Deutsche Medien haben derzeit erhöhten Unterhaltungswert mit einem deutlichen Ausschlag ins Bizzare. Man muss sie nur lesen. „In jedem Leben kommen die Momente, in denen es gilt. Dann zeigt sich der Charakter, Wichtiges trennt sich vom Unwichtigen, und bald fallen jene Entscheidungen, die den weiteren Weg bestimmen … ein solcher Moment nähert sich“, schreibt beispielsweise Klaus Brinkbäumer, Chefredakteur des SPIEGEL.
Mein Gott, was ist passiert? Schwere Erkrankung, oder fehlt ein Punkt beim NC? Der rundum versorgte Kollege blickt in den Abgrund. Aber es geht noch mehr: Marschieren SA und SS durch die Straßen der USA und werfen die Scheiben von jüdischen Geschäften ein? Werden KZs eröffnet? Ziemlich weit weg, also rein geografisch, was aber im Jet-Zeitalter nicht so viel ausmacht. Wird die Bundeswehr mobilisiert? Die letzten Leoparden der Bundeswehr mit dem letzten Tropfen Sprit betankt für die erneute Weltverbesserung Made in Germany? Das fragt sich, wer die Sprüche liest.
Denn: In den USA wurde ein neuer Präsident ins Amt gewählt, und der heißt Donald Trump. Seither geht die Welt unter? Jedenfalls beim Spiegel und in anderen Redaktionen. Nur völlig abgebrühte Uraltkollegen denken: Den mag man mögen, blöd finden, verabscheuen, bitteschön jeder, wie er will. Ich mag ihn auch nicht – finde vieles kritik- wie fragwürdig. Aber gleich so?
Was soll dieses Trump-ante-Portas-Trompeten?
Brinkbäumer: „Deutschland wird sich gegen den 45. Präsidenten der USA und dessen Regierung stellen müssen.“ Das klingt doch, und wie! Kriegserklärung, Schwarz gegen Weiß, Gut gegen Böse. Endlich mal Ernst beim Spiegel, endlich groß, endlich tiefschürfend, Wagner spielt und Schicksal dräut zum Latte Macchiato?
Ehrlich gesagt: Da möchte ich nicht dabei sein. Und deshalb, Lieber Herr Kollege, möchte man fragen, was haben Sie denn geraucht beim Schreiben? Schicken wir jetzt U-Boote gen New York oder wenigstens gegen Engeland, das uns verraten hat, dieses perfide Albion? Die den Brexit wagten und Händchenhalten mit dem bösen, bösen Trump? In der taz sehen sie wohl Mord als neuerdings wieder legitimes Mittel der Politik, wenn sie in einem Beitrag über Möglichkeiten der Amtsenthebung übergangslos „Mord als wirksamstes Mittel“ anführen. Ja, der gute Tyrannenmord. Habt ihr schon mal einen echten Tyrannen gesehen, liebe Kinder von der taz? Ich könnte Euch da ein paar nennen.
Die @tazgezwitscher erklärt, wie „man #Trump jetzt noch stoppen kann“. https://t.co/3dId0Bk5tb
Der letzte Absatz geht so: pic.twitter.com/ZdUfoDlMNQ— Claas Weinmann (@Claas_Weinmann) 4. Februar 2017
Die Erklärung liefert die WirtschaftsWoche, da muss diese frühere liberale Stimme auch gleich noch was drauflegen wg. Benchmark SPIEGEL, was zugegebenermaßen gar nicht so einfach ist: Einer in der Chefredaktion zieht da gleich die Parallele von Trumps Wahl zu Hitlers Machtergreifung, wo „Andersgläubige“ aus dem Land gejagt wurden.
Mit den Sicherungen knallen auch die Kategorien durch, und die Verharmlosung des Holocausts geht da schnell ins Netz bei der WiWo. Man merkt, dass der stellvertretende Chefredakteur Ollie Stock nicht begriffen hat, was NS bedeutet, dass der Holocaust etwas war, worüber die Tante Lehrerin geredet hat, während Ollie aus Spucke und Löschpapier Pappmaschee-Kügelchen für seine Strohhalmpistole gemanscht hat, was er schreiberisch noch heute tut.
Und so geht es Blatt auf, Blatt ab. Das Handelsblatt, das Abitur von Kanzlerkandidaten fordert, aber nicht Verstand von Herausgebern, bemüht Tiervergleiche, die seit Stürmer-Zeiten tabu sind und stellt die Analogie zum Gorilla her. Die Süddeutsche Zeitung stellt auf der Seite Eins die Frage, wie man Trump jetzt stoppen könnte – endlich ist Journalismus aktiv, ergreift nicht nur verbal Partei, sondern ruft zur Tat. Junge, Junge, denkt ihr noch oder schreibt ihr bloß? Und wart ihr in Sachen Trump schon früher so hellsichtig?
Wir Journalisten wissen was sein wird, @janfleischhauer? Bei Brexit und Trump-Sieg haben die seherischen Qualitäten dann wohl Ferien gemacht https://t.co/LHxFWoFWRr
— dagmar rosenfeld (@rosidaggi) 6. Februar 2017
Neuerdings dürfen also Superwutbürger im Namen der Chefredakteure in „Mainstream“-Medien schreiben, und diese „superbesorgten Bürger“ bäumen sich wegen einer Wahl auf – und greifen in ihrer Geschichtsgrabbelkiste aber so was von daneben. Man merkt zu schnell, wie dünn das Brett ist, das sie bohren. Und wie verengt ihr Horizont.
Man könnte ja lachen, aber man sollte trotzdem die Frage stellen: Was geht da ab in den Kleinhirnen? Was schreibt ihr eigentlich, wenn es wirklich mal Ernst wird? Muss jetzt raus, was sich in Eurem Seelengehäuse aufgestaut hat an Wut und Frust, weil ihr so schweigsam wart bei all´ den kleinen Demontagen der Demokratie und des Rechtsstaats, den Attentaten, den ganzen Schwindeleien? „Lügenpresse“ passt nicht: Das setzte Vorsatz voraus, absichtsvolles Schreibhandeln. Bei dem, was hier passiert, spiegelt sich nur dumpfes Nicht-Wissen. Es ist Lach-Presse.
Aber klar, nachdem jeder, der anderer Meinung ist, als „Nazi“, „besorgter Bürger“ oder „Neu-Rechter“ abgetan werden musste, sind die Schimpfwörter aufgebraucht. In der Meute versucht jeder den anderen zu überheulen. Weil die Erregungskurven immer steiler ansteigen und immer schneller abfallen, braucht es offensichtlich immer neue, noch überzogeneres Erregen. Unter „Drittes Reich“ und „Nazi“ geht gar nicht mehr; immerhin hat der Spiegel ja mit seinem Titelbild von Trump als zerstörerischem Kometen einen Weltuntergang schon erfolgreich überlebt.
Erregung ist ja lächerlich, wenn man sich alleine aufregt, wie man an all den Weltuntergangspredigern sieht, die in Fußgängerzonen gelegentlich auftauchen: Weltuntergang ist erst wirklich schön, wenn alle gleichzeitig hysterisch schluchzen, kreischen und schlimmere Dinge tun – vielleicht erklärt das die kollektive Absenz von Vernunft und Maß in der deutschen Medienlandschaft.
All den Weltuntergangsdramatikern und ängstlichen Schreiberlingen und seufzenden Sonnenuntergangsrührselighanseln sei ein Gedicht von Heinrich Heine anempfohlen, der schon wusste: Heute geht mit Trump die Sonne unter – aber morgen wieder auf.
Das Fräulein stand am Meere
Und seufzte lang und bang,
Es rührte sie so sehre
Der Sonnenuntergang.
Mein Fräulein! sein Sie munter,
Das ist ein altes Stück;
Hier vorne geht sie unter
Und kehrt von hinten zurück.
Lieber Kollege Brinkbäumer, Sie haben mit Ihrer nachträglichen Rechtfertigung die Sache nur schlimmer gemacht. Lesen Sie Heine. Das hilft bei der Dimensionierung. Und, lieber SPIEGEL, die Kollegen von der BILD, sind da schon weiter mit dem Erregungsmanagement. Gehen Sie mal da in die Lehre.
Wenn das gefühlte Ende der Eskalationsstufe so früh erreicht ist, fragt man sich was noch folgen soll…
— Peter Rossberg (@PRossberg) 3. Februar 2017