ein Zusammenschluss von mehreren hundert Akademikern in Deutschland, zumindest eine kritische Debatte über die Postkolonialismuslehre an den Hochschulen forderte, meldete sich die Präsidentin der TU Berlin, Geraldine Rauch, mit einer Art Manifest, in dem sie die Zweifler faktisch zu Unberührbaren erklärte. „Die Mitglieder des Netzwerks beanspruchen für sich“, heißt es in Rauchs Erklärung, „unter dem Mantel der Wissenschaftsfreiheit zu agieren.“

Deckmantel, diese Wendung scheint sie ganz ähnlich zu mögen wie Zimmerer. Kollegen, die an unantastbare Lehren rühren, empfiehlt sie mehr oder weniger dem Inlandsgeheimdienst zur näheren Beobachtung: „Die Äußerungen des Netzwerks stärken das Narrativ der Neuen Rechten, Rechtsextremist*innen und anderer verfassungsfeindlicher Organisationen.“ Damit bewegt sie sich noch nicht ganz auf der Ebene ihres Hamburger Kollegen, der politische Tätigkeitsverbote fordert, aber zumindest in seiner Nähe. In ihrer Erklärung finden sich auch sprachliche Preziosen, wie man sie eigentlich nicht von einer Universitätspräsidentin erwarten würde, eigentlich noch nicht einmal von Chat GPT:

„Die Mitgliederliste ist eine beunruhigend lange Liste. Ein Blick in sie lohnt sich, um zu erschrecken. Viele Universitäten sind vertreten, leider auch Personen der TU Berlin.“ Und weiter: „Die Aktivitäten des Netzwerks Wissenschaftsfreiheit sollten uns mit tiefster Sorge erfüllen. Die TU Berlin positioniert sich klar gegen das Netzwerk Wissenschaftsfreiheit als Zeichen für Demokratie und als Zeichen für die Solidarität mit allen Menschen.“ Hochschulmitarbeiter, die mit ihren abweichenden Meinungen unter dem Mantel agieren, natürlich ausgenommen.

Es greifen wie in den USA mehrere Teile einer Maschinerie ineinander: eine entschlossene Bewegung, die vor gut zehn Jahren als belächelte Nischengruppe an Universitäten begann, und mittlerweile den gesamten Campus Schritt für Schritt unter ihre Kontrolle bringt, Hochschulleitungen, die sich entweder hinter einer Scheinneutralität verschanzen oder den Prozess sogar offen unterstützen, Medien, politische Organisationen und Unternehmen, die gutdosiert den Stoff aus den Ideenlaboren übernehmen.

Der Begriff des systemischen Rassismus etwa, der es schon als rassistische Ansicht brandmarkt, wenn jemand die Denkfigur einer generellen weißen Schuld ablehnt, durchdringt heute viele amerikanische Medien, er gehört zum politischen Inventar mindestens des linken Flügels der Demokraten. Und er erlebt seine praktische Ausführung in den autoritären EDI-Sensibilisierungsworkshops vieler Großunternehmen, die (weiße) Mitarbeiter dazu anhalten, über ihre immateriellen Privilegien nachzudenken.

Die Delegitimierungsideologie des Postkolonialismus bildet das große Dach für die ‚Kritische Rassentheorie‘, die Identitätspolitik und andere einzelne Versatzstücke. Wenn heute künftige Führungskräfte ‚we are Hamas‘ und ‚death to America‘ auf dem gepflegten Rasen altehrwürdiger Ostküstenuniversitäten skandieren, wenn junge erwachte Teenager in den USA auf Instagram eine alte Videobotschaft Osama bin Ladens für eine Offenbarung halten, dann ist die toxische Substanz wirklich bei einem großen Publikum von Endverbrauchern angelangt.

In Deutschland befindet sich der Prozess, wie schon erwähnt, noch in einem vergleichsweise früheren Stadium. Aber auch hier gehören Wendungen wie Islamophobie für jede Kritik am politischen Machtanspruch des Islam mittlerweile zum etablierten Sprachgebrauch der Politik, die Bewirtschaftung der deutschen Kolonialschuld zum Programm des Auswärtigen Amtes. Auch hier schwappt die Botschaft des Postkolonialismus – dass weiße Europäer als einzige nicht als indigen gelten und keine Ansprüche auf kulturellen Bestandsschutz anzumelden haben – in die Medien und den politischen Sprachgebrauch über. Im Focus schrieb Naika Foroutan, Professorin für Politik- und Sozialwissenschaft an der Humboldt Universität:
„Viele Menschen meinen, ihr ‚eigenes‘ Land nicht mehr wiederzuerkennen. Zu Recht, möchte man sagen – denn es sieht anders aus, es hat sich verjüngt, es spricht anders, es isst anders, es betet anders als zuvor. Aber man vergisst: Dieses Land gehört an sich niemandem.“

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Am Ursprungsort dieser Theorien, den Universitäten, steigt das Risiko deutlich, offen zu widersprechen, vor allem die Kernfrage zu stellen, wieso eine totale Kriegserklärung gegen den Westen eigentlich den Schutz der Wissenschaftsfreiheit genießen sollte und warum Bürger dieses bürgerfeindliche Treiben zu finanzieren haben. Bedrückender als der offene Vormarsch der Eiferer wirkt die entweder feige oder sogar noch unterstützende Haltung der Hochschulleitungen. Eine Geraldine Rauch gefährdet die Wissenschaftsfreiheit stärker als hunderte Postkolonialismusstudenten, die sich für inoffizielle Hamaskämpfer halten. Professoren, die bei jeder offiziellen Gelegenheit ihre ‚Nie wieder‘-Phraseologie herunterleiern, aber gleichzeitig einem neuen Totalitarismus an ihren Universitäten nichts entgegensetzen, erklären damit ihren intellektuellen und moralischen Bankrott. Um Ignazio Silone zu paraphrasieren: Wenn Rassentheoretiker wie Jörg Lanz von Liebenfels und Arthur de Gobineau heute wiederkehren würden, müssten sie sich nur eine asymmetrische Blauhaarfrisur verpassen, einen Regenbogenbutton anstecken und sicherheitshalber noch ein Palästinensertuch über die Schultern legen. Mit dieser Ausstattung könnten sie fast das gleiche vortragen wie damals – nur unter umgekehrtem Vorzeichen.

Im Juni 1933 notierte der Führer des Leipziger NS-Studentenbundes Eduard Klemt: „Wir sehen uns mit genau derselben Frechheit wie einst als SA-Leute auf der Straße heute im Hörsaal um und entscheiden, ob ein Professor bleiben kann oder nicht. Kriterium wird sein: jener Mann kann nicht mehr Professor sein, weil er uns nicht mehr versteht. Wir Jungen haben die Hochschulen in der Hand und können daraus machen, was wir wollen.“
Wer meint, sich heute als Dozent oder Professorin schlau heraushalten zu können, statt zusammen mit anderen erst einmal erwachten Wiedergänger Klempts in Berlin, Hamburg, Bremen und anderswo hinauszuwerfen, findet sich möglicherweise schon in ein paar Jahren in der Lage wieder, vor irgendwelchen Kommissionen darum betteln zu müssen, halbwegs ungestört weiterarbeiten zu dürfen.

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Es gibt Unterschiede zwischen den Verbänden der Studenten-SA damals, den ‚Bomb Tel Aviv‘-Rufern in New York und wiederum den Muslimen, die gerade in Hamburg das deutsche Kalifat forderten, aber eben auch eine Gemeinsamkeit: Sie fühlten und fühlen sich schon als die neuen Hausherren. Die Marschierer in Hamburg greifen gewissermaßen von außen an, obwohl sie im Westen leben. Die akademischen Postkolonialisten und Rassentheoretiker arbeiten daran, die Abwehrfähigkeit von Innen zu zerstören, indem sie jeden Versuch des Westens, seine kulturelle Besonderheit zu verteidigen, als rassistisch brandmarken. Damit leisten sie den größeren und wichtigeren Teil der Abrissarbeit.

An der Columbia University formiert sich eine Bewegung von Hamasjublern und Lehrkräften mit dem Ziel, die Universitätspräsidentin Minouche Shafik zu stürzen, weil sie es gewagt hatte, zur Eindämmung der Campusbesetzung die Polizei zu rufen. Zu der mittlerweile offen gestellten Machtfrage gehört aber noch der Teil zwei: ein Großspender der Columbia erklärte schon, seine Überweisungen einzustellen, ein anderer kündigte den Stopp seiner Zahlungen an, sollten auf dem Campus nicht bald wieder akzeptable Zustände herrschen. Bei diesen Mäzenen handelt es sich um Millionäre aus der politischen Mitte, die merken, dass sie jetzt eine Grenze ziehen müssen. In Deutschland stammt das Geld der Hochschulen überwiegend aus staatlichen Töpfen. Denjenigen, die darüber wachen, geht es nicht um die Pflege der Wissenschaft, sondern eines politischen Vorfelds. Aber Journalisten aus der Mitte konnten und müssten jetzt ihren moralischen Kredit für Leute kündigen, die Universitäten zu Extremistenbasislagern mit staatlicher Vollfinanzierung umbauen. Dieser Kreditentzug kostet sie gar nicht viel. Ein paar Empörungsschauer auf X, die Anheftung der ‚Umstritten‘-Marke. Und sonst?

Es stimmt: Postkolonialismus ist keine Metapher. Sondern eine hochwirksame Substanz zur Zersetzung der westlichen Gesellschaften. Entweder es gelingt, diese Labore zu zerstören. Oder ihre Erzeugnisse zerstören uns.


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